Sprache in Auflösung: Sätze, die keine Sätze sind
Eine Marotte macht Schule: Nimm den zweiten Teil eines Satzes, setze davor einen Punkt und verunstalte ihn zu einem eigenständigen Satz ohne Subjekt, ohne Prädikat, ohne Sinn und ohne Verstand.
Die Marotte, die manche als literarisch rühmen, ist nicht nur im Feuilletons zu finden, sondern auch im Sportteil, wie in der FAZ vom 23. November 2012:
Auch wegen Mario Götze, der gegen Ajax drei Treffer, erzielt von Reus (8. Minute) und Lewandowski (41./67.) mit zielstrebiger Eleganz vorbereitete, und das 2:0 nach einem seiner spektakulären Sololäufe selbst erzielte (36.).
Das ist der komplette Satz. Er gehört zum Satz, an den er anschließt:
Alles scheint inzwischen möglich für dieses Perpetuum mobile des Meistertrainers Jürgen Klopp.
Statt des Punkte hinter Klopp wäre ein Gedankenzeichen sinnvoll. Der „auch-wegen“-Satz wird zudem unverständlich
1. durch drei Klammern,
2. durch fünf Zahlen (die ans Ende des Textes in eine Übersicht gehören),
3. durch ein Komma, das fehlt hinter „Lewandowski“, am Ende der Apposition zu „Treffer“,
4. durch ein Hängeverb: Zwischen „Götze, der gegen Ajax drei Treffer..“ und „vorbereitete“ stehen neun Wörter,
5. und durch den zweiten Relativsatz, der nicht mehr erkennbar ist, weil das zweite „der“ fehlt: „und (der) das 2:0 selbst erzielte“.
Es bleibt ein Geheimnis des Autors, warum Götze einen Vornamen bekommt, Reus, Lewandoswki und Hoesen aber keinen bekommen
Im folgenden Satz hemmt ein Klammerverb das Verstehen:
Das eine Törchen für Ajax durch Hoesen (86.) nahm er von der Bank aus, auf die er in der 70. Minute unter donnerndem Applaus von rund 5000 Dortmunder Fans gewechselt war, en passant zur Kenntnis.
Zwischen „nahm er…“ und „…zur Kenntnis“ stehen 23 Wörter und Zahlen mit einem eingeschobenen Nebensatz. Diese Umklammerung ist unverständlich, aber in der deutschen Grammatik korrekt – im Gegensatz zur englischen. Diesem Unsinn können wir nur ein Ende bereiten, wenn wir zwischen die beiden Verbteile maximal fünf Wörter stellen und nie ein Nebensatz.
(zu: Handbuch-Kapitel 22 Warum alles Informieren so schwierig ist + 27 Vorsicht, Zahlen!)
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