Wolf Schneider: Wie werde ich ein Sprach-Liebhaber? (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 9. Mai 2015 von Paul-Josef Raue.

Den schönsten Heiratsantrag der Literatur schrieb Wilhelm Busch, und Wolf Schneider, der Meister der deutschen Sprache, zitiert ihn als Vorbild in seinen Memoiren:

Mädchen, sprach er, sagt mir, ob…
Und sie lächelt: Ja, Herr Knopp.

Wie alt kann einer werden, der die deutsche Sprache liebt? 90 Jahre und noch mehr – dabei jung im Kopf und immer noch auf den Beinen, wenn auch mühsamer als zuvor. Wer eine Sprach-Kolumne schreibt wie diesen „Friedhof der Wörter“, der muss Schneider zum 90. gratulieren, wenn auch einige Tage zu spät: Aber Kolumnen haben ihren Rhythmus, und das Leben hat einen anderen.

Schneider erzählt, wie ihn nicht Deutschlehrer, sondern der sprachverliebte Vater zum Liebhaber der Sprache machte: Beim Sonntagsfrühstück, die Familie komplett beisammen! Zwei Stunden tafelte und plauderte die Familie, damit sich die Mutter das Mittagessen sparen konnte. Der Vater deklamierte Heinrich Heine, Wilhelm Busch und Christian Morgenstern:

Korf erfindet eine Mittagszeitung, welche, wenn man sie gelesen hat, ist man satt.

Brunch nennen wir das lange Frühstück heute, „bransch“ gesprochen. Schneider mag keine Anglizismen, aber er mochte das Sonntagsfrühstück, und er müsste zugeben: Bransch ist viel kürzer und schöner.

Deutschlehrer mag Schneider nicht, und so erwähnt er sie in seinen Memoiren auf 447 Seiten auch nur mit einem schönen langen Satz: „Die Deutschlehrer sollten zur Kenntnis nehmen, dass man mit völlig korrektem Deutsch einen Leser verscheuchenden, Leser ohrfeigenden Unfug treiben kann.“

Nun werde ich wieder viele böse Briefe von Deutschlehrern bekommen.

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Thüringer Allgemeine, 11. Mai 2015, „Friedhof der Wörter“

3 Kommentare

  • Ausgrechnet einer wie Wolf Schneider, der korrektes Deutsch von sich selber hören und auch von anderen geschrieben sehen wollte, machte die Deutschlehrer mies. Der von Raue zitierte Schneider-Satz gehört nun wirklich im „Friedhof der Wörter“ beerdigt. Ohne Hoffnung auf Wiederauferstehung. Habe gerade weder eine Statistik zur Hand, wie lange ein Deutschlehrer über den selten professionell abgefassten Aufsätzen von Schülern brütet, noch darüber, wieviele sich für ein Volontariat bewarben, weil sie Deutschunterricht mochten.
    Meine Deutschlehrer am altsprachlichen Kreisgymnasium Heinsberg mit neusprachlichem Zweig (NRW) Ende der 60er waren Dr. H. Zumfeld, ehemaliger Lektor im Otto-Müller-Verlag in Salzburg, der Thomas Bernhard im wahrsten Sinne des Wortes durchfütterte und in diesem katholischen Verlag zu ersten Veröffentlichungen verhalf und Dr. G. Mayer, der seine Sommerferien regelmäßig mit Carl Zuckmayer im schweizerischen Saas-Fee genoss.
    Folgende Sätze von Zumfeld sind mir in Erinnerung geblieben: „Du Arsch hattest drei Stunden Zeit, über den Kategorischen Imperativ zu schreiben. Du hast schon nach anderthalb Stunden geliefert, wahrscheinlich, um dich mit deiner neuen Freundin zu treffen. Unter großen Schmerzen geboren musste ich eine 1 drunterschreiben.“ – „Wolfgang, merke dir: Handschrift ist ein sozialer Akt!“
    Mayer liebte Lyrik, ich nicht: Unter meine Interpretation einer expressionistischen Lyrik notierte er: „Kurz gedacht und weit gefehlt: 5.“ Bei einem Besinnungsaufsatz zum Thema Landschaftsschilderung schrieb ich „Als ich den Berg erklommen hatte, fiel mir sofort der spitze Kirchturm unten im Tal ins Auge.“ Mayer in roter Schrift am Rand: „Ist dein Auge nun vom Schmerz geheilt?“
    „Sprach-Liebhaber
    rief jüngst Schneider
    auch an P.J. Raue weiter
    mit dem üblichen Gehabe
    aus dem Friedhofsgrabe
    ist ein tolles Wortgelaber“

    • Wer nervt eine Redaktion am meisten? Die Deutschlehrer: Sie wissen alles besser und sind kaum in der Lage, einen fehlerfreien Brief zu schreiben. Ich habe meiner Deutschlehrerin viel zu verdanken, aber sie war auch eine, die nie eine Redaktion genervt hat – da bin ich mir sicher. Also, lieber Herr Kretschmer, lassen Sie mir wenigstens ein Vorurteil – und hören Sie bitte auf, Gedichte zu schreiben. Goethe war besser.

      • Lieber Herr Raue,
        warum sollte ich aufhören, mich mal an einem Gedicht zu versuchen, dass Ihre bewundernde Beziehung zu Wolf Schneider ironisiert? Dieser Herr ist doch nicht sakrosankt, oder? Außer Deutschlehrern schreiben auch Chefredakteure gelegentlich krudes Deutsch. Niemand ist in Gedanken, Worten und Werken fehlerlos. Erst recht kein kleiner Redakteur wie ich. Dass mir das unverschämte Glück widerfuhr, nach Hauptschulabschluss plötzlich aufs Gymnasium zu dürfen und kompetenten Lehrerinnen und Lehrern in die Hände fiel, denen mich Wildfang beim Übergang vom niederrheinischen Plattdeutsch ins Hochdeutsche zu hieven gefiel und auch im Umgang mit deutscher Sprache disziplinierten, hat mir letztendlich gut getan. Es sind ja nicht nur Deutsch-, Geschichts- und Sozialkundelehrer, die sich „besserwisserisch“ an Redaktionen wenden, es sind meiner Erfahrung nach auch „Heimatforscher“ und der gemeine Leser, die je nach veröffentlichtem Text sich zu Wort melden. Dies muss eine Redaktion samt Chefredakteur tagtäglich aushalten und damit umgehen können, um im Interesse des informierenden Produktes für die Käufer erkennbar lernfähig und glaubwürdig zu bleiben..Somit kaufen sie „Die Zeitung“ auch online und ermöglichen Printmedien wie Journalisten letztendlich einen halbwegs gutbürgerlichen Lebensabend. per Presseversorgungswerk. „Nerverei“ durch Kundenkritik ist Alltagsgeschäft eines jeden guten Handwerkers, dem der neugierige zahlende Kunde beim Werkeln interessiert und kritisch auf die Finger schaut. – Kann man seine Sprache lieben? Ja, was denn sonst? Den Begriff „Sprach-Liebhaber“ finde ich albern, weil schwer abgrenzbar von schierer und hohler Quasselei. Selbstverständlich höre ich nicht auf, mal gelegentlich ein Spottgedicht auch auf Schneider und Raue oder auf mich selbst zu schreiben. Dieser Form von Auseinandersetzung um Worte verdanken wir Pressefreiheit und Demokratie. Mich ärgert gerade mal wieder an mir selber eine gewisse oberlehrhafter Attitüde. Doch wie soll ich anders reagieren bei solchen Steilvorlagen von Raue? Einen Sinn für heiklen Humor jedenfalls können Sie mir und Goethe nicht absprechen.

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