Was ist eine investigative Recherche?

Geschrieben am 13. Mai 2012 von Paul-Josef Raue.
Geschrieben am 13. Mai 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Presserecht & Ethik, Recherche.

Ein gesellschaftlich wichtiges Thema hartnäckig verfolgen, gegen Widerstände recherchieren und verständlich präsentieren – das ist für das „Netzwerk Recherche“ die ideale Recherche, ist journalistische Aufklärung im besten Sinne im Gegensatz zu einem erfolgreichen Scoop.

So kritisiert das „Netzwerk“  die Vergabe des Henri-Nannen-Preises in der Kategorie „Investigative Recherche“ an die Bildzeitung wegen der Berichte,  die zum Rücktritt des Bundespräsidenten Wulff führten. Der Jury des Nannen-Preises fehlt laut „Netzwerk“ offenbar zum wiederholten Mal ein klares Verständnis für die journalistischen Kriterien.

In einer Pressemitteilung des  Netzwerks ist weiter zu lesen:

„Investigativ arbeiten“ heißt nicht, wie die Jury offenbar glaubt, eine möglichst skandalträchtige Schlagzeile zu produzieren oder von anderen Medien möglichst oft zitiert zu werden. Das sind allenfalls Begleiterscheinungen.

Die Aufdeckung der Hintergründe um den Privatkredit des Bundespräsidenten Christian Wulff durch die „Bild“-Zeitung war verdienstvoll und richtig. Dennoch war sie nach den oben genannten Kriterien nicht die beste investigative Leistung des vergangenen Jahres.

Wenn der Henri-Nannen-Preis seinem Selbstverständnis als wichtigster deutschsprachiger Journalistenpreis in Zukunft noch gerecht werden will, muss er seine Entscheidungsfindung ändern. Er sollte sich dabei am Pulitzer-Preis der USA orientieren.

Ähnlich wie beim Nannen-Preis wählen in den USA zunächst fachlich qualifizierte Vorjurys diejenigen Artikel aus, die in die engere Wahl kommen. Die Hauptjury, die anschließend über die Vergabe entscheidet, besteht aber nicht wie in Deutschland aus 15 Chefredakteuren und Prominenten, sondern aus meist sieben Fachleuten pro Kategorie (beispielsweise erfahrene investigative Journalisten und frühere Preisträger).

Über der Fachjury sitzt beim Pulitzer-Preis zwar noch ein Board, dass sich in der Regel aber an das Votum der Fachjury hält und nur in Ausnahmefällen eine andere Entscheidung trifft. Sowohl die nominierten Beiträge als auch die Zusammensetzung der Jury sind bis zur Bekanntgabe der Gewinner geheim, um Einflussnahme und Lobbying zu verhindern.

Dieses Verfahren führt dazu, dass beim Pulitzer-Preis Fachleute entscheiden und nicht Generalisten nach Gefühlslage oder Proporzdenken wie viel zu oft beim Henri-Nannen-Preis.

(zu: Handbuch-Kapitel 17-18 „Wie Journalisten recherchieren“)

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