Wann wird ein Gesicht gepixelt? (Frage eines Lesers)

Geschrieben am 7. September 2013 von Paul-Josef Raue.

Warum werden Straftäter, auch wenn sie eindeutig gesucht werden und entlarvt sind, in Videos und Fotos oft verpixelt dargestellt?

Ein Leser fragt, in der Samstag-Kolumne antwortet der TA-Chefredakteur:

Solange ein Bürger nur angeklagt und nicht verurteilt ist, gilt die Vermutung der Unschuld. Also dürfen weder Polizei noch Zeitungen die Gesichter zeigen, es sei denn die Angeklagten sind öffentlich bekannte Persönlichkeiten wie beispielsweise der ehemalige Bundespräsident Wulff, der sich bald vor Gericht verantworten muss.

Wäre Wulff ein einfacher, kaum bekannter Bürger, käme sein Bild nicht in die Zeitung – bei einem relativ geringen Vorwurf wie der Vorteilsnahme.

Wer nur für kurze Zeit ins Gefängnis geht, hat auch ein Recht, dass sein Gesicht nicht öffentlich gezeigt wird: Hat er seine Strafe abgesessen, soll er ein normales Leben führen dürfen. Kennen viele Menschen sein Gesicht, wirkt ein Foto wie ein lebenslanger Pranger und eine lebenslange Strafe.

Sucht die Polizei einen mutmaßlichen Gewaltverbrecher, der auf der Flucht ist, gibt sie zur Fahndung ein Foto heraus, das auch von unserer Zeitung gedruckt wird ohne eine Verfremdung des Gesichts.

Unproblematisch ist dies nicht: Im Internet wird dies Foto für alle Zeiten sichtbar sein, auch wenn sich die Unschuld herausstellen sollte.

Dankbar bin ich Ihnen für diese Zeilen am Ende Ihres Briefs:

Die TA schreibt meinen Namen unter meinen Leserbrief, weil ich mit meinem Namen auch zu dem stehe, was ich sage. Das aber beweist meine Naivität. Schlaue Kommentatoren schreiben nämlich unter Pseudonym oder verfassen böse Briefe mit falschem Namen. Leider ist in solchen Fällen eine ehrliche mutige Diskussion nicht möglich.

Ich versichere Ihnen: Sie sind nicht naiv, Sie beweisen im Gegenteil Zivilcourage! Wer sich in die öffentliche Diskussion einmischt, sollte sein Gesicht zeigen – von wenigen Ausnahmen abgesehen, wenn sich ein Leser sorgt um Leib und Leben.

Auch wenn uns ein Leser informiert über Machenschaften, beispielsweise in einer Behörde, dann garantieren wir ihm Anonymität – auch gegenüber Staatsanwalt und Polizei.

Leser, die unter falschem Namen schreiben, sind nicht schlau, vielmehr betrügen sie die anderen Leser unserer Zeitung. Doch kommt dieser Betrug nur sehr selten vor, weil wir in der Regel die Identität prüfen.
Dass Leser mir ihrem guten Namen für ihre Meinung einstehen, ist der große Vorzug der Zeitung vor dem Internet. Dort wird zu oft beleidigt, beschimpft, besudelt – von Menschen, die sich hinter einem Pseudonym verstecken. Ich stelle mir eine Demokratie anders vor, eben so wie wir in der Zeitung miteinander umgehen und diskutieren.

Thüringer Allgemeine, Kolumne „Leser fragen“, 7. September

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