Feuilletonisten: Gralshüter, die nicht verstanden werden wollen

Geschrieben am 11. Dezember 2016 von Paul-Josef Raue.
Zeitungsleser in Nepal, umgeben von Klangkörpern: Feuilletonisten schreiben für die Elite der Elite. Foto: Paul-Josef Raue

Zeitungsleser in Nepal, umgeben von Klangkörpern: Feuilletonisten wollen für die Elite der Elite schreiben. Foto: Paul-Josef Raue

Feuilletonisten schreiben zuerst für andere Feuilletonisten, für Künstler und Kulturmanager, bisweilen auch für Theater- und Ausstellungsbesucher. Feuilletonisten bleiben unter sich, die meisten jedenfalls. In der Redaktion gelten sie als nett, aber schwierig, sie sind Außenseiter. Ein garstiges Vorurteil?

Viele Feuilletonisten stimmten zu, sie schätzen diesen Status des einsamen, aber freien Nachdenkenden, ja sie genießen ihn und wollen Lichtjahre entfernt vom Rest ihrer Redaktion wirken und schreiben. Sie kümmert es kaum, dass nur wenige Abonnenten ihre Rezensionen  lesen; sie sind selbstbewusst: Wir schreiben für die wichtigen Leser!

Sie wissen, was Kultur ist, und bauen einen Gral, zu deren Hüter sie sich selbst erwählen.  „Der typische deutsche Kulturredakteur möchte von Hinz und Kunz gar nicht verstanden werden“, schrieben wir im Handbuch des Journalismus.

Der weibliche Nachwuchs des Journalismus, weniger der männliche, antwortet im Bewerbungsgespräch auf die Frage nach den Vorlieben: Die Kultur, vorzugsweise. Doch Vorsicht: Die meisten Feuilletonisten schreiben in ihrer eigenen Sprache, schreiben schwer verständliche Texte – eben Tagesliteratur für Eingeweihte, die zwar auch nichts verstehen, aber das Erhabene fühlen.

Wer etwa vom großen Gerhard Stadelmaier das Schreiben lernte,  der dürfte für andere Ressorts kaum mehr tauglich sein. Gerhard Stadelmaier, Professor für Theaterkritik,  war oberster Theaterkritiker der FAZ, der Texte schrieb, die Germanisten in ihren Seminaren als hermetisch loben würden. Unter Seinesgleichen ist er geachtet und bewundert, auch im Ruhestand, in dem er einen Roman schrieb über die Redaktion der „Staatszeitung“, die der FAZ ähnelt,  und die „Verflüssigung der Zeitung“, die an Qualität verliere und an Sprachkraft.

Jan Küveler nennt ihn in der Welt einen der „begnadesten Vertreter“, lobt ihn für seine bildkräftige Sprache, für Formulierungen wie „hirnwütiger Quecksilberbubi“ oder „zentnerschwere Langeweile“. Stadelmaier ist mehrfach preisgekrönt für seine „leichte und doch gewichtige Sprache“; vor einigen Wochen verlieh ihm in Weimar eine Stiftung, die die „Reinheit der deutschen Sprache“ pflegt, den „Deutschen Sprachpreis“.

Man könnte ihm noch einen Preis verleihen – für den längsten Satz, den wohl je ein Journalist geschrieben hat: 208 Wörter lang (nach der Word-Wörterzählung). Der rekordverdächtige Satz war schon einmal Thema in diesem Blog:

Am 17. Juni 2013 druckte die FAZ die Besprechung einer Trauerfeier im Stil einer Rezension: Walter Jens wurde in Tübingen zu Grabe getragen, und Gerhard Stadelmaier schrieb darüber. Da wenig gesprochen und viel Mozart gespielt wurde, schrieb der Kritiker über Jens‘ Beziehung zu Mozart und verlor sich dabei in einem Satz mit 208 Wörtern und fast 1500 Zeichen! Der Satz taugt für jeden Volontärskurs: Wie zertrümmere ich einen Schachtelsatz? Wer findet den Hauptsatz (in der die Hauptsache stehen soll)?

Die Mühe des Zertrümmerns dürfte allerdings vergeblich sein: Der Satz ist nicht redigierbar.

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Die komplette JOURNALISMUS!-Kolumne zum Thema: https://kress.de/news/detail/beitrag/136591-208-woerter-ein-sprachpreis-fuer-den-laengsten-satz.html

 

 

2 Kommentare

  • Im zweiten Satz steht „sind“ statt „sich“.

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