Ein rechter Leserbrief und seine Folgen: Wie viel Meinung verträgt das Volk?

Geschrieben am 23. April 2015 von Paul-Josef Raue.

Dieser Brief einer Leserin stand in der TA (Thüringer Allgemeine):

Auch meine Großeltern kamen mit meinen Eltern aus dem damaligen Züllichau als Flüchtlinge nach Deutschland. Man sollte aber hier nicht unerwähnt lassen, dass diese Menschen alles zurück lassen mussten (die Betonung liegt auf mussten), weil der Krieg vor der Tür stand. Die heutigen Asylanten kommen zu 90 Prozent in ein angebliches Schlaraffenland.

Hier ist unsere Regierung gefordert, endlich mal konkrete Gesetze zu schaffen und ein bisschen genauer zu schauen, wer hier bleiben darf. Und auch wenn es vielleicht rassistisch rüberkommt, damals kamen Deutsche zu Deutschen und das Volk wurde nicht mit fremden Kulturen vermischt, welche noch dazu nicht bereit sind, sich unserem Leben anzupassen.

Unsere Eltern waren froh und dankbar für ein Dach über dem Kopf, ein Stück Brot und Wasser zum Trinken. Und heute? Asylanten ziehen vor die Behörden und demonstrieren, beschweren sich über dies und jenes, führen Prozesse, ob Kopftuch oder nicht. Dies in einem Land, wo sie eigentlich vorerst nur Gast sind. Wenn diese Menschen sich mehr einordnen würden, wären sie sicher auch hier willkommen.

> Darauf reagierte ein Leser:

Sehr geehrte Redakteure, da ist ihnen wohl wieder einmal etwas durchgerutscht? Könnte man, wenn man so etwas veröffentlicht, nicht wenigstens ein paar erläuternde Sätze der Redaktion hinzufügen? Die Presse wird ihrer Verantwortung nicht gerecht.

> Das ist die Antwort des Chefredakteurs in einem Brief an den Leser:

Ich schicke voraus: Die Meinung der Leserin ist nicht meine Meinung, und sie bewegt sich am Rand dessen, was man als diskussionswürdig erachten kann. Aber sie beleidigt nicht, verletzt keine Gesetze.

Warum drucken wir ab und an auch solche Briefe? Die Meinungen von Menschen verschwinden nicht dadurch, dass man sie nicht zur Kenntnis nimmt. Am Ende kommt sonst Pegida oder Ähnliches heraus, und alle sind überrascht, irritiert und fordern, man sollte unbedingt mit den Menschen reden, die so denken. Wir halten es für zweckmäßiger, immer mit den Menschen zu reden, sie so zu nehmen, wie sie sind, und nicht auszugrenzen. Wir folgen Kant: Der Mensch aus so krummen Holz geschnitzt, dass nicht gerade wachsen kann.

Deshalb sind wir überzeugte Demokraten: Wir machen uns den Menschen nicht besser, als er ist. In einer Demokratie leben auch keine besseren Menschen, aber wir passen auf, dass sich das Böse und der Böse nicht unkontrolliert austoben kann,

Warum fügen wir nicht ein paar erläuternde Sätze hinzu? Die Meinung der Redaktion zu Flüchtlingen ist hinlänglich bekannt durch Leitartikel, Kommentare, Aktionen, Diskussionen usw. Es dürfte nicht möglich sein, unsere liberale Sicht auf die Flüchtlings-Debatte zu ignorieren. Wir erläutern also unentwegt – und sind bisweilen erstaunt, welche Meinungen Leser haben, die seit Jahren unsere Zeitung lesen (wobei wir auch die Briefe lesen müssen, die nicht gedruckt werden können).

Die Leser-Seite ist nun – aus gutem Grund – die Seite der Leser, in der eben nicht alles von der Redaktion kommentiert wird. Bisweilen entstehen jedoch Debatten unter Lesern auf dieser Seite: Davon hätten wir gerne mehr.

Kurzum: Unsere Leser-Seite ist vergleichbar der Hyde-Park-Corner in London, im Mutterland der Demokratie. Da stehen auch die guten Menschen nicht in der Nähe und kommentieren alle und jeden. Die einzige Ausnahme in der TA ist das „Leser fragen“ am Sonnabend, in dem der Chefredakteur auf Fragen und auf Kritik von Lesern antwortet. Fast jedes Mal bekomme ich Briefe und Mails, in denen mir oberlehrerhaftes Verhalten vorgeworfen wird. Die meisten Erwachsenen mögen das nicht, was sie als „Belehrung“ empfinden.

In der Hoffnung, dass Sie sich nicht dazu zählen, verbleibe ich mit freundlichen Grüßen

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