Was Journalisten vom Domprediger lernen können

Geschrieben am 6. August 2012 von Paul-Josef Raue.
Geschrieben am 6. August 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Lokaljournalismus, Online-Journalismus.

„Man darf keine Menschenscheu haben. Und wenn es besonders gelingen soll, dann muss es von Menschenfreundlichkeit und Interesse an den Biografien der Menschen geprägt sein. Denn Rhetorik hat den Hörer oder die Hörerin ganz direkt im Blick.“ So antwortet der Braunschweiger Domprediger Joachim Hempel, seit 20 Jahren im Amt, auf die Frage nach seinen rhetorischen Fähigkeiten.

Es gibt bemerkenswerte Parallelen zwischen einem guten Prediger und einem guten Journalisten. Man ersetze einfach „Rhetoriker“ durch „Journalist“, „Reden“ oder „Predigen“ durch „Schreiben“.

Armin Maus, Chefredakteur der Braunschweiger Zeitung, führte mit dem Domprediger ein Interview in der BZ; die Zitate sind der Langfassung im Internet entnommen:

  • Man kann mit rhetorischen Fähigkeiten Gutes bewirken und auch fatale Folgen erzielen.
  • Sie fragten nach dem Lernen (der guten Rede). Das geht nur durch Praxis… Ein Manuskript vorzulesen, das reicht nicht. Ich wundere mich manchmal, wie wenig Menschen, die immer wieder in die Situation des Redens kommen, die Art und Weise, auch die Technik des Redens wertschätzen.
  • Es gibt eine Form des Redens, die ist nahe an der Beleidigung derer, die zuhören sollen. Sonst wird sehr viel Wert darauf gelegt, dass Form und Inhalt korrespondieren. Aber so viele, die Sprache nutzen, kümmern sich nicht wirklich darum, wie das geht mit dem Reden.
  • Man muss etwas zu sagen haben, und es muss ihre persönliche Art und Weise sein. Das macht ja die Rednerin oder den Redner so spannend. Wenn alle gleich reden würden, das wäre so was von langweilig.
  • Predigen ist mit Arbeit und Mühe verbunden. Und wenn manchmal der Eindruck entstünde, das würde man aus dem Ärmel schütteln, kann ich nur sagen, hier wird ordentlich und anständig gearbeitet. Ich habe Zuhause keinen Internetanschluss; das, was ich erarbeite, soll aus meinem Kopf und meinem Herzen und aus meiner Lektüre kommen.
  • Ich möchte der Versuchung widerstehen, durch den Zugriff auf bestimmte Tastaturen (im Internet) mal eben eine Brücke hinzukriegen. Wenn in Reden Zitate vorkommen, kann man feststellen, ob jemand ein Stichwort eingegeben hat, oder ob das Zitat aus dem Fluss dessen kommt, was man gerade gesagt hat und genau dort hin gehört.
    Da passiert es eben, dass einer ausruft: Und übrigens hat schon Machiavelli gesagt… und jeder fragt sich, wie kommt er denn nun auf Machiavelli?
  • Wenn sich ein Tsunami ereignet oder es der 11. September ist, dann kommen sogar noch mehr Leute in den Dom. Sie erwarten, dass ich etwas zu diesen Themen sage. Ich kann nicht sagen, kommen Sie am Sonntag wieder, heute fällt mir dazu nichts ein. Die Predigt entsteht immer in einer aktuellen Situation.

(zu: Handbuch-Kapitel 11ff  „Schreiben und Redigieren“ + 55 „Der neue Lokaljournalismus“)

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