Lösen sich die Ressorts auf? Eine der besten IS-Analysen steht bei der SZ – im Feuilleton
Die Anschläge auf Paris zeigen nicht einen Erfolg für den „Islamischen Staat“, sondern sind ein Indiz für seine Niederlage: Er verliert immer mehr Städte, Schlachten und Führer und somit an Attraktivität für mögliche Anhänger. So schreibt Bernard Haykel, Professor für Studien des Nahen Ostens an der Princeton-Universität. Die Propaganda im Al Bayan-Radio „erinnert an die Radio-Propaganda der Nazis oder Sowjets – weiter, vorwärts, kein Rückzug, keine Kapitulation. Dem IS fehlt es nicht nur am Selbstbewusstsein, die Wahrheit zu vermelden. Für einen selbsterklärten Staat von Gottes Gnaden kann es nur Siege geben, niemals Niederlagen. Da liegt die Achillesferse des IS, denn mit Verlusten verliert er an Reiz.“
Die Analyse, eine der besten zum IS – ob man sie teilt oder nicht -, steht nicht vorne in der SZ, weder auf Seite 2 oder 3 oder auf den Politik-Seiten, sondern als Aufmacher im Feuilleton. Folgt die SZ allmählich der Schirrmacher-Strategie, der das Feuilleton der FAZ zur Zeitung in der Zeitung verwandelte? Oder lösen sich langsam die Ressorts auf: Alles ist alles? Der Sport ist Wirtschaft, die Wirtschaft ist Politik, und die Politik ist Feuilleton?
In der Tat ist die Welt nicht mehr so leicht in Schubladen zu stecken wie vor einigen Jahrzehnten. Aber der Leser ist eine Ordnung gewohnt, die sich in den traditionellen Ressorts spiegelt, er sucht seine bevorzugten Orte in der Zeitung, die er am liebsten eher dünner als dicker wünscht, eben übersichtlicher angesichts der immer kürzeren Lese-Zeit. Der Leser will nicht suchen, sondern lesen; er will nicht in der Zeitung herumirren, sondern schnell das finden, was ihn interessiert. Das spricht übrigens nicht gegen die eine oder andere Überraschung in der Zeitung: Ist das vielleicht die IS-Analyse im Feuilleton?
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solange das Öl noch verkauft wird von skruppellosen Händlern ist der IS nicht im auflösen.
Dass die besten Artikel zur Zeit in allen Printmedien, sei es FAZ oder SZ im Feuilleton besser sind als im Politikteil und den ersten Seiten hat einfach damit zu tun, dass die Leitartikel und Aufmacher meist von alten Platzhirschen geschrieben werden, die markige Worte besser finden als differenziertes Nachdenken. Das ist nicht nur jetzt so, das ist schon seit vielen Jahren der Fall.
Man würde nur zu gerne glauben, was Bernhard Haykel zum Thema „IS“ im Feuilleton der SZ schreibt, nämlich, dass diese Truppe – wenigstens militärisch gesehen – auf der Verliererstraße sei und Nachwuchs nur unter der Voraussetzung einer gefühlten „Unbesiegbarkeit“ zu akquirieren vermag. Damit wäre zwar eine „Schlacht“gewonnen, aber nicht das Problem beseitigt. Die Ursachen für die unbestreitbare Faszination der abenteuerlich-kriminellen Vereinigung auf eine ganz bestimmte Gruppe junger Menschen lassen sich, wenn überhaupt, aber vermutlich nicht so schnell beseitigen. Das Heer der Ausgegrenzten bzw. der sich ausgegrenzt Fühlenden „Abenteuerlustigen“ aus den Banlieues und gerade auch gut situierten Häusern dieser Welt wächst weiter in dem Maße, wie, z.B., Geld für Integration und Bildung aus total verschuldeten öffentlichen Haushalten nicht mehr zur Verfügung zu stehen scheint.
Rein ideologisch, zumindest aus nahöstlicher, arabisch-muslimischer Sicht, hat der Westen im Laufe der (Kolonial- und Hegemonial-) Geschichte ohnedies bewiesen, wie viel er im Einzelfall von seinen so eindrucksvoll vorgetragenen „Werten“ zu halten bereit ist, mithin als „moralische Instanz“ ohnehin nicht mehr ernst genommen werden kann. Anders gesagt: Niemand hier braucht sich über das zu wundern, was im Augenblick weltweit passiert. Es wurde Gewalt gesät und nun ernten wir sie… was sie übrigens keinesfalls rechtfertigt.