Wenn Politiker drohen

Geschrieben am 5. Januar 2012 von Paul-Josef Raue.
Geschrieben am 5. Januar 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Presserecht & Ethik.

Rollt eine Lawine von Entlarvungen auf uns zu?  Redaktionen drucken (endlich?), welche Politiker ihnen schon gedroht haben. Den Anfang macht jedenfalls Hans Hoffmeister,  Chefredakteur der „Thüringischen Landeszeitung“, in der heutigen Ausgabe mit einem „Schlüsselloch – extra“ (5. Januar 2012, Seite 3):

 

„Da denkt man glatt, das gibt’s doch nicht. Nicht bei uns in Thüringen!

Sie, verehrte Leser, glauben bestimmt, bei uns sei die Welt noch in Ordnung. Also so eine Nummer, dass ein Spitzenpolitiker den Chefredakteur anruft und bedroht, mit dieser speziellen Berichterstattung über ihn werde jetzt der sprichwörtliche Rubikon überschritten – doch, das gab’s. Auch bei uns.

Zum Beispiel Herr Kaiser. Der Regierungssprecher, den wir – nun ja – recht nett, doch etwas fahrlässig zu dessen 50. Geburtstag Bernhard Vogels besten Mann genannt hatten, gebärdete sich zwar selten, aber dann doch noch viel schlimmer als unser aller Bundespräsident.

Irgendetwas Schreckliches stand auf der Titelseite, und der Kaiser brüllte ins Telefon – so unartikuliert, dass man fast nichts verstand. Dann – man hatte gerade zum Zurückbrüllen angesetzt – brach seine Stimme ab. Die Heiserkeit hatte ihn übermannt, der Sprecher sprach nicht mehr. Er kriegte darauf gegen die entzündeten Mandeln eine vom eigenen runden Geburtstag übriggebliebene Flasche Château-neuf-du- Pape, um die es einem heute noch leidtut, per Kurier abgegeben mit guten Genesungswünschen bei der Wache in der Staatskanzlei. Ob er sie je wirklich gekriegt hat, hat er nie bestätigt. Der Kaiser dachte wohl, der Rotwein sei viel teurer als Geschenke, die solchen wie ihm erlaubt seien. Da war Wulff nicht so pingelig – er nahm einfach. Zum Beispiel das besondere Vorteilsdarlehen.

Dass so ein Spitzenpolitiker dann auch noch den Verlagsgeschäftsführer der Zeitung anruft, der ja mit dem Inhalt eben dieser Zeitung überhaupt nichts zu tun hat, gell?, um den Chefredakteur von der Seite unter Druck zu setzen, damit der also mal diesen Herrn so richtig unter vier Augen stramm stehen lässt, das gibt’s nicht, denken Sie?

Doch, gibt’s auch. Der große weise Bernhard Vogel machte sicher manches, aber d a s nie. Vermeintlicher Meister auf dem Gebiet bleibt unerreicht Kulturminister Christoph Matschie – in bleibender Erinnerung mit seinem Manöver wg. der TLZ-Aktion pro Seemann. Auch Wirtschaftsminister Matthias Machnig ist da nicht bange. Überhaupt – die Thüringer Obersozis sind gar nicht pingelig und baggern schon mal wie blöde.

Dass ein Spitzenpolitiker sodann auch noch den Oberchef des Chefredakteurs, also gaaaanz oben, anspricht, um den Druck ins Unermessliche zu steigern, das, denken Sie, gibt’s bestimmt nicht – nicht bei uns in Thüringen? Wieder Irrtum. Der frühere Vize-MP Gerd Schuchardt (auch SPD) brachte das fertig – steckte einen Stapel gesammelter unliebsamer TLZKommentare in einen Umschlag, schön ordentlich versehen mit einer Büroklammer, um sie nach Essen zu schicken. Der Chef der SPD-nahen Friedrich- Ebert-Stiftung in Erfurt, Werner Rechmann, hinderte ihn – und führte stattdessen ein Gespräch mit dem Chefredakteur im „Elephant“ in Weimar bei zwei groooßen Hennessy. Über Schuchardt wurde milde gelächelt, und eine Freundschaft entstand: Die TLZ hatte mit Rechmann fortan über Jahre einen Horchposten in der SPD.

Den größten Hammer leistete sich dann ein CDU-Spitzenmann. Nicht etwa Bernhard Vogel überschritt den Rubikon, sondern Dieter Althaus. Er verlangte gaaaanz oben die Ablösung des TLZ-Chefredakteurs – und holte sich eine Fahrkarte. Am Ende vergeigte Althaus trotz solch verzweifelter Manöver seine Wahl. Vorher ließ er noch schnell in der illustrierten Postille „Tolles Thüringen“ in Millionenauflage auf Seite 9 grau unterlegt verbreiten, der TLZ-Chefredakteur sei ja krank und werde gehen. Was ihm den Rest gab: Die tollen Leser fanden das nicht toll, sondern widerwärtig.

Die ein bisschen pharisäerhafte Einstellung „Gut, dass wir nicht sind wie diese da in Berlin“ ist also auf Thüringen nicht durchgängig anzuwenden.Übrigens: Entschuldigt hat sich hier zu Lande nie jemand der Herren für solche Übergriffe auf die freie Presse, anders als Wulff.

Weil das (fast) alles mittlerweile Historie ist, unterliegt es heute – lang ist’s her – nicht mehr einer gewissen Rücksicht, die wir uns gern auferlegt hatten.“

 

2 Kommentare

Diskutieren Sie mit uns den Artikel "Wenn Politiker drohen"