Demut tut auch Journalisten gut: Interview mit einem Flüchtlingshelfer in Nahost

Geschrieben am 22. Juli 2016 von Paul-Josef Raue.
Muhannad Hadi im Interview mit der Süddeutschen Zeitung (22. Juli 2016)

Muhannad Hadi im Interview mit der Süddeutschen Zeitung (22. Juli 2016)

Wir wissen oft nicht, wer gerade gegen wen ist, und Kugeln tragen keinen Absender. Im Krieg gibt es keine Engel…  Die Engel sind die Menschen, die zu überleben versuchen. Die kleinen Kinder, die plötzlich aus Ruinen auftauchen, wo kein Mensch noch Überlebende vermutet…

Wenn du dort bist, wirst du als Helfer zu einem, der funktionieren muss. Der in alle Richtungen schaut, angerührt ist und gleichzeitig ständig auf der Hut sein muss.

So Muhannad Hadi, Leiter des UN-Welternährungs-Programm (World Food Programm), im Interview mit Michael Bauchmüller und Stefan Braun von der Süddeutschen Zeitung. Die Reihe „Reden wir über Geld“ ist eine Perle der Wirtschaftsseiten: Geld, viel Geld,  spielt nicht nur in Unternehmen und Konzernen und an den Börsen eine Rolle, sondern überall wo Menschen leben – und sei es in syrischen Ruinen.

Der Appell an die Demut könnte auch ein Appell an Journalisten sein, ihre Redaktionsräume einmal im Jahr zu verlassen und dorthin zu reisen, wo Armut und Not herrschen:

Es ist verrückt, aber das Erleben von Not schenkt einem etwas: dass man das, was man hat, ganz anders schätzt. Und man schaut plötzlich anders auf seine Umwelt…
Wenn du aus einem Flüchtlingslager zurückkommst in ein schickes Hotel, in ein Restaurant, dann denkst du ganz anders über die Leute, die sich gerade am Nebentisch über ein falsches Gedeck, eine versalzene Soße, ein schlecht gebratenes Steak beschweren. Manches wird lächerlich.

Der IS und das Geld ist keine neue Nachricht: Aber was geschieht in den Köpfen und Seelen der Menschen, die gut von diesem Geld leben?

Der IS ist kein Staat, aber er verhält sich wie ein Staat, und er fordert uns heraus. Er hat große finanzielle Ressourcen; eine Familie bekommt in ihrem Herrschaftsbereich bis zu 400 Dollar im Monat, während ein Universitätsprofessor in Damaskus nur 20 Dollar bekommt. Das klingt ganz banal und ist extrem gefährlich…

Wenn eine Mutter ein paar Hundert Dollar vom IS nimmt, dafür dass sie Kinder erzieht, sich an die strengen Regeln hält, überleben will – was für ein Gift verbreitet sich dann in den Köpfen ihrer Kinder? Was für einen Effekt hat das auf künftige Generationen? Was da entsteht, ist eine Katastrophe.

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Quelle: SZ 22. Juli 2016 „Im Krieg gibt es keine Engel“

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