Terror in Paris, die ARD, Twitter und Journalismus: Be first, but first be right

Geschrieben am 15. November 2015 von Paul-Josef Raue.

Tagesschau ParisGeduld soll der Zuschauer haben. Geduld, wenn bei einem Länderspiel Explosionen zu hören sind und online die ersten Nachrichten über Attentate zu lesen sind. Geduld, fordert Udo Stiehl, freiberuflicher Nachrichtenredakteur für den Hörfunk (WDR und DLF) – als heftige Kritik an der Langsamkeit der ARD in den sozialen Netzwerken zu lesen war. Als ob der Nutzer von Facebook & Co noch Geduld hätte: Das Netz hat ihn zur sofortigen Nachrichten-Aufnahme dressiert, unverdaut, aber schnell, nur schnell.

„Da ist er nun passiert, der so genannte K-Fall (Krisen-Fall)… und die Erwartungen an die Medien sind unerfüllbar hoch… so viele absurde Forderungen habe ich noch nie gelesen“, schreibt Stiehl leicht zornig im Tagesschau-Blog: „Terrorismus in Paris – und eine unerfüllbare Anspruchshaltung“. Stiehl ist – erstaunlich – erstaunt, ja verwirrt über die heftigen Reaktionen in Twitter und auf Facebook. Das erstaunt: Stets nach schockierenden Ereignissen bricht eine solche Kritik über ARD und ZDF herein, aber auch über die meisten anderen Medien.

Stiehls Reaktion ist teilweise devot, teilweise realistisch:

  • Devot: Wenn er die Sportreporter, die das Länderspiel moderierten, in Schutz nimmt, aber ihnen auch journalistische Kompetenz abspricht: Die Moderatoren hätten sich auf das Spiel konzentriert – „und nun müssen die Kollegen plötzlich über Entwicklungen berichten, die nicht vorhersehbar sind“.
    Journalismus hat stets mit dem Nicht-Vorhersehbaren zu tun, und es ist eine Frage der Professionalität, damit schnell und kompetent umzugehen. Sind Sportjournalisten Fachidioten, die alles, was nicht rund ist, überfordert? Nein, meint Stiehl, und schreibt das Gegenteil: „Die Kollegen vom Sport sind Journalisten, aber sie haben sich – verständlicherweise – nicht zusätzlich auf eine Krisenberichterstattung vorbereitet.“
    Als ob sich Attentate und Katastrophen  per Telefon zu normalen Redaktionszeiten ankündigen, damit sich Journalisten darauf vorbereiten können!
  • Realistisch: „Es kann nur noch improvisiert werden.“ Dabei bleiben die Grundsätze seriösen Journalismus unangetastet: Recherche und gesicherte Informationen. „Aber das dauert! Und diese Geduld müssen nicht nur wir aushalten, sondern auch Sie“, schreibt Stiehl.
    Seriöse Medien brauchen Zeit, um die Wahrheit zu erkunden – anders als im Netz. „Auf sämtlichen Kanälen können Spekulationen stattfinden“, so Stiehl, „ohne dass es Fakten bedarf. Aber ist das Journalismus? Reicht Ihnen das aus? Ich hoffe nicht. Ohne journalistische Überprüfung, ohne redaktionelle Bearbeitung und ohne intensive Recherche ist das alles nicht mehr als Voyeurismus. Und das kann es doch nun wirklich nicht sein.“
    Also: „Wer verlässliche Berichterstattung wünscht, braucht vor allem eines: Geduld. Und wer die nicht aufbringen möchte, weil er glaubt, Journalisten könnten hexen, zaubern oder sonstige Wunder vollbringen, dem können wir – ganz ehrlich – nicht helfen.“

Und so schwach, wie die Kritiker meinen, war die ARD nicht: Nach dem Länderspiel gab es eine kurze Tagesschau-Sonderausgabe mit dem ersten Bericht der Frankreich-Korrespondentin; es folgten weitere Sonderausgaben. Am nächsten Abend schmiß die ARD das gesamte Abendprogramm um und zeigte Informationen und Analysen statt eines Spielfilms.

Stiehls Hinweis ist richtig: Das Fernsehen lebt von Bildern. Nur: Wenn es die nicht gibt, reichen Sätze, als Laufband ins laufenden Programm eingeblendet, so wie es an Wahlabenden passiert, wenn der Ausgang unklar ist und der „Tatort“ läuft.

Oder die Zentrale blendet kurz einen Sprecher ein, vielleicht in einem kleinen Fenster, der die wenigen Fakten von den vielen Gerüchten trennt, um Geduld bittet, aber den Zuschauern das sichere Gefühl gibt: Wir sind dabei, wir recherchieren – und wenn ihr dabei bleibt, bekommt ihr wirkliche Informationen!

Darauf könnte man sich vorbereiten. Und mit den Sportjournalisten müsste man trainieren: Das ist nichts Ungewöhnliches, weder  im Sport und im Journalismus.

Unantastbar bleibt das eherne Gesetz des Journalismus, das in Nachrichtenagenturen jedem Praktikanten am ersten Tag eingebimst wird: Be first, but first be right. „Sei der Erste, aber der Erste, der’s richtig bringt“ – So steht es auch im Nachrichten-Kapitel des „Neuen Handbuch des Journalismus“ auf Seite 116.

Nachtrag: ARD-Moderator Matthias Opdenhövel twittert: „Danke für Schlaumeierkritik aus D. Tut gut nach so einer Nacht im Auge des Terrors.“

**

Screenshot Tagesschau

**

Facebook-Debatte über Sinn und Übersetzung von „Be fist, but first be right“

Peter Huberth Vielleicht würde eine Nachhilfestunde in Englisch nicht schaden.

Anton Sahlender Dann geben Sie doch gleich den Nachhilfelehrer für diesen Fall, lieber Herr Peter Huberth

Moritz Cremers „Sei der Erste, aber zuerst gehe sicher, dass du das Richtige berichtest.“ Klingt zwar nicht mehr so schön wie die englische Version, trifft aber den Sinn.

Anton Sahlender Ich meine, so bekomme ich es soeben von jemanden erklärt, der das studiert hat, dass auch die Paul-Josef Raue – Version zutreffend ist. Die vorliegende komprimierte Version, wie sie die englische Sprache erlaubt, kann ohnehin nicht wörtlich, sondern nur sinngemäß ins Deutsche übersetzt werden. Deshalb ist die Raue-Version ok. Die Moritz -Version ist gleichermaßen zutreffend, wohl aber sprachlich sehr ausführlich. Sie nimmt nicht die prägnante Kürze aus der englischen Fassung mit. Die bleibt auf der Strecke.
Ich bestehe nicht auf die Richtigkeit dieser Erklärung, sondern nur auf die journalistische Korrektheit der Ausgangs-Aussage und auf die kommt es hier an.

Moritz Cremers Ich sehe das anders. Leider. Denn es ist nun mal eine Abwägung, ob ich der Erste bin, oder ob ich alle meine Informationen überprüfe. In diesem Sinne würde ich sogar sagen „Sei nicht der Erste, sondern sei der Erste, der es richtig bringt“, auch wenn das dem „ehernen Gesetz“ des Herrn Raue widerspricht.
Was die prägnante Kürze angeht, sollte die nach meiner Ansicht zugunsten der Verständlichkeit zurücktreten.

Anton Sahlender Die Verständlichkeit ist in Raues Version vorhanden. Ich füge ihr absichtlich aber den journalistischen Grundsatz an: „Richtigkeit vor Schnelligkeit“.
Während Raues Version weiterhin demgegenüber auch eine sehr ehrgeizige Priorität dabei setzt, trotz Richtigkeit doch der Erste zu sein, setzt ihre Version die Priorität bei der Richtigkeit vor der Schnelligkeit. Sie kommt damit dem von mir genannten Grundsatz näher. Sie gibt damit vielleicht aber die ehrgeizige Intention der englischen Aussage nicht wieder. Die will offenbar beides.

Peter Huberth Danke Herr Cremers für ihre Unterstützung.

Peter Huberth Lieber Anton, meine nur noch rudimentär vorhandenen Kenntnisse der englischen Sprache qualifizieren mich nicht für eine Aufgabe als Nachhilfslehrer.

Anton Sahlender Peter, dann qualifizieren sie Dich eigentlich auch nicht für deine Empfehlung …

3 Kommentare

  • Lieber Kollege Raue,
    ich freue mich, dass ich Sie zu einer Debatte anregen konnte – auch wenn unsere Ansichten unterschiedlich sind. Mit Blick auf Ihre Überschrift „Be first but be right“ muss ich allerdings etwas klarstellen: Ich bin nicht, wie von Ihnen behauptet „Tagesschau-Sprecher Udo Stiehl“, sondern freiberuflicher Nachrichtenredakteur für den Hörfunk (WDR und DLF).
    Herzliche Grüße
    Udo Stiehl

    • Der Sprecher wird korrigiert. Die unterschiedlichen Ansichten sehe ich nicht: Ich habe Ihre Einwände respektiert, Ihren Einsatz für Recherche und Wahrheit gelobt, den Hinweis auf Geduld gepriesen – und nur die Sportler zu mehr Professionalität wecken wollen.

  • […] – S Terror in Paris, die ARD, Twitter und Journalismus: Be first, but first be right Terror in Paris, die ARD, Twitter und Journalismus: Be first, but first be right :: Das neue Handbuc… Paris und die Medien: Warum Journalisten nicht so schnell sind wie die Wirklichkeit Paris […]

Diskutieren Sie mit uns den Artikel "Terror in Paris, die ARD, Twitter und Journalismus: Be first, but first be right"