Warum „Sandy“ zum Monster wird (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 16. November 2012 von Paul-Josef Raue.
Geschrieben am 16. November 2012 von Paul-Josef Raue in Friedhof der Wörter.

Sandy ist ein netter Name. Wir stellen uns Sandy als freundliche junge Frau vor, die bald einen ebenso freundlichen jungen Mann heiraten wird. Sandy war ein netter Name. Seitdem Wissenschaftler den Sturm, der Teile von New York verwüstete, Sandy nannten, hat Sandy seinen freundlichen Klang verloren.

Zu allem Überfluss haben wir Deutschen „Sandy“ auch noch einen Vornamen gegeben: Monstersturm. Der kommt im Wortschatz der Meteorologen gar nicht vor: Hurrikan und Orkan sind die Steigerungen von Sturm, also prägnante, Schrecken andeutende Wörter. Warum greifen wir zum „Monster“, wenn wir kurze und starke Wörter nehmen könnten?

  • Zum einen ist es die Sorge, als unwissenschaftlich gescholten zu werden: Die Experten hatten den Hurrikan zum Sturm abgestuft.
  • Zum anderen ist es die berechtigte Sorge, dass „Sturm“ harmlos klingt angesichts der Opfer und Zerstörungen. Da erinnern wir uns an die Kraft der Legenden, über die wir sonst eher lächeln.

Wenn sich Menschen in den alten Zeiten wehrlos fühlten gegen die Natur, verwandelten sie Unwetter und Katastrophen in lebende Wesen – etwa in einen Drachen, der eine Stadt bedroht, Menschen vertilgt und schließlich von Georg, dem Helden, getötet wird. Die Zeit der Drachen ist nie vorbei.

Unser Drache heißt Monster, ist ebenso hässlich und groß. Und wenn wir, die alles beherrschen wollen, die Natur nicht beherrschen, machen wir es wie die Alten und erfinden uns einen Drachen.

Thüringer Allgemeine 12. November 2012

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