Von den Tücken der deutschen Sprache: Kindertauschbörsen und Stapel-Hauptwörter (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 27. März 2015 von Paul-Josef Raue.
Geschrieben am 27. März 2015 von Paul-Josef Raue in Aktuelles.

Im Frühjahr werden nicht nur Kirschbäume und Gänseblümchen wach, sondern auch die Menschen. Alle, fast alle erwachen aus dem Winterschlaf – und räumen auf. Wer nicht zur Wegwerfgesellschaft gehören will, schließt sich der Tauschgesellschaft an.

Überall wird getauscht: Alte, aber nie gehörte CD, neuwertige Skihosen, Wasserpfeifen aus Istanbuls Basar und Matroschkas von der Krim. Immer beliebter werden „Kindertauschbörsen“. Was wird da getauscht? Bei der CD-Börse werden CD getauscht, bei der Matroschka-Börse die Matroschkas – aber bei den Kindertauschbörsen?

Als die Gemeinde Ostramondra kurz vor Weihnachten zu solch einem Basar einlud, wunderte sich Armin Burghardt über die Unlogik unserer Sprache. Er ist Lokalredakteur der Thüringer Allgemeine in Sömmerda und dachte über die Tücke der Sprache in der „Guten Morgen“-Kolumne nach:

„Schon klar dass da keine Kinder getauscht werden sollen, können, dürfen. Dass es auf einem Kuchenbasar Backwerk gibt, versteht sich von selbst. Dass auf einem Babybasar dagegen kein Handel mit Neugeborenen betrieben wird, ist auch jedem klar. Nur der Begriff unterstellt anderes.“

Wenn unsere Sprache nur immer logisch wäre! Gerade die Möglichkeit, Hauptwörter endlos stapeln zu können, unterscheidet die deutsche Sprache von den meisten anderen. Sie führt zu sinnvollen neuen Wörtern wie „Elterngeld“, umstrittenen wie „Unrechtsstaat“, widersprüchlichen wie „Jägerschnitzel“ und „Kalbsschnitzel“, praktischen wie „Hausschlüssel“, langen wie „Heuschreckenkapitalismus“, scherzhaften wie „Liebestöter“, schönen wie „Liebstöckel“ und zärtlichen wie „Lächelmund“, den Goethe erfunden hat.

Eindeutig ist keine Zusammensetzung, weder die „Kindertauschbörse“ noch das „Kindbett“, denn in dem liegt nicht das Kind, sondern die Mutter. Als jüngst in Dresden die witzigste Karikatur des Jahres gesucht wurde, zeigte eine den Arzt, der ein Haus abhorcht. Eine Frau fragt ihn: „Was machen Sie denn da?“ Er antwortet: „Ich bin der Hausarzt.“

 

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Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter, 30. März 2015 (Neufassung einer früheren Kolumne, die nicht erschienen war)

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