Der Drops ist geluscht – oder noch nicht (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 13. September 2015 von Paul-Josef Raue.
Geschrieben am 13. September 2015 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, D. Schreiben und Redigieren, Friedhof der Wörter.

Politiker freuen sich, wenn sie in der „Tagesschau“ zu sehen sind. Doch wenn sie am nächsten Tag mit Freunden oder Bekannten zu Hause sprechen, hören sie nicht: „Toll, wie Du gestern das Problem benannt hast!“

Nein, der einen fiel die neue Krawatte auf, dem anderen der freche Haarschnitt – und einem dritten das Wortspiel: „Das mit dem Drops, das muss ich mir merken“.  Und worum ging’s? „Irgendwas mit Flüchtlingen? Oder war es der Haushalt?“

Es ging um den Haushalt, als der Erfurter SPD-Bundestags-Abgeordnete Carsten Schneider in der „Tagesschau“ für einige Sekunden zu sehen und zu hören war: „Der Drops ist noch nicht gelutscht!“

Der Drops ist ein neues Sprachbild, er ist – bildlich gesprochen –  erst seit einigen Jahren in aller Munde; der „Redensarten-Index“ im Internet listete den Drops erstmals vor zehn Jahren auf. Wer so spricht, will sagen: Wenn Du den Drops gelutscht hast, ist die Sache erledigt – und wenn nicht, dann eben nicht.

Jeder könnte sagen: Die Sache ist erledigt – und jeder würde uns verstehen. Aber wir mögen die Verzierung der Sprache, wir mögen den Klang besonderer Wörter wie den  „Drops“, der aus dem Alltag fast verschwunden und vom „Bonbon“ verdrängt worden ist.

Doch der „Drops“ überlebt – im Sprachbild, weil es ein schönes, kurzes, sinnliches Wort ist: Einen Drops zu lutschen, ist ein kleines Vergnügen, wenn wir aus dem Alltag herausfallen wollen. In Dialekten finden wir ähnlich nahrhafte Bilder: Wer in Bayern Urlaub macht, hört „Der Kas ist bissen“, der Käse ist gegessen; im Schwarzwald „Der Käs isch gefressen“. Die Sprachvölker im Süden schätzen in der Sprache das Herzhafte, nicht das Süße.

In allen  Fällen, ob süß oder käsig, müssen wir das Sprachbild übersetzen: Der Spaß ist eigentlich vorbei, wenn sich der Drops mit unserer Hilfe aufgelöst hat. Das Sprachbild handelt also vom Ende der Lust, wir meinen allerdings das Gelingen einer Sache.

Aber so ist das bisweilen mit den Sprachbildern: Wir mögen mehr den Klang mehr als ihren Sinn. Der Drops ist gelutscht!

 

4 Kommentare

  • Haben wir den „Drops“ nicht auch der lustigen Fußball-Talkmaster-Clique um Reinhold Beckmann, Johannes B. Kerner und Wolff-Christoph Fuss zu verdanken, die uns mit immer wieder neuen Sprachverformungen zu überraschen versteht?

    Dazu fällt mir ein Text ein, den ich schon vor einer Weile geschrieben habe:

    „Es ist angerichtet“ schwafelt der Fußball-Reporter begeistert beim Anpfiff und freut sich, dass er nun mindestens 90 Minuten Zeit hat, ohne Widerrede sein gesammeltes Dummdeutsch, unpassende Bilder sowie allerhand Floskeln und Alltagsgeschwätz in den Hirnen seiner Zuhörer zu verankern.
    „Es ist angerichtet“, jubelt er – wenn der Stürmer „ein Stück weit“ im Abseits steht, während der Regisseur ihm den Ball passenderweise „durchgesteckt“ hat, damit er ihn „einnetzen“ kann. Dann ist es eigentlich auch egal, ob der Innenverteidiger „noch Vertrag“ hat, oder, der „Sechser“ im Spiel dermaßen „Gas gegeben“ hat, dass „die Luft brennt“. Hoffentlich ist seine Mannschaft dann wenigstens schon „auf Betriebstemperatur“. Und schließlich darf nicht versäumt werden, die eine oder andere wortwörtlich übersetzte englische Redewendung einzubauen, damit der Reporter „am Ende des Tages“, zur Not auch, wenn noch zehn Minuten „zu gehen sind“, „der Druck aus dem Kessel“ entweichen und der berufsfröhliche Dampfplauderer zur verbalen „Schlussoffensive“ ansetzen kann. Am Ende heißt es, egal wie es ausgeht: „Mund abputzen und weitermachen“ – fürchte ich.

    Falls Sie aufmerksam bis zum Schluss gelesen haben, verabschiede ich mich mit einer vor allem im Radio modernen Floskel zum Gesprächsende: „Vielen Dank Ihnen!“

    • Die Kritik ist berechtigt, die Beispiele stimmig – dennoch bitte ich um Verständnis für Journalisten, die neunzig Minuten unentwegt reden müssen. Die Frage ist eher: Wie können wir Sportjournalisten so schulen, dass Sie die falschen Bilder meiden und über ausreichend Wörter verfügen, die passen?

      • Das Verständnis für Dauerredner habe ich durchaus. 90 Minuten sprachlich zu füllen, ohne das Publikum zu langweilen, das ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Aber gerade weil man ein so großes Publikum hat, würde es sich (für die Reporter) wirklich lohnen, mehr in die sprachliche Genauigkeit zu investieren, als auf Teufel komm‘ raus möglichst blumige Allzweckfloskeln zu sammeln oder erfinden, die man dann im Spiel jederzeit einstreuen kann.
        Es ist ja kein Weltuntergang, dass in Fußballdeutschland offenbar niemand mehr den vollständigen Satz „Er hat noch einen Vertrag“ aussprechen kann und jeder Kreisligatrainer und -spieler der Lokalzeitung in den gleichen leeren Worthülsen antwortet wie die Bundesligavorbilder. Aber ist es nicht immer ein großes Plus der Medien gewesen, dass die journalistische Sprache nicht alle Moden mitgemacht und durch die (weitgehend) korrekte Anwendung auch Seriösität ausgestrahlt hat? Wie man sieht, färbt zumindest das schlampige Deutsch merklich auf das Publikum ab.

        Somit habe ich Ihre Frage zwar nicht beantwortet, stimme Ihnen aber voll zu. Und bin ganz froh, dass ich als Schriftjournalist meine Worte vor der Veröffentlichung besser und länger abwägen kann als ein Live-Reporter. 😉

        • ARD und ZDF könnten ihre Moderatoren schon weiterbilden, auch wenn die meisten wohl frei arbeiten. ARD und ZDF verfügen über exzellente Weiterbildung, sie haben Journalisten, die sehr gut – auch unter Bedlastung – reden können: Es ist eine Frage des Willens. Gerade wer lange frei sprechen muss, braucht Training – wie ein Fußball-Profi, der auch hundert Mal einen Freistoß übt.

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