Der 17. Juni, BILD – und die „DDR“ in Tüttelchen (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 16. Juni 2013 von Paul-Josef Raue.

Sprache fällt nicht vom Himmel und nur selten aus dem Maul des Volks. Sprache wird öfter von Politikern, aber auch von Journalisten manipuliert; sie ist selber ein Politikum.

Wer in Artikel von westdeutschen Zeitungen schaut, die nach dem 17. Juni 1953 erschienen, liest selten von der „DDR“, sondern von der „Sowjetzone“, der „SBZ“, der „ Ostzone“ oder einfach von der „Zone“. Das Wörterbuch der Akademie der Wissenschaften in Berlin-Brandenburg nennt die Wörter Ostzone und Zone „derb“, der Duden nennt sie „veraltet, oft abwertend“.

Der Duden hat Recht. Wer von der „Zone“ schrieb oder sprach, der meinte: Die Bürger sind nicht frei, leiden noch unter der Knute der sowjetischen Besatzer – im Gegensatz zur freien Republik im Westen, die sich weitgehend von den Besatzern abgenabelt hat. Sprache verrät die Haltung.

In der Bildzeitung oder in der „Welt“ schrieben die Journalisten bis in den Sommer 1989 hinein die „DDR“ mit Tüttelchen – als ein Zeichen, so der Chefredakteur, „für unseren Standpunkt zu Freiheit und Selbstbestimmung“. Deutlicher kann man nicht festlegen, dass Wörter politisch sind und ein Mittel im Meinungs-Streit – auch gegen die Wirklichkeit.

Als „Welt“ und „Bild“ im August 1989 die „DDR-Tüttelchen“ abschafften, schrieb Altbundeskanzler Helmut Schmidt: Der Versuch hat sich überlebt habe, Journalismus gegen die Wirklichkeit zu betreiben.

Die Süddeutsche Zeitung konnte ihre Ironie nicht halten und kommentierte „Den Staatslenkern des real existierenden Sozialismus wird schon etwas fehlen, wenn sie zum ersten Male ungeschützt in ‚Bild‘ entdecken werden – die DDR, ganz nackt!“ Die Bildzeitung blieb
ungerührt: „Wir ändern die Schreibweise, nicht die Überzeugung.“

Die DDR-Staatsführung und die SED-Zeitungen wehrten sich auf ihre Weise und nannten den Westen: „BRD“. Und wer im Westen „BRD“ schrieb, wurde überführt als Kommunist und Verfassungsfeind.

Und das Volk, dem wir abschließend aufs Maul schauen, sprach schlicht von „drüben“ – was auf beiden Seiten funktionierte und richtig war und ist, bis heute.

Thüringer Allgemeine 17. Juni 2013 (Kolumne Friedhof der Wörter)

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