Die wandernde Wiederholung: Luther lässt die Wörter tanzen (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 28. November 2015 von Paul-Josef Raue.

So kennen wir Luther – als Schöpfer der deutschen Sprache und als Erfinder kräftiger und die Jahrhunderte überdauernde Ausdrücke:

Rüstzeug, Fratze, Denkzettel, wetterwendisch, Feuertaufe, Machtwort, Schandfleck, Lückenbüßer, Gewissensbisse, Lästermaul, Lockvogel, zusammengebissene Zähne, Ausposaunen und Tappen im Dunkel.

Diese Wendungen zusammengetragen hat die Übersetzerin Susanne Lange, die in Barcelona lebt. Sie rühmt den Luther für seine prächtigen Übersetzungen der Bibel, aber lenkt den Blick auch auf einen Luther, dessen Sprache recht weit entfernt ist von unserer.

Diese Erfahrung macht jeder, der die Lutherbibel im Original liest: Die Sätze sind anders konstruiert, als wir es heute tun; die Worte taumeln scheinbar wild durcheinander. Es ist keine Freude, das Original zu lesen, selbst wenn man von der altertümlichen Schreibweise absieht und manchen Wörtern, die längst begraben sind auf dem Friedhof der Wörter.

Luther bekäme heute auch manch roten Kringel als „Ausdrucksfehler“ im Deutschaufsatz. Denn verpönt ist die Wiederholung von Wörtern, die Luther schätzte:

„Pharao sprach: Ihr seid müßig, müßig seid ihr. Darum sprecht ihr: Wir wollen hinziehen und dem HERRN opfern.“

Diese Wiederholung unterläuft Luther nicht einfach, weil ihm kein anderes Wort mit ähnlichem Sinn einfällt: Die Wiederholung ist Absicht, ist mehr als ein Echo, sie gibt dem Wort des Pharaos Kraft und Macht – sie prägt sich ein.

Die Übersetzerin Susanne Lange nennt diese Wiederholung eine „wandernde Wiederholung“, weil nicht einfach das Wort verdoppelt wird, sondern wiederkehrt in einer neuen Satzkonstruktion: Im ersten Teil „Ihr seid müßig“ steht „müßig“ als Teil des Verbs am Ende, so wie wir es kennen; im zweiten Teil beginnt der Satz mit „müßig“, also einer ungewohnten Satzstellung. Wer jetzt nicht auf das „müßig“ aufmerksam geworden ist, ist ein schwacher Leser.

Sprache ist mehr als eine Ansammlung von Wörtern, Sprache hat einen Rhythmus – und nicht nur in der Literatur. Luther lässt die Wörter tanzen.

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Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter, 30. November 2015

Diese Kolumne folgt dem Essay von Susanne Lange in dem Buch „Denn wir haben Deutsch“ (Matthes & Seitz-Verlag, 336 Seiten, 24.90 Euro).

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