„Hintergründe aufdecken gegen Gerüchte und gefühlte Wahrheiten“ (Krüger-Interview 2)
Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, spricht im zweiten Teil des Kress-Interviews über Strategien, wie Journalisten mit Politik-Verdrossenheit oder Verschwörungstheorien umgehen sollen.
Wie gewinnen Journalisten das Vertrauen zurück? Müssen sie mehr erklären, wie sie arbeiten?
Thomas Krüger: Dies ist ja bereits in vollem Gange. Redaktionen bekommen über die Sozialen Medien unmittelbare Rückmeldungen zu ihrer Berichterstattung. Journalisten die diesen Kommunikationsweg nicht als „Meckerecke“ abtun, sondern reagieren und sich auf die Diskussion einlassen. Der Dialog ist das A und O, um herauszufinden, was die Nutzerinnen und Nutzer eigentlich möchten. Für die wiederum ist es wichtig, dass sie ernst genommen werden und in den Journalisten seriöse Partner wissen.
Ist die Medienverdrossenheit ein Spiegel der Politikverdrossenheit?
Thomas Krüger: Für bestimmte Personenkreise ist das sicherlich der Fall. Es ist ja kein Zufall, dass der Schlachtruf „Lügenpresse“ genau dort salonfähig ist, wo es Leute gibt, die – aus welchen Gründen auch immer – meinen, keine politische Stimme mehr zu haben und sich leider im demokratischen Parteienspektrum nicht mehr angemessen vertreten fühlen.
Redaktionen werden von ihren Lesern mit Verschwörungs-Theorien konfrontiert. Sollen sie darauf eingehen, wenn sie geballt in Briefen, Anrufen oder auf Facebook eintreffen?
Thomas Krüger: Auch bei der Verbreitung von Verschwörungstheorien spielt das Internet eine große Rolle. Es hat dazu beigetragen, dass viele dieser Theorien überhaupt erst im Mainstream bekannt geworden sind, darunter auch solche, die einen rechtsextremen Hintergrund haben. Unser Anspruch als politische Bildner ist es ja, alle erreichen zu wollen und niemanden verloren zu geben. Natürlich ist es schwer, Personen argumentativ zu begegnen, deren Weltbild nicht mehr auf der Grundlage des Common Sense basiert. Versuchen muss man es trotzdem. Gerade dann, wenn solche Theorien auf öffentlichen Plattformen wie Facebook gestreut werden. Denn hier erreichen die Gegenargumente ja nicht nur den Absender selbst.
Sozialpsychologen haben herausgefunden: Die Verschwörung, detailliert nacherzählt, bleibt im Kopf hängen, die Widerlegung dagegen verblasst schnell. Was bedeutet das für Journalisten? Und für die politische Bildung?
Thomas Krüger: Das bedeutet, dass sowohl die Medien als auch wir in der politischen Bildung der „Kreativität“ der Verschwörungstheoretiker ebenso kreative Angebote entgegensetzen müssen.
Wie könnte solch eine Kreativität in einer Lokalredaktion aussehen?
Thomas Krüger: Sie sollte das machen, wofür Journalismus eigentlich schon immer steht: Hintergründe investigativ und faktenbasiert aufdecken und erklären. Ich halte dies für eine der wirkungsvollsten Methoden, um emotional geführten Debatten, die häufig von Gerüchten, Vorurteilen und „gefühlten Wahrheiten“ bestimmt werden, den Druck zu nehmen und in geregeltere Bahnen zu lenken.
Sind denn die Hassprediger noch zum Dialog bereit? Die Landeszentrale für politische Bildung in Sachsen hat es versucht – offenbar ohne Erfolg.
Thomas Krüger: Wenn wir zum Beispiel von den Anführern der Pegida-Bewegung sprechen, dann geht es um Personen, die seit Jahren in ihrem Weltbild gefestigt sind und sich mit Personen umgeben, die sie in diesem Weltbild bestätigen und bestärken. Es ist sehr schwer, solche Leute noch mit politischen Bildungsangeboten zu erreichen, da diese – ab einem gewissen Alter – ja immer auf freiwilliger Basis ablaufen. Politische Bildung kann keinesfalls das alleinige Mittel sein, ein gesamtgesellschaftlicher Prozess muss angestoßen werden. Und hier sehe ich politische Bildung wiederum in der Pflicht ihren Beitrag zu leisten.
Sind also die Sympathisanten noch zu erreichen? Die Menschen, die den Hasspredigern Beifall zollen?
Thomas Krüger: Am Auf- und Abschwung der Pegida-Veranstaltungen sieht man ja, dass dem so ist. Die zunehmende Radikalisierung der Forderungen hat nicht dazu geführt, dass die Demonstrationen mehr Zulauf bekommen – im Gegenteil. Ein für mich eindeutiges Zeichen, dass auch Personen noch erreichbar sind, die dem dort verbreiteten Gedankengut in Teilen zustimmen oder in der Bewegung zeitweise ein Ventil für ihre Sorgen gesehen haben.
Nirgends ist das Vertrauen der Leser so groß wie in ihren Lokalteil. Die Wut-Briefe, die in Redaktion eingehen, zeugen doch davon, dass die Menschen seit Jahrzehnten und immer noch die Zeitung lesen. Was würden Sie als Lokalchef tun?
Thomas Krüger: Das Fundament eines erfolgreichen Lokaljournalismus ist die Recherche. Aktueller Präzedenzfall ist natürlich die Suche nach Unterkünften für Geflüchtete. Verschiedene Lokalmedien haben hier großartige Arbeit geleistet, indem sie transparent aufgezeigt haben, wie viele Geflüchtete tatsächlich in die Region kommen, welcher Ort wie viele von ihnen aufnimmt, wie sie dort leben und woher sie kommen. In der „drehscheibe“, unserem Magazin für gute Ideen und Konzepte im Lokaljournalismus, stellen wir genau solche gelungenen Beispiele vor und hoffen, dass sich andere Zeitungen an ihnen orientieren.
Gerade für die Lokalzeitungen gilt, dass sie nah an den Leserinnen und Lesern sein müssen. Sie sollten ihnen das Gefühl vermitteln, in der Presse ein Sprachrohr und eine Plattform für die vor Ort geführten Diskurse haben, gerade auch für jene, die besonders kontrovers geführt werden. Nicht umsonst unterstützt die bpb seit vielen Jahren die lokale Politikberichterstattung mit den verschiedenen Angeboten des Lokaljournalistenprogramms.
Erleben wir die Dämmerung der Demokratie? Wächst langsam wieder die Sehnsucht nach einem, der alles besser macht?
Thomas Krüger: So schwarz sehe ich auf gar keinen Fall. Laut Kishon ist Demokratie ja das beste politische System, weil man es ungestraft beschimpfen kann. Ich bin überzeugt, dass sich dessen auch viele derer bewusst sind, die gerade ihre sogenannten Sorgen sehr lautstark äußern. Außerdem erlebe ich täglich zahllose engagierte Akteure, die daran mitarbeiten, die Demokratie lebendig zu halten. Dieser Einsatz, das Wissen und der Einfallsreichtum dieser Menschen sind die Voraussetzungen dafür, dass auch jene, die an unserer Gesellschaft zweifeln, wieder auf die richtige Seite gezogen werden können.
Deshalb müssen wir sie mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützen. Auch die Rolle der Institutionen darf man nicht unterschätzen. Natürlich geben sie als „Teil des Systems“ ein dankbares Ziel für Kritik ab. Trotzdem ist es wichtig, dass Ministerien, Behörden, alle Teile der öffentlichen Hand ein klares Signal senden, indem sie Vielfalt und Demokratie vorleben. Nur so bleibt beides zukunftsfähig.
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Mit Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, sprach Paul-Josef Raue. Das komplette Interview:
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