Tante Lisa und das „Wulffen“ (Friedhof der Wörter)
Nach Guttenberg schlängelt sich auch Wulff ins Wörterbuch. „Guttenbergen“ bedeutet im Schülerjargon „abschreiben“. So eindeutig ist die Bedeutung von „Wulffen“ noch nicht.
In einem Internet-Tagebuch ist zu lesen: „Meine Ex hat mir am Wochenende unseren Sohn nicht gegeben. Na, die habe ich aber gewulfft.“
Der Mann, der einmal ein Ehemann war, meint offenbar: Ich konnte meiner Ex-Frau nicht in die Augen sehen, aber ich habe ihr in meiner Wut auf der Mailbox so richtig die Meinung gesagt.
Die zweite Bedeutung von „Wulffen“ ist: Die Halbwahrheit geschickt (oder ungeschickt) sagen. Georg M. Oswald, einer der besten deutschen Kolumnisten, erzählte in der FAZ diese Geschichte:
Ein hochrangiger Manager Zett, der ins Gerede gekommen ist, belauscht zu Hause ein Gespräch zwischen seinem Sohn und seiner Frau. „Wer hat Dir das Geld für das teure Handy gegeben“, will die Mutter wissen. „War es Onkel Gerk – oder Dein Vater?“
Der Sohn schweigt, wird bedrängt und sagt schließlich: „Nein, weder der Onkel noch mein Vater.“ Die Mutter bedrängt nun den Vater: „Bring ihn zum Reden!“
Der Vater knöpft sich den Sohn vor: „Du sollst Dich nicht um Kopf und Kragen reden, aber darfst auch nicht lügen! Von mir hast Du das Geld nicht. Von wem also?“
Okay, sagt der Sohn. „Es ist nicht von Onkel Gerk, es ist von Tante Lisa, seiner Frau.“
Der Sohn, in die Enge getrieben, hat gewullft – auch wenn Georg M. Oswald dieses Wort nicht benutzt.
Die dritte Bedeutung für „Wulffen“ ist denkbar: „Eine Affäre aussitzen“. Doch genug – „Wulffen“ wird sich auf Dauer nicht halten, das Grab auf dem Friedhof der Wörter ist schon vorbereitet. Die Affäre ist zu dünn – oder, um neudeutsch zu reden: nicht nachhaltig genug.
Kolumne „Friedhof der Wörter“, Thüringer Allgemeine vom 16. Januar 2012
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