Rekord – Der längste Satz im Wahlprogramm hat 71 Wörter (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 15. September 2013 von Paul-Josef Raue.

Selbst die Linken können den FAZ-Feuilletonisten Gerhard Stadelmaier nicht schlagen: Der brachte in einem Satz 208 Wörter unter und seine Leser zur Verzweiflung (siehe Blogbeitrag). Das ist Jahresrekord!

Die Linke schafft allerdings den Satzlängen-Rekord in den Wahlprogrammen der Parteien: 71 Wörter.

Zur Ehrenrettung der Partei muss ich einräumen: Der Satz enthält eine lange Aufzählung, klar gegliedert und gut verständlich (siehe unten). Er zeigt, dass die schiere Länge noch nichts über die Verständlichkeit aussagt; schwierig wird es erst, wenn der Satz lang und verschachtelt ist – wie bei der FDP.

Die Liberalen schaffen mit 68 Wörtern den zweiten Platz, aber den ersten Platz in der Unverständlichkeit. Sie beginnt – und das ist ein Kunststück – gleich mit zwei Nebensätzen:

Um zu verhindern, dass sich Monopole oder Kartelle über den Umweg des Tarifrechts bilden, soll in Zukunft das Bundeskartellamt in jedem Verfahren zu Allgemeinverbindlichkeitserklärungen nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz und Verfahren nach dem Mindestarbeitsbedingungengesetz eine Stellungnahme abgeben, die in besonderem Maß berücksichtigt, ob durch einen für allgemeinverbindlich zu erklärenden Tarifvertrag in den Wettbewerb zugunsten eines marktbestimmenden Unternehmens eingegriffen wird, wie das am Beispiel der Deutschen Post AG der Fall war.

Betätigen Sie sich einfach mal als Satz-Pathologe: Wo ist der Hauptsatz?

Auf dem letzten Platz finden wir die CDU. Auch deren 42-Wörter-Satz ist kein Beispiel für guten Stil:

Wir wollen, dass unsere Kinder mit Blick auf die großen Chancen der Digitalisierung für das spätere Arbeitsleben bereits in der Schule einen verantwortlichen und sinnvollen Umgang mit den neuen technischen Möglichkeiten erlernen und ihnen zugleich neue, interessante Wege der Wissensvermittlung eröffnet werden.

Ein Nebensatz ist ein Nebensatz, weil er eine Nebensache enthält. Ein Hauptsatz ist ein Hauptsatz, weil er die Hauptsache enthält. Ein 2-Wörter-Hauptsatz „Wir wollen“ und ein 40-Wörter-Nebensatz sind schlicht ein Unsinn.

Claudia Thoms ist Kommunikations-Wissenschaftlerin an der Universität Hohenheim. Sie hat, zusammen mit Professor Frank Brettschneider, die Wahlprogramme untersucht und weiß, wie sie formuliert sein sollten:

Zu lange Sätze erschweren das Verständnis – vor allem für Wenig-Leser. Sätze sollten möglichst nur jeweils eine Information vermitteln.

Auf den Wahlplakaten gelingt es ja.

PS. Gestern war der Tag der deutschen Sprache (immer am zweiten Samstag im September). Wer hat’s gemerkt? Wer hat ihn gefeiert?

Die längsten Sätze im Wortlaut:
1. Die Linke – 71 Wörter

Einführung des Mindestlohns von 10 Euro die Stunde, Zurückdrängen von Leiharbeit, Befristungen und Minijobs, Erhöhung der Renten, Rücknahme der Rente erst ab 67 Jahren, Lohn- und Rentengerechtigkeit in Ostdeutschland, solidarische Gesundheitsversicherung, Vermögenssteuer, Abschaffung der Hartz-IV-Sanktionen und Anhebung der Hartz-IV-Sätze auf 500 Euro, Abzug aus Afghanistan und Beendigung aller Auslandseinsätze der Bundeswehr, Verbot von Waffenexporten – das sind Entscheidungen, die eine neue Regierung sofort treffen könnte, das sind unsere Sofortforderungen für einen Politikwechsel.

2. Die FDP – 68 Wörter

Um zu verhindern, dass sich Monopole oder Kartelle über den Umweg des Tarifrechts bilden, soll in Zukunft das Bundeskartellamt in jedem Verfahren zu Allgemeinverbindlichkeitserklärungen nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz und Verfahren nach dem Mindestarbeitsbedingungengesetz eine Stellungnahme abgeben, die in besonderem Maß berücksichtigt, ob durch einen für allgemeinverbindlich zu erklärenden Tarifvertrag in den Wettbewerb zugunsten eines marktbestimmenden Unternehmens eingegriffen wird, wie das am Beispiel der Deutschen Post AG der Fall war.

3. SPD 62 Wörter

Dafür bedarf es der Überwindung von Ungleichheiten in den Gesellschaften und der Schaffung von guter Arbeit, die sich an der Decent Work Agenda der ILO orientiert, der Investitionen in landwirtschaftliche Entwicklung, der Hilfen beim Auf- und Ausbau sozialer Sicherungssysteme im Sinne eines Basisschutzes nach dem Konzept des Social Protection Floors der UN und der ILO sowie der Gleichstellung von Männern und Frauen.

4. Grüne – 59 Wörter

In einer notwendigen Diskussion um die Neuregelung des Länderfinanzausgleichs müssen die Fragen eigener Einnahmequellen für die Länder, die Neuordnung des Finanzausgleichs, Probleme der Konnexität und der Weiterleitung von Finanzmitteln zwischen den Ebenen, Altschuldenhilfe auch für überschuldete Kommunen und einer kommunalen Mindestausstattung gerade vor dem Hintergrund der Schuldenbremse baldmöglichst in einer weiteren Föderalismuskommission zwischen Bund, Ländern und Kommunen geklärt werden.


5. Piratenpartei – 51 Wörter

Die Piratenpartei wird – in Zusammenarbeit mit dem weltweiten Netzwerk an Piratenparteien und allen anderen Parteien und Organisationen, die gleiche oder ähnliche Vorstellungen haben – die Verhandlung und den Abschluss eines internationalen Vertrages – des „International Liberty Agreement (ILA)“ – initiieren, der Mindeststandards für bürgerliche Freiheiten, insbesondere aber nicht ausschließlich in digitalen Netzen, verbindlich festlegt.


6. CDU – 42 Wörter

Wir wollen, dass unsere Kinder mit Blick auf die großen Chancen der Digitalisierung für das spätere Arbeitsleben bereits in der Schule einen verantwortlichen und sinnvollen Umgang mit den neuen technischen Möglichkeiten erlernen und ihnen zugleich neue, interessante Wege der Wissensvermittlung eröffnet werden.

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