Was für ein Jahresrückblick! Neun Nachrufe, neun Mal deutsches Leben

Geschrieben am 31. Dezember 2014 von Paul-Josef Raue.
Geschrieben am 31. Dezember 2014 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, H 34 Porträt, Recherche, Vorbildlich (Best Practice).

Die Zeit bringt einen beeindruckenden Jahresrückblick: Neun Nachrufe auf unbekannte Menschen, starke Geschichten über das normale und weniger normale Leben:

> eine Frau, die ihr Leben lang auf der Hallig Hooge morgens um fünf die Kühe gemolken hat, dann die Post sortiert und die Telefone mit dem Festland verbunden und ab und an der Flut und dem Orkan getrotzt. Stark der erste Satz von Nadine Ahr: „Am Ende wäre Ilse Mextorf beinahe doch noch ertrunken.“

> ein Sechzehnjähriger aus Ottensen, der zum Islam konvertierte und in Syrien für die IS kämpfte und starb. Der Mutter brachten zwei junge Leute die Nachricht: „Herzlichen Glückwunsch. Ihr Sohn ist jetzt im Paradies.“ Der zentrale Satz des Nachrufs von Amrai Coen und Marc Widmann:“Er findet eine Heimat im Islam. Er, der Suchende, hat einfache Antworten gefunden auf seine komplizierten Fragen: Im Koran steht, was richtig und was falsch ist.“ Der unauffällige Junge aus Ottensen ist der einzige ohne Namen: Alfons R.

> und Nachrufe auf Francis Kwame aus der Elfenbeinküste, der in Deutschland nicht sein Glück fand und sich zu Tode trank;
> Uwe Heldt, der als Literaturagent Wolfgang Herrndorf entdeckte und ein Jahr nach ihm starb, auch an Krebs;
> den Arzt Hans Wokeck, der Kinder in indischen Slums behandelte und in Indien einsam starb;
> den Husumer Lokalpolitiker Lothar Knoll, ein FDP-Politiker, der Stellvertretender Bürgermeister werden wollte und in fünf Wahlgängen scheiterte;
> Karl-Heinz Gohlke, der 42 Jahre im Gefängnis saß und nach anderthalb Jahren Freiheit starb;
> Olga Ioppa, die auf Flug MH 17 abgeschossen wurde;
> Frieda Szwillus aus Oschatz, die älteste Frau Deutschlands: Sie starb mit 111 Jahren.

Vorbild dürfte die Reihe im Tagesspiegel sein mit Nachrufen auf das normale Leben von normalen Berlinern, jedenfalls von Menschen, die nicht in die Schlagzeilen kamen. Bülend Ürük weist darauf hin: Erfunden hat es die Berliner BZ.
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Die Zeit 1/2015‚ 30. Dezember 2014

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