Ist „durchgeknallte Staatsanwältin“ Schmähkritik? Nein, sagt das Verfassungsgericht

Geschrieben am 3. August 2016 von Paul-Josef Raue.
Geschrieben am 3. August 2016 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, I. Die Meinung, M. Presserecht und Ethik.
Bundesverfassungsgericht: Die Richter kleiden sich rot. Foto: Gericht

Bundesverfassungsgericht: Die Richter kleiden sich rot. Foto: Gericht

Unser höchstes Gericht kann nicht oft genug betonen: „Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit schützt nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen. Vielmehr darf Kritik auch pointiert, polemisch und überspitzt erfolgen“, so das Bundesverfassungsgericht in einer aktuellen Entscheidung. Nein, es geht nicht um den Fall Böhmermann, sondern um einen kaum beachteten Prozess in Berlin, in dem das Landgericht einen Rechtsanwalt verurteilt hatte – wegen „Schmähkritik“ an einer Staatsanwältin.

Was wenige wissen: Betrachtet ein Gericht eine Kritik als Schmähkritik, prüft es nicht mehr, ob sie unter die Meinungsfreiheit fällt. So kann ein Gericht den Artikel 5 des Grundgesetzes leicht aushebeln, besonders gerne wenn es um Richter und Staatsanwälte und andere Amtspersonen geht. Das macht offenbar das Bundesverfassungsgericht nicht mehr mit und zieht neue Grenzen.

Zum konkreten Fall:

Zwischen einem Strafverteidiger und einer Staatsanwältin kam es zu einer heftigen Auseinandersetzung, als der Mandant in Haft genommen wurde. Bei einem Telefonat mit einem Journalisten titulierte der Anwalt die Staatsanwältin als „dahergelaufene Staatsanwältin“ und „durchgeknallte Staatsanwältin“. Das Landgericht verurteilte den Anwalt zu einer Geldstrafe von  8400 Euro.

Das Urteil aus Berlin kassierte das Verfassungsgericht: Eine Beleidigung Ja, aber keine Schmähkritik. Es gab die wegweisende Begründung dazu: „Wird eine Äußerung unzutreffend als Schmähkritik eingestuft, liegt darin ein eigenständiger verfassungsrechtlicher Fehler, auch wenn die Äußerung im Ergebnis durchaus als Beleidigung bestraft werden darf.“

Jedes Gericht darf künftig nicht mehr automatisch und unbegründet von „Schmähkritik“ ausgehen, wenn eine Amtsperson kritisiert oder beleidigt wird.  Gibt es einen sachlichen Grund für die Beleidigung – wie im vorliegenden Fall – kann ein Gericht nicht mehr auf Schmähkritik setzen. Die Verfassungsrichter spekulieren ein wenig:

Hätte der Anwalt die Staatsanwältin beleidigt ohne Zusammenhang mit dem Verfahren, hätte das Gericht von Schmähkritik ausgehen können; oder hätte der Anwalt das Verfahren „nur als mutwillig gesuchten Anlass oder Vorwand genutzt, um die Staatsanwältin als solche zu diffamieren“, dann wäre es Schmähkritik. Aber um eine „Abwägung zwischen seiner Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht der Staatsanwältin“  kommt ein Gericht nicht herum, das nochmals den Fall verhandeln muss.

Einen Beleidigungs-Freibrief gibt es allerdings nicht für den Anwalt: „Ein Anwalt ist grundsätzlich nicht berechtigt, aus Verärgerung über von ihm als falsch angesehene Maßnahmen einer Staatsanwältin oder eines Staatsanwalts diese gerade gegenüber der Presse mit Beschimpfungen zu überziehen.“

Dies Urteil dürfte auch wegweisend sein für Journalisten, denen Richter und Staatsanwälte gerne mit einer „Schmähkritik“-Anklage drohen, wenn sie heftig kritisiert werden.

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Quelle: Bundesverfassungsgerichts-Beschluss vom 29. Juni 2016, AZ 1 BvR 2646/15

1 Kommentar

  • wenn sie durchgeknallt ist, ist sie eben durchgeknallt. gerade frauen (aber auch männer) in dieser position sind manchmal durchgeknallt. sie können nicht von ihrem „ich“ abweichen und bringen ihre neurosen ein. und dies ist nicht nur durchgeknallt, sondern krank. geltungssüchtige personen haben in einem modernen rechtsstaat keinen platz. sie schaden dem rechtsstaat mehr als sie ihm nutzen. den obgenannten fall kenne ich nicht, ebenso wenig die personen. mein beitrag ist demzufolge nicht individuell konkret, sondern generell abstarckt…

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