Wer war Luther? Ein Urviech? Ein wortgieriger Mann? Mit Luther Wörter erfinden (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 24. Oktober 2015 von Paul-Josef Raue.

Natürlich war der Mann ein Naturereignis, ein Sprachfex.

So beginnt die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff ihren Essay über Martin Luthers Wortgewalt – und scheitert gleich im ersten Satz. „Sprachfex“? Was bedeutet das Wort?

Der „Sprachfex“ schlummert am äußersten Rand unserer Sprache, er taucht nur selten auf. Selbst bei Goethe, der gern mit den Wörtern spielte, entdeckt man nur einmal einen Fexen – im „Faust“. Der Teufel spricht von „Hexenfexen“ und vergleicht sie mit „Gespenstgespinsten“ und „kielkröpfigen Zwergen“.

Schlauer ist man nicht: Ist der Sprachfex also ein Hexenmeister der Sprache? Einigen wir uns darauf: Ein Hexenmeister.

Nur – passt der zu Martin Luther, dessen 498. Reformations-Gedenken am kommenden Sonnabend ansteht? Kaum. Doch wer über Luther und die Sprache schreibt, will ihm folgen und kräftige Wörter erfinden.

Aber Vorsicht! Nicht jeder, auch nicht jeder, der schreiben kann, hat Luthers Format. Sibylle Lewitscharoff erfindet ein Synonym nach dem anderen für Luther:

Erst das Naturereignis, dann der Sprachfex, gefolgt vom großen Reformator, dem entlaufenen Mönch, dem sprachlichen Urviech, dem Judenhasser, dem außerordentlich begabten Mann, dem wortgierigen Mann, dem Unruhestifter, dem Prophet des Weltendes. So viele Wörter für einen Mann – wer will sie alle verstehen?

Und was hat Luther mit unserer Sprache getan?

Er hat mit seinen kräftigen Händen darin herumgerührt, sie mit einer nicht scheuen Zunge unter die Leute gebracht, ein enormes Sprachgewitter erzeugt, ein dunkeldrohendes Saftdeutsch mit hellen Aufflügen geschrieben und die Wörter am Zügel der Knappheit laufen lassen.

Genug der Bilder! Genug der Sprachgewalt! Es ist noch viel Platz auf dem Friedhof der Wörter.

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Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter, 26. Oktober 2015

Sibylle Lewitscharoffs Essay „Von der Wortgewalt“ eröffnet den Sammelband „Denn wir haben Deutsch. Luthers Sprache aus dem Geist der Übersetzung“ (Matthes & Seitz-Verlag, 336 Seiten, 24.90 Euro)-

 

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