„Populismus“ ist das Medienwort des Jahres oder Die neue Angst der Journalisten

Geschrieben am 5. Januar 2017 von Paul-Josef Raue.
Geschrieben am 5. Januar 2017 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, C 5 Internet-Revolution, Lügenpresse.
So schickte eine Leserin der Ruhr-Nachrichten eine Seite zurück, auf denen Fakten zu Flüchtlingen aufgelistet wurden

Lügenpresse? So schickte eine Leserin der Ruhr-Nachrichten eine Seite zurück, auf denen Fakten zu Flüchtlingen aufgelistet wurden

Viele Journalisten irritiert, wie der Volksunmut mit  den Argumenten spielt: Er wirft den Journalisten Populismus vor und betreibt ihn selber in einer neuen Variante. Der neue Populismus behauptet selbstgewiss, er spreche für das Volk, für das ganze Volk; wer das bestreite, der höre nicht hin, wie das Volk wirklich denke. So sprachen einst die Journalisten, es war die Gewissheit der Medien.

Das Argument ist nicht neu, fand und findet sich immer wieder in Leserbriefen: Wer sich mit seinen Argumenten kein Gehör verschaffen kann, auch Beleidigungen und üble Nachreden nicht scheut, der schreibt, er wisse viele, wenn nicht die meisten hinter sich und wolle deshalb veröffentlicht werden.

„Populismus“ ist das Medienwort des Jahres: Ein unscharfer Begriff, aber ein geläufiger, der die Phantasie bewegt; er wurde früher für Politiker benutzt, die dem Volk nach dem Mund redeten und keine eigene Meinung hatte. Der neue Populismus ist ein Kampfbegriff der Pegida-Nachfolger. Sie schreiben keine Leserbriefe mehr, die im Papierkorb landen, sie sind allgegenwärtig und präsentabel für die alle Medien und Leitartikler.

Die neuen Populisten verraten das Heiligste der Aufklärung: das Gespräch. Die meisten von ihnen wollen nicht sprechen, wollen nicht diskutieren, wollen nicht streiten, sie wollen nur Recht behalten ohne Einspruch, ohne Wenn und Aber.

Das Bizarre an dieser Gesprächsverweigerung: Sie spiegelt die Haltung vieler Journalisten in der Vergangenheit wieder, als sie sich im Besitz der Wahrheit wähnten. Plötzlich ist nichts mehr gewiss, die Demokratie nicht, die Gewaltenteilung nicht, die Pressefreiheit nicht.

Wer es sich einfach machen will, gibt dem Internet die Schuld, jenem technischen Wunderwerk, das so schuldig oder unschuldig ist wie ein Bienenkorb: Als ob Hassprediger und Mitläufer den Hass erst mit dem Internet gelernt hätten! Der Rückgang der Auflagen und der Verlust des Vertrauens zu den Journalisten setzte vor dem Internet ein, wie ein Blick in die Statistiken belegt.

„Den Dialog suchen“, das Mantra von Journalisten, Politikern und Pädagogen, bezog sich meist nur auf einen Teil der Bürger: Man stritt unter sich, ließ die anderen zuhören und war sicher, dass sie andächtig staunten. Als die anderen nicht mehr staunten, hatten sich die meisten Journalisten in ihrem Elfenbeinturm, hoch über der Masse, schon so kommod gemacht, dass sie den Unmut nicht mehr wahrnahmen.

Viele lokale Zeitungen, die ihre Leser schon immer ernst nahmen, verlieren auch heute kaum Abonnenten und Leser: Wer seiner Zeitung und den Journalisten vertraut, für den ist seine Zeitung eine Heimat; nur wer sich heimatlos fühlt, gewinnt Sympathien für die Demagogen, die scheinbar dem Volk eine Stimme geben.

Das ist auch das Rezept gegen die neuen Populisten: Alle und alles ernst nehmen, aber alle und alles auch moderieren – ohne Zeigefinger und mit Respekt. Wer so seinen Journalismus versteht, der kann nicht nur, der muss Demagogen auch entlarven – und ausrufen wie das Kind im Andersens Märchen: „Der Kaiser ist nackt!“ Und keiner sieht’s.

Wer so als Journalist arbeitet, braucht keine Gremien, um Falschmeldungen auf Facebook zu entlarven, wie es Politikern gerade verlangen. Das schaffen gute Redaktionen besser – und es ist auch ihre Aufgabe, wenn wir den Artikel 5 unserer Verfassung ernst nehmen.

Die Angst der Politiker vor Fälschungen im Wahlkampf ist ein Vorgeschmack auf kommende Zeiten, wenn zwar noch Journalisten über Wahrheit und Fälschung recherchieren, aber zu wenige Bürger es mitbekommen. Es wird dann keine Öffentlichkeit mehr geben, die aus seriösen Medien in ausreichend großer Zahl ihre Informationen bezieht: Die Öffentlichkeit wird diffus und unberechenbar, gesteuert von Netzwerken voller Fälschungen und Gerüchten. Die Gewissheit, wie die Welt wirklich ist, wird schwinden – selbst wenn der Staat Wahrheits-Kommissionen einsetzen wird.

Wer als Journalist erst heute damit beginnt, seine Leser ernst zu nehmen, wird Geduld brauchen: Er muss den Respekt und das Vertrauen seiner Leser erst gewinnen. Ob Chefredakteure, Manager und Verlage dies wirklich wollen, steht noch dahin. Auch dies sind Entwicklungen des Jahres 2016:

  • Einige investieren Millionen in Vielklick-und Blaulicht-Portale, die nie gutes Geld verdienen werden; sie verstecken den seriösen Journalismus hinter Barrieren  – wohl wissend, dass man so weder ausreichend junge Leser gewinnen wird noch die Nicht-Leser der Zeitung.
  • Man investiert nicht in die Qualität des Journalismus, man stärkt nicht das Lokale und Regionale, sondern spart dort, wo sich die Leser zu Hause fühlen, um in Zentralredaktionen  „Synergien“ – auch ein Medienwort des Jahres – zu erwirtschaften, die kaum realisiert werden können.

Vieles wirkt panisch, auch im vergangenen Jahr: Die Werbe-Einnahmen sinken trotz einer außerordentlich guten Konjunktur – zum Teil sogar dramatisch; die Auflagen sinken, wenn auch nicht so dramatisch, und die Zahl der Redakteure wird immer kleiner. Ob der Höhepunkt der Krise erreicht ist? Das steht noch dahin.

2 Kommentare

  • Bin mit Ihnen/Dir oft einer Meinung. Bin mir aber sicher, dass „Populismus“ nicht der korrekte Begriff ist, der die Gefühlswelt deutscher Medien-Gegner trifft. Die unterstellen sehr engen und gehorsamen Meinungskontakt zwischen Medien und Politik auf allen Ebenen politischen Geschehens, vom Bürgermeister aufwärts bis zur Kanzlerin. Zu früheren Zeiten hätte auch noch die Rolle eines Pfarrers oder Ordens in dieses Schema der allgemein gängigen Verurteilung gepasst. Nun: Demokratie und samt EU und künftiger Rente sehr unübersichtliche Lage.Was genau in den Köpfen dieser so genannten „Wutbürger“ vorgeht, halte ich in vielerlei Hinsicht für ebenso nicht hinreichend erforscht wie das „Selbstbewusstsein“ von Journalisten, Politikern und bei der Dresdner Frauenkirche „lärmendem „Volk“. Für komplett doof und weiteren Dialogs für absolut unfähig halte ich diese Wutbürger nicht. Jedoch für ein „Spätwarnsystem“, das derzeit von gesellschaftlichen Eliten noch nicht mehr „lesbar“ und in der Woche vor Wahlen kaum noch zu heilen ist. Ich gucke mir oft TV-Sendungen auf Privatkanälen an, in denen irgendein Lebensproblem wie Streit unter Nachbarn um Katze/Hund oder Rachsucht nach Scheidung als noch ein harmloseres „juristisch“ aufbereitet wird. Solche TV-Kanäle, die auch in Hinsicht auf geschickte Drapierung etwas fülliger weiblicher Körper, Astrologie und tolles Handwerkszeug für eigentlich ahnungslose Männer ein Thema sind. Produktwerbung wird offensichtlich eher akzeptiert und konsumiert als die Pflege sozialer und politischer Verantwortung, die anscheinend als „Selbstläufer“ geltent. Es bedarf nur wenig Phantasie, dass nicht nur sinnbildlich „Medien“, „Wirtschaftsbosse“, „Politik“ und Pegida/AfDWähler in einem Boot sitzen und auf hoher See jeweils jede Gruppierung das Boot zum Kentern bringen kann, ohne zu koalieren, während sich Flüchtlinge daran klammern. – Als Journalist hatte ich niemals Ängste, mich Menschen freundlich und neugierig zu nähern. Von denen wollte ich mal was auf die „weiche, mal auf die harte Tour“ was wissen im Interesse der zahlenden Abonennten.
    „Lesestoff“ zu liefern war immer mein kritischer Dienst. Daher möchte ich ungern von „neuer Angst der Journalisten“ sprechen. Schließlich bin ich nach wie vor nicht der einzige, der
    kritische Intelligenz und Kommunikation ob bei Feuerwehrfesten, in der Berichterstattung über Gemeinderats- und Stadtratssitzungen wie Interviews mit „hochrangigen Politikern“ genaue Beobachtung und sachliches Wissen ausgespielt hat.
    Mir gefällt es, dass in meiner ehemaligen Redaktion längst junge Journalistinnen und Journalisten arbeiten, die gut mit normalen Menschen und „Entscheidungsträgern“ umgehen, obwohl denen bei stark ausgedünntem Redaktionsetat und längst minimierter Bezahlung das berufliche Leben schwer gemacht wird.
    Uns allen müsste doch viel mehr Sorge bereiten, dass „postfaktisch“ zum Wort/Unwort des Jahres gewählt wurde. Wer sich inforierend im Internet umschaut, muss mit einigem „Beschiss“ rechnen. Aber darum geht es m.E. den meisten Usern gar nicht. Sie wollen und
    möchten und suchen auf oft ungückliche Weise „Gemeinschaft“. Diesen Edelstein im Herzen vieler Menschen müssen wir aufgreifen. Wolfgang Kretschmer

  • Schließe mich den Worten von Wolgang Kretschmer an.
    Anton Sahlender

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