Grimme-Preis-Jury findet Synonym für Gutmenschen: Gefühlsduselige Sozialromantiker

Geschrieben am 8. April 2016 von Paul-Josef Raue.
Marhaba-Autor Constantin Schreiber (ntv)

Marhaba-Autor Constantin Schreiber (ntv)

Für „Marhaba – Ankommen in Deutschland“ bekommt der Moderator Constantin Schreiber vom  Privatsender n-tv heute einen der Grimme-Preise. Schreiber erklärt in seiner Sendung jede Woche Flüchtlingen aus Arabien in ihrer Sprache fünf Minuten lang, wie die Deutschen und ihr Land ticken: Essgewohnheiten, Freizeit, Weihnachtslieder, Grundgesetz, Religionsfreiheit die Rolle der Frau und anderes mehr.

In der Begründung schreibt die Jury:

Ohne moralischen Überlegenheitssound, aber auch ohne gefühlsduselige Sozialromantik erklärt Constantin Schreiber in klarem Arabisch unsere Werte, Gesetze und Regeln des Miteinanders.

Wer Pathos und Sptach-Klischees von Jury-Begründungen kennt oder sie selber schon mal benutzt hat, dem sei die komplette Begründung der Jury empfohlen –die sich in eine ntv-Programm-Sitzung hineingedacht hat:

Jetzt stellen wir uns einmal kurz eine Sitzung bei einem deutschen Privatsender vor. Geschäftsführer und Vermarkter lassen sich vom Programm-Macher berieseln. „Hey, wir machen ein Dutzend Fünf-Minuten-Beiträge und erklären Flüchtlingen auf Arabisch unser Land. Themen sind Sex, Religion und Gleichberechtigung. Wir machen das erst lässig im Netz und später old school im Fernsehen, ach ja, und der Titel ist arabisch…“

Ein Blick des Geschäftsführers zum Werbezeitenchef. Dessen Kopf schlägt bedächtig auf die Tischplatte. Zwei Sekunden betretenes Schweigen. Dann hat sich der Geschäftsführer gefasst: „Eine dufte Idee fürs Erste oder ZDF. Haben wir nicht noch eine schöne Weltkriegsdoku? Oder was mit schweren Baumaschinen?“

Beim kleinen Sender n-tv muss es anders gelaufen sein. Der Nachrichtenanbieter hat einem jungen Team um Constantin Schreiber das Budget, die Website und später Programm-Slots für „Marhaba TV“ zur Verfügung gestellt. Schnell und pragmatisch haben die Redakteure klassisches Aufklärungsfernsehen umgesetzt.

Journalist Schreiber hat viele Jahre im arabischen Raum gelebt – ein großer Vorteil für die Umsetzung und Glaubwürdigkeit des Formats. Für die Migranten, die im vergangenen Jahr nach Deutschland kamen, war „Marhaba TV“ eine perfekte Hilfestellung – und das auch noch auf kurzweilige Art und Weise. Das Spektrum der Themen reicht von Parteiprogrammen bis hin zum putzigen Übersetzen deutscher Weihnachtsgedichte ins Arabische.

„Marhaba TV“ hat aber immer auch zu aktuellen Fragen Stellung bezogen. Die sogenannten „Ereignisse von Köln“ wurden thematisiert, ebenso der deutsche Karneval – immer schön auch auf Deutsch untertitelt. Denn auch der eine oder andere Biodeutsche könnte Neues über Demokratie und Toleranz erfahren. Klar, die üblichen Pöbeleien von besorgten Bürgern im Netz ließen nicht auf sich warten. Aber das ließ die Kölner kalt. Sie sendeten weiter und legten sogar mit einer deutsch-arabischen Talkshow nach.

Der Erfolg gab ihnen Recht. Hundertausende klickten das Angebot im Netz an. Ohne moralischen Überlegenheitssound, aber auch ohne gefühlsduselige Sozialromantik erklärt Constantin Schreiber in klarem Arabisch unsere Werte, Gesetze und Regeln des Miteinanders, während andere „wurzeldeutsche“ Moderatoren gerne schon einmal an ihrer Muttersprache scheitern.

Schreiber interviewt junge MigrantInnen, lässt ihre Sicht auf unsere Gesellschaft zu Wort kommen. Zudem stellt „Marhaba TV“ eine kluge Verbindung der Verbreitungswege dar, denn mobile Dienste sind die ersten Informationsquellen der Migranten. Fernsehen soll zudem bilden – das ist eine der Grundideen des Grimme-Instituts. Constantin Schreiber und n-tv haben es verstanden, diese Maxime modern und ohne großes Medien-Tamtam umzusetzen. Sie sind damit auch Vorbild für andere Privatsender, aber sicher nicht nur für diese.

 

 

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