Der Zeitungslesemorgen

Geschrieben am 28. Juli 2012 von Paul-Josef Raue.
Geschrieben am 28. Juli 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles.

Es regnet in Strömen – was für ein schöner Samstag morgen! Ein Zeitungslesemorgen! Allein in der Süddeutschen kann man stundenlang lesen, ohne sich zu langweilen.

Gleich auf der zweiten Seite gibt’s die Geschichte der „Entfesselung der Märkte“ in knapp zweihundert Zeilen, verständlich und mit einer Fülle von Beispielen – und wie bei einem guten Krimi mit einer Aufzählung der Schurken von Nixon bis Schröder und Schäuble.

Man liest sich von einer Überraschung zur nächsten (ohne schlechtes Gewissen, es regnet ja). Im „Feuilleton“ macht die Besprechung des Buches eines unbekannten argentinischen Autors neugierig, in dem es mehr weiße Fläche gibt als Text, ein schnörkelloser Western, in dem ein Mann ohne Mitleid auftaucht, der einem anderen ein letztes Mal die Haare schneidet und auf seinen Tod wartet. „Es dauert nur eine Stunde, das schmale Bändchen durchzulesen, danach möchte man am liebsten von vorne beginnen“, lockt Cornelia Fiedler, die Kritikerin. Ist ein schöneres Rezensenten-Lob denkbar? (Hernan Ronsino, Letzter Zug nach Buenos Aires)

Marianne Körber rühmt ein Wirtschaftsbuch in der „Wirtschaft“, in dem der Inder Rajan die Finanzkrise seziert, Schuldige überführt, früher mittelmäßig bezahlte Finanzmanager zum Beispiel. Der ehemalige Chefökonom des IWF nennt auch die Lösungen, plädiert für eine Lebensunterhaltsversicherung und für längere Schulzeiten und Lehrer, die nach der Leistung der Schüler bezahlt werden. (Rajan, Fault Lines – Verwerfungen. Warum sie noch immer die Weltwirtschaft bedrohen und was jetzt zu tun ist)

Wann soll man all die guten Bücher lesen? Gute Zeitungen halten vom Bücherlesen ab. Und bald wird es auch nicht mehr regnen. Der Himmel klart schon auf.

Die nächste Überraschung: Sten Nadolny, der die Langsamkeit entdeckte, hat das Erzählen beim Film gelernt, „das Handwerk des Erzählens in bewegten Bildern mit dramaturgisch begründeter Beschleunigung und Verlangsamung. Warum nicht einfach aufschreiben, was ich sah, fühlte und dachte, eines nach dem anderen, wie es kam.“

Ob man stundenlang Zeitung auf dem Bildschirm lesen wird? Oder geht’s doch nur auf Papier, stundenlang zumindest?

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