Wir brauchen eine neue Journalisten-Ausbildung!

Geschrieben am 27. März 2012 von Paul-Josef Raue.

„Die gängige Rekrutierungs-Praxis ist Geldvernichtung!“, sagte Jens Schröter, Leiter der Burda-Journalistenschule, als sich im vergangenen Jahr Journalisten-Ausbilder mit Wissenschaftlern in der Leipziger „School of Media“ trafen. Was hat sich in den Regionalzeitungs-Verlagen getan?  Am Freitag (30. März 2012) diskutieren beim „Forum Lokaljournalisten“ in Bremerhaven vier Journalisten über neue Formen der Ausbildung, moderiert von Sylvia Egli von Matt, der Direktorin der Schweizer Journalistenschule – zu verfolgen ab 9 Uhr morgens als Livestream bei www.drehscheibe.org

Warum bringt die gängige Rekrutierung unserer Volontäre wenig für die Zukunft der Redaktionen?
Die Volontäre werden meist durch die Ausbildung unterfordert. Sie waren freie Mitarbeiter, kennen den Alltag der Redaktionen; so bringt es wenig, sie im Volontariat dieselben Routinen noch einmal durchlaufen zu lassen.

Was sollte im Volontariat der Zukunft geschehen?
1. Die Volontäre sollen systematisch und fundiert die journalistischen Grundlagen so lernen, dass sie diese am Ende der Ausbildung im Schlaf beherrschen.

2. Die Ausbilder erkennen, entwickeln und fördern schon in der Ausbildung die individuellen Stärken (wie Führung, Lust am Management, Organisations-Talent, Online-Stärken, Recherche-Hartnäckigkeit, Leser-Marketing usw.) – um so auch die Führungskräfte für die Redaktion der Zukunft zu erkennen.

3. Der Nachwuchs arbeitet überwiegend in Projekten, aber immer wieder auch in den Lokalredaktionen, um den Respekt vor den Lesern nicht zu verlieren und keinen Dünkel zu entwickeln. Solche Projekte könnten sein: Entwicklungs-Redaktion für eine Zweit- oder Kompakt- oder Online-Zeitung oder ein Magazin; eine große Serie; Muster-Berichterstattung etwa für Haushaltsplan, Wahlen usw.; eine tiefe Recherche; eine Marketing-Kampagne; Online-Entwicklungen jeder Art; Datenjournalismus u.ä.

4. Volontäre werden eingeführt in unternehmerisches Denken und vertraut mit der Vermarktung von journalistischen Produkten; sie lernen, dabei unbedingt den Marken-Kern der Zeitung – Qualität und Glaubwürdigkeit – zu bewahren. Beim „Forum Lokaljournalismus“ 2011 formulierte Bart Brouwers, Online-Chef der niederländischen Zeitung „Telegraaf“ die These:

„Wir Journalisten müssen auch geschäftlich denken. Es gibt nicht mehr das eine große Geschäftsmodell wie bei der Tageszeitung. Ein Mix aus vielen Geschäftsmodellen muss den Umsatz bringen.“ (Handbuch: Seite 39)

Beim Symposium in Leipzig sagte es Wolfgang Blau, Online-Chef der „Zeit“, ähnlich: Wir brauchen Journalisten mit unternehmerischer Ader! Dünkelhaft ist die alte Denkart: Wir haben nichts mit Umsätzen zu tun!

Wie ist die neue Ausbildung geordnet?
Am Beginn jeder Phase steht ein drei- bis fünftägiges Camp, zum Beispiel ein „Boot-Camp“, von dem Jens Schröter in Leipzig berichtete – auch auf die Frage eingehend, wie Personalentwicklung messbar sein könnte. In einer Woche dringen die Volontäre tief in die Online-Welt tief ein (Facebook, Twitter, Blog, Online-Technik, Community-Management u.ä.). Nach einem Jahr gibt’s eine Inventur: Welche Erfolge können sie verzeichnen? Wie viele Follower? Vielleicht ein eigener Blog? Ihre Fortschritte, Erkenntnisse und Fragen tragen die Volontäre in ein Wiki ein, das für jeden Burda-Mitarbeiter einzusehen ist.

Ich könnte mir noch folgende Camps vorstellen: Recherche-Camp; Datenjournalismus; Sprach-Camp, Management-Camp; Leser- und Markenforschung usw.

Wir sollten uns bei der neuen Volontärs-Ausbildung von Online-Entwicklern leiten lassen, die nicht lange Konzepte schreiben: Einfach beginnen, einfach experimentieren – dem Grundsatz folgend: Wir erlauben uns Fehler; aber wir verbieten, daraus nicht zu lernen.

(zu: Handbuch-Kapitel 58 „Die Ausbildung zum Redakteur“)

Aktualisiert: Die Diskussion moderierte Barbara Stöckli (MAZ) für die erkrankte Egli von Matt

3 Kommentare

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  • Das Netz formt das Berufsbild des Journalisten, daher ist die klassische Ausbildung überholt. Immer mehr Quereinsteiger schlagen sich durchs Netz und feiern größere Erfolge als ausgebildete Journalisten. Ich denke, dass ein Umdenken in der Ausbildung hinsichtlich des online Marktes erfolgt. Erst dann kann der Journalistin online vielschichtig arbeiten und im Netz erfolgreich aktiv werden, ohne die nötige Umgewöhnungsphase an den Online-Sprachgebrauch.

    • Was für ein Hinweis! Was für ein Türöffner für eine gute Debatte! Klassische Ausbildung heißt: Die 6 W der kurzen Nachricht + Trennung von Nachricht und Meinung + Tiefe Recherche und auf jeden Fall immer die Gegenseite, immer den Beschuldigten hören + Kurze Wörter, kurze Sätze, wenig Zahlen usw.

      Ist das überholt? Wenn Ja: Was kommt dafür?

      Welche Quereinsteiger: Nenn die Namen!

      Wie muss konkret die neue Ausbildung aussehen?

      Was ist bei Online „vielschichtig“?

      Was ist der Online-Sprachgebrauch? Wie unterscheidet er sich vom klassischen Sprachgebrauch?

      Ich freue mich auf die Debatte!

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