Killer-Sprache im Sportjournalismus – nicht nur zur EM: „Instinktlos“
Bei großen Sportereignissen kennen Sportjournalisten keine Freunde mehr, zumindest in der Sprache. „Kein Killerinstinkt“ titelte die FAZ, oft für den besten Sportjournalismus ausgezeichnet, einen Bericht über die Schweizer Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft. Ein Leser empörte sich – nicht nur über den „Killerinstinkt“, sondern auch über den Tag, an dem die Überschrift in seine Zeitung kam:
Instinktlos
Wer ist nicht entsetzt über die brutalen Hooligans bei der Europameisterschaft in Frankreich, und Sie überschreiben in Ihrer Ausgabe vom 15. Juni einen Artikel über die Schweizer Fußballmannschaft dick mit „Kein Killerinstinkt“. Welch unerhörte Instinkt- und Verantwortungslosigkeit!
Schon vor der Europameisterschaft war der „Killerinstinkt“ in die Sport-Sprachmode gekommen. „Kein Killerinstinkt“ überschrieb Sport-Bild einen Online-Bericht im Februar, nachdem sich Eintracht Frankfurt und der HSV in der Bundesliga torlos verabschiedet hatten.
Auch Trainer mögen „Kein Killerinstinkt“: Jose Mourinho klagte so medienwirksam, nachdem sein FC Chelsea nur 1:1 in Istanbul gespielt hatte; wenig später wurde er entlassen.
Auch Sportler mögen den „Killerinstinkt“. Die FAZ zitierte Roger Federer im März 2014 vor einem Tennismatch mit seinem Freund Tommy Haas: „Gegen einen Freund ist der Killerinstinkt nicht so da.“ NBA-Star Stephen Curry erzählt, wie er sich verwandelt: „Wenn ich spiele, bin ich eine ganz andere Persönlichkeit. Dann bin ich konzentriert, verbissen und hungrig nach Erfolg. Diesen Killerinstinkt brauchst du, dann respektieren dich deine Mitspieler und der Gegner.“
Selbst in solch friedlicher Sportart wie Volleyball vermisst der Bundestrainer den nötigen Killerinstinkt (vor wenigen Tagen in der FAZ).
Martialische Sprachbilder waren gebräuchlich im Sportjournalismus, aber sie sind weitgehend aus dem Wortschatz verschwunden. In diesem Blog war die Sprache des Sports beim vorletzten Großereignis, der WM in Brasilien, schon mal ein Thema:
Zur Ehrenrettung der Sportreporter sei angefügt: Vor einigen Jahrzehnten waren die Bilder vom Krieg und vom Lärm der Schlachten noch übermächtig; heute verschwinden sie gemächlich aus dem Wortschatz der Sportjournalisten, in deren Reihen sich offenbar mehr Friedensfreunde tummeln als Leutnants.
Heute suchen Sportreporter ihre Sprachbilder eher in der Bibel. „Griezmann erlöst Frankreich“, schrieb die Süddeutsche Zeitung nach dem EM-Sieg gegen Irland in der Vorrunde. Nach der Erlösung kam „Im Fegefeuer“: So titelte die SZ in derselben Ausgabe einen Bericht über die italienische Mannschaft.
Buße, um nicht ins Fegefeuer zu kommen, leistete die FAZ-Redaktion vorbildlich: Sie veröffentlichte den kritischen Leserbrief, und sie veröffentlichte ihn ungewöhnlich schnell.
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