Redaktionen verstoßen nach Airbus-Absturz gegen ihre Regeln: Trauernde ungepixelt auf Titelseite (Leser fragen)

Geschrieben am 9. April 2015 von Paul-Josef Raue.

Ein Leser aus Erfurt beklagt sich bei der Thüringer Allgemeine über das Foto auf der Titelseite, das die Zeitung am Tag nach dem Absturz der German-Wings-Flugzeugs veröffentlichte:

Als wenig rücksichtsvoll, ja pietätlos, empfinde ich die Veröffentlichung eines von Alejandro Garcia angebotenen Fotos. Es gehört sich nicht, das Foto trauernder Menschen nach einem solchen Unglück sowie nach dem Verlust eines Angehörigen in der Zeitung zu präsentieren. Sie bewegen sich damit auf der Ebene von Boulevardjournalismus. Das muss zukünftig unterbleiben.

Der Leser fragt:

War Ihre Zeitung überhaupt autorisiert, dieses Foto zu veröffentlichen? Wo bleibt die Selbstkontrolle der Journalisten? Wo bleibt der Schutz des persönlichen Bilds? Oder gilt das nicht, weil die abgebildeten Personen aus Spanien sind und sich gegen die Veröffentlichung in Thüringen kaum wehren können?


Der Chefredakteur antwortet:

Sehr geehrter Herr K.,

Sie haben Recht! Wir haben gegen unsere eigenen Grundsätze verstoßen, von denen einer lautet: Wir zeigen keine Familienangehörige oder Freunde im Bild, die nach einer Katastrophe trauern, einem Unglück, einem Mord oder Attentat.

Für diesen Regelverstoß bitten wir um Entschuldigung.

Ich möchte Ihre Fragen beantworten und erklären, wie es zu unserer Entscheidung kam – an einem Tag, der uns alle verwirrt hat.

Das Foto stammt von der seriösen spanischen Nachrichten-Agentur Efe, die in 110 Ländern mit 3000 Mitarbeitern vertreten ist. Wir müssen feststellen: Die moralischen Maßstäbe sind offenbar im vereinten Europa recht unterschiedlich. Außerhalb Deutschlands ist es in vielen Ländern üblich und weder ethisch noch rechtlich umstritten, dass Agenturen und seriöse Zeitungen Opfer von Unfällen oder Verbrechen sowie deren Angehörige abbilden. Das gilt auch für Spanien.

So schickte die Agentur eine Serie von Bildern von Angehörigen aus Barcelona – ohne jegliche Bedenken. Dazu kam: Einige Bilder aus dem Flughafen wurden mit verpixelten Gesichtern gesendet, andere gar nicht. So sind wir davon ausgegangen, dass die Trauernden ihre Zustimmung zum Druck gegeben haben.

Dies Verfahren ist nicht ungewöhnlich: So hat beispielsweise die Opern-Sängerin Maria Radner im Stern über Karen Cargill geschrieben, mit der sie zusammen auf der Bühne gestanden hat – und dabei wie selbstverständlich ein Archiv-Foto des Absturz-Opfers veröffentlicht.

Dies ist eine Erklärung und ein Blick in das Innenleben einer Redaktion an einem ungewöhnlichen Tag – aber kein Wegreden der Entschuldigung. Wir hätten trotz allem richtig entscheiden müssen.

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Thüringer Allgemeine, Leser fragen, 11. April 2015

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