Kein Grund für linksintellektuelle Schwermut: Das Zeitungssterben fällt aus
„Die allermeisten Verlage stehen grundsolide da“, schreibt Chefredakteur Armin Maus im Samstags-Essay der Braunschweiger Zeitung über die Insolvenz der Frankfurter Rundschau und das Ende der Financial Times Deutschland. Wie stark Zeitungen seien, werde verschwiegen, weil es schlecht ins Untergangsszenario passe. Stattdessen könne man viel Unfug vom „Zeitungssterben“ lesen.
Selbst eine gut gemeinte Titelgeschichte in der Zeit, in der viel Kluges über Qualität und Verantwortung zu lesen ist, war überschrieben: „Wie guter Journalismus überleben kann“. Diese Schlagzeile transportiert ein Bild, das in seiner pathetischen Schwarzfärbung vom Hang des linksliberalen Intellektuellen zur Schwermut zeugt.
Maus kritisiert Medienwissenschaftler, Experten und Politiker und bescheinigt ihnen ein Niveau zwischen Nostradamus und Radio Eriwan, wenn sie aus unterschiedlichen Geschichten die eine vom Zeitungssterben bastelten:
- Medienwissenschaftler, hochgebildete Intellektuelle, sprechen über eine Realität, die sie mangels praktischer Erfahrung nur aus zweiter Hand kennen.
- Experten, deren Geschäftsmodell auf der These beruht, die Verlage machen ohne sie alles falsch, rezensieren vom Turme herab.
- Politiker, die die These vertreten, Tageszeitungen seien „ja nicht mehr so wichtig“.
Armin Maus stellt die Erfolge der Tageszeitungen heraus, die zu den wichtigen Faktoren des öffentlichen Lebens gehöre:
- Nirgendwo sonst in Europa gibt es eine vergleichbare Vielfalt. Deutschland spiegelt sich in seinen Regional-Zeitungen.
- 47 Millionen Menschen lesen in Deutschland täglich Zeitung.
- Leser schätzen die Unabhängigkeit der Redaktionen. Die Staatsferne, die der öffentlich-rechtliche Rundfunk für sich reklamiert, ist bei den Zeitungen Realität.
- Die Tageszeitung genießt bei den Bundesbürgern höchstes Vertrauen, liegt weit vor der „Tagesschau“.
- Das Vertrauen gilt auch für junge Leute, die sich in beachtlicher Zahl weigern, „keine Zeitung mehr zu lesen“, obwohl es allenthalben von ihnen behauptet wird.
- Die Zahl der Leser, die ein Abonnement bezahlt, ist leicht rückläufig. Nimmt man allerdings die Reichweiten der Internetangebote der Verlage dazu, sieht das Bild schon anders aus. Denn auch Leser, die keine Papierzeitung wünschen, schätzen die Informationen, die ihnen eine unabhängige Redaktion anbietet.
- Als Werbeträger haben die Zeitungen unbestreitbar an Boden verloren. Aber es gibt zum ersten Mal eine intensive Zusammenarbeit der wichtigsten Verlage, die die Schaltung bundesweiter Kampagnen erleichtert.
- Zeitungshäuser – Springer allen voran – sind auf dem Weg zum Multimedia-Anbieter.
(zu: Handbuch-Kapitel „Welche Zukunft hat der Journalismus“ + 53-57 Die Zukunft der Zeitung)
Dürfen wir es uns wirklich so leicht machen, aus bisherigen Erfolgen irgendwelche Schlüsse zu ziehen und zu vergessen, dass Zeitung ein Massenmedium ist, also auch Masse braucht, um rentabel zu sein. Diese Masse aber wird – sogar in Braunschweig – von Tag zu Tag geringer. Und das hat nichts mit den guten Ratschlägen von Wissenschaftlern und Internet-Päpsten zu tun, das ist jedermann sichtbar.
Und falls die allermeisten Verlage grundsolide dastehen – was als Momentbetrachtung stimmt – warum gibt es dann allüberall Kahlschläge ausgerechnet in der Abteilung, die das Herz der Unternehmen ist – in der Redaktion?