Der digitale Habitus und das Ende des Journalismus

Geschrieben am 7. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue.
Geschrieben am 7. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Online-Journalismus.

Wenn alle mit allen kommunizieren können, dann brauchen wir in unserer Wirklichkeit keine Vermittler mehr, keine Parlamente, keine Politiker, keine Ausschüsse, keine klassischen Journalisten mehr. Das Netz wird zur ersten und einzigen Instanz, zum wahren öffentlichen Raum.

So verändert sich unser Denken, unser gesamtes Erscheinungsbild, unser Habitus. Es ist der Habitus des Menschen, der nur auf eine Taste drückt und sofort ein Ergebnis sehen will, eine Information erhalten oder eine Entscheidung herbeiführen.

Der Kulturwissenschaftler Byung-Chui Han, Professor an der Berliner Universität der Künste, hat den digitalen Habitus beschrieben:

  • Der digitale Habitus lässt Dinge nicht zu, die langsam reifen müssen; was Zeit braucht, wird als intransparent  wahrgenommen.
  • Der digitale Habitus kann keine Zukunft gestalten, ist nur auf das Jetzt fokussiert.
  • Zum digitalen Habitus gehören Ungeduld, Nicht-Warten-Können, die Unfähigkeit zur Langeweile (als eine Quelle der Kreativität).
  • Zum digitalen Habitus gehören Unverbindlichkeit, Beliebigkeit und Kurzfristigkeit; es schwächt das Verantwortungsgefühl.
  • Zum digitalen Habitus gehört die selbständige Produktion von Zeichen, unabhängig von der Qualität.

Wie verändert der digitale Habitus die Politik? Es gibt eine „Echtzeit- oder Präsenz-Politik“, es folgt die „Abschaffung der Repräsentation, also der politischen Repräsentanten, denn diese verursachen einen Zeit- und Informationsstau“. Dieser Habitus sei, so Byung-Chui Han, verantwortlich für die Krise der repräsentativen Demokratie.

Quelle: FAZ, 4. Oktober 2012 (Byung-Chui Han: Im Schwarm – Wir fingern heute nur noch, statt zu handeln. Souverän ist, wer über die Shitstorms des Netzes verfügt. Das ist das Ende der Politik.)

(zu: Handbuch-Kapitel 5 Die Internet-Revolution)

 


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