Die Jungen wollen nicht mehr wissen, was auf der Welt los ist

Geschrieben am 10. Februar 2012 von Paul-Josef Raue.
Geschrieben am 10. Februar 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles.

Was ist nur mit den jungen Leuten los?, fragt Wolf Schneider im zweiten und abschließendem Teil seiner Dankesrede, nachdem ihm im Mai 2011 der Henri-Nannen-Preis für sein Lebenswerk verliehen worden war (erster Teil: 8. Februar in diesem Blog):

„Dazu kommt nun eine schlimme Entwicklung, die noch wenig beredet wird. Dass alles Gedruckte bedroht ist, das wissen wir ja. Die viel schlechtere Nachricht lautet: Eine wachsende Zahl von unter 30jährigen (Allensbach behauptet: schon die Hälfte!) will gar nicht mehr wissen, was auf der Welt los ist!

Peter Frey vom ZDF sieht es so: „In einer Art Slalom zappt die Klientel um alles herum, was nach Information riecht.“ Matthias Müller von Blumencron vom Spiegel sagt: „Viele Leute lassen sich eher bei Facebook durch ihre Freunde informieren als durch die Medien – das ist unsere neue Konkurrenz.“ Schon hört man von Redaktionen, die die Auswahl und die Aufmachung ihrer Stoffe danach ausrichten, dass sie die Chance haben, via Facebook möglichst oft weiterempfohlen zu werden. „Es ist Facebook, das den ,Küchenzuruf’ organisiert“, sagt der Chef von stern.de.

Und Rupert Murdoch hat gerade The Daily auf den Markt gebracht, eine Tageszeitung fürs iPad: Texte, Bilder, Töne – Nachrichten, Klatsch und vie-le Spiele. Die gute Nachricht lautet: Bisher ist The Daily ein Misserfolg. Und dabei durften und sollten die Nutzer der Redaktion dauernd schreiben, was sie sich wünschen.

Was sie sich wünschen! Eben. Damit wird die journalistische Tugend torpediert, den Bürgern auch Informationen zu vermitteln, die sie haben sollten, ob sie sie sich gewünscht haben oder nicht. Und es wird obendrein eine große journalistische Chance verspielt: nämlich zu wittern, wofür sie sich morgen interessieren werden! Selbst Leser alten Stils wissen das bekanntlich nie – anbieten muss man ihnen, was sie mögen werden! So, wie Henri Nannen Anfang der 60er Jahre dem Sternleser plötzlich Politik zumutete – zum Entsetzen von Bucerius und mit der Wirkung, dass der Stern dramatisch an Gewicht gewann, die Auflage steigerte und dem Weltruhm zustrebte.
Also: Begnadete Journalisten gesucht, die erschnuppern, womit man 18jährige zurückgewinnen kann! „Rastloser Planet sucht neuen Journalismus“, inseriert die Welt Kompakt, und sie hat recht: einen Journalismus, dessen Küchenzurufe bis in Clubs und Discos schallen.

Dabei würde uns jene Gesinnung helfen, die mir an Henri Nannen am meisten imponiert hat – er beschrieb sie nicht so, aber er strahlte sie ab, er lebte sie vor, er forderte sie ein: „Dass wir die Größten und die Großartigsten sind – das ist uns selbstverständlich viel zu wenig! Leute, krempelt die Ärmel auf!“

Und so rufe ich allen Journalisten (und zumal den hier Versammelten) zu: Dass Sie guten, dass sie brillanten Journalismus machen, das ist zu wenig, wenn der Journalismus überleben soll: Ideen müssen her! Krempeln wir die Ärmel auf!“

(zu Handbuch: Kapitel 54 „Die neue Seite 1 (Küchenzuruf)“ und Kapitel 46 „Die Redaktion: Wer hat die Macht“ und Schlußkapitel „Welche Zukunft hat der Journalismus“)

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