BILD gratuliert Wallraff zum Deutschen Fernseh-Preis: Er hat bei uns sein Handwerk gelernt
Vor knapp vierzig Jahren hat Günter Wallraff unter dem Namen Hans Esser in der Hannover-Redaktion der Bildzeitung gearbeitet.“Die Drecksarbeit in einer Fabrik am Fließband ist dagegen fast eine Erholung“, sagte er danach und schrieb sein Buch „Der Aufmacher“ als große investigative Reportage.
Wallraff gilt als Erfinder der verdeckten Recherche: Ich schlüpfe in die Rolle des türkischen Gastarbeiters Ali, des Obdachlosen oder Bildreporters und entdecke Missstände, die nur so zu entlarven sind. „Wallraff hat unser Land durch seine Enthüllungen geprägt“, schreibt – die Bildzeitung auf ihrer Titelseite vom 12. Januar 2016 in der Rubrik „Gewinner“; daneben steht als „Verlierer“ der NRW-Innenminister Ralf Jäger.
Dem Lob fügt Bild an: „Klar, bei uns hat er ja auch sein Handwerk gelernt.“
Mathias Döpfner, Vorstandschef des Springer-Verlags, hat längst seinen Frieden mit Wallraff geschlossen: „Bild hat damals aus heutiger Sicht nicht alles richtig gemacht.“
Wallraffen steht im schwedischen Duden, erzählte Wallraff in einem Interview mit Monika Lungmus:
Man durchleuchtet die Gesellschaft, indem man eine andere Identität annimmt. In Schweden „wallrafft“ übrigens alle paar Wochen jemand.
Das Interview steht im Werkstatt-Buch „Undercover. Reporter im verdeckten Einsatz“ von Netzwerk Recherche. Dort wird auch auf die Vorläufer von Wallraff verwiesen: Egon Erwin Kisch, der sich unter den Obdachlosen in Prag umschaute, oder William Thomas Stead, der einen Pädophilen-Ring in der Londoner Oberschicht aufdeckte.
Wallraff antwortete in dem Interview auf den Einwand, er gebe als Journalist die Position des neutralen Beobachters auf:
Ich verstehe meine Arbeit als „teilnehmende Beobachtung“. In der Wissenschaft ist das ein hoch angesehener Bereich der Forschung. Nur im Journalismus ist es immer noch eine Art Notwehr. Eine negative Einstellung entdecke ich meist bei Journalisten, die sich längst gemein gemacht haben mit den Interessen der Mächtigen und Herrschenden… Wenn es um Menschenrechtsverletzungen geht, um gravierendes Unrecht, dann muss man Partei ergreifen. Aber man ist auch nicht abhängig. Man kann sehr differenziert, auch kritisch denjenigen gegenüber sein, deren Partei man ergreift.
Heute, am 13. Januar 2016, bekommt Wallraff für sein Lebenswerk den Ehrenpreis des Deutschen Fernseh-Preises 2016.
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Mir passt dies gerade gut, die Verknüpfung von Wallraff-Ehrung und eine mal wieder aus der tagtäglichen Raue-Kanone abgefeuerte journalistische Prinzipienfrage: Was ist ein gutes, Interview? Also ein letztendlich „gedrucktes“ und scheinbar geglücktes informatives und aufschlussreiches Gespräch zwischen einem Journalisten und einem Politiker oder einer anderen Person von einiger aktueller Bedeutung? Investigativer Journalismus nach Art von Wallraff muss ebenfalls immer “ interviewen“ und kann sich sich nicht allein auf „teilnehmende Beobachtung“ beschränken. Welcher ein aus der Anthropologie entlehnter und sehr umstrittener Begriff ist, Mir hat die „Wallraff-Methode“ schon immer gefallen, obwohl er mir bei einer Juso-Veranstaltung in Würzburg Anfang der 80er nicht erklären konnte, warum seine Aktivitäten der Auflage der BILD-Zeitung kaum geschadet haben. Nebenbei angemerkt war seine Methodik nur eine Neuigkeit im deutschen Journalismus der Nachkriegszeit. „Undercover“ zu agieren orientiert sich an geheimdienstlichen Methoden. Der Bogen ist nun rasch gespannt zur üblichen Interview-Praxis und deren insgeheimen Tücken bei der Produktion von Interviews. Der Journalist versucht, einer Politit-Person von Bedeutung einige wichtige Informationen zu entlocken, abzuringen. Was sich gelegentlich in knappen Sätzen so liest wie eine spannende, das Lesepublikum fesselnde harte Konfrontation zwischen Journalisten und einem prominenten Politiker ist oftmals schon vor dem Andruck eine Inszenierung. Der Politiker weiß dies, der Journalist ebenfalls. Manchmal zeigt sich ein Politiker erstaunt, wenn er es mit einem Redakteur zu tun hat, den er sich vorher nicht hat ausrechnen können. Der fragt selbstbewusst nach in eigener Sachkenntis etwa der Situation vor Ort und lässt gewisse politische Allgemeinbotschaften des Interviewten nicht durchgehen. Der Journalist/Redakteur, die jeweilige Journalistin/Redakteurin ist Herr/Herrin des Verfahrens im Interesse der Leser. Abgesehen davon dauert ein solches Interview in der Regel mindestens ein/zwei Stunden. Ein Minister etwa reist mit seinem Pressetross an, der ihn abschirmt und unter Kontrolle hält. Einmal mehr sind Journalisten Gegner. Die einen wollen etwas wissen, die anderern bedeutsame Infos verhüten. Ein Interview mit hochrangigen Politikern zu führen bedeutet aus Sicht der Redaktion stets sauharte Arbeit. Das Interview muss schließlich noch „autorisiert“ werden. Meist geschieht dies erst kurz vor den üblichen Andruckzeiten. Damit komme ich wieder darauf zurück, dass ein Interview mit etwa einem Politiker stets sehr viele Kräfte in der Redaktion bindet und letztendlich ein inszeniertes Schauspiel ist.
Man kann diesen dem Schauspiel iinhäerten Konflikt als Journaist auf elegantere Weise nur umgehen, wenn man sich in einem eigenen Artikel nur die wesentlichen Zitate autorisieren lässt. Damit ist allerdings gelegentlich eine gewisse Leseanspannung heraus. Das Lesepublikum goutiert schließlich den Genuss offfenbarter Ansichten zur Flüchtlings- und künftigen Europa-Pollitik. Ein gutes Wortlaut- Interview funktioniert immer dann, wenn man aus Erfahrung heraus weiß oder ahnt, an welchen Themen das Lesepublikum interessiert ist. Man muss sich also genau überlegen, wann und wie man welche Fragen oder Nachfragen anbringt, um nicht als journalistsche Pfeife unterzugehe und dem Blatt zu schaden. Wir fragen also nicht „unterwürfig“, sondern auf „Augenhöhe“.Dies setzt voraus, dass einige praktische politische Erfahrungen möglichst schon vor dem Volontariat angesammelt wurden, in welcher Partei und in welchen Gemeinderats- oder Stadtratssitzungen auch immer. Nach einiger Übung hatte ich mir vor Interviews mit Johannes Rau und Edmund Stoiber, mit Horst Seehofer und Alfred Dregger sowie mit etlichen Bundes- wie Landesministern und mit einem NobelpreisPhysiker etc angewöhnt, mir allenfalls maximal 4 Fragen zu überlegen und je nach Reaktion einige „Nachhakereien“. Selbstverständlich beginnt damit das Problem für eine knapp besetzte Mantelredakton,
ein Interview höchst aktuell druckreif autorisiert unter Kontrolle zu halten.
Es ist auch eine zusätzliche Schwierigkeit, dass Journalist/Politiker einander sich bei einem Interview in grundsätzliche Diskussionen verwickeln. Oftmals wertschätzen sie einander nicht. Da treffen gelegentlich Hochmütige aufeinander. Dies ist mir gelegentlich passiert mit Politikern jedweder Couleur und war oftmals nicht zu vermeiden. Man muss neben dem Gespür fürden Interviewpartner auch sattelfest in Kenntnis von der Entwicklung der jeweiligen Parteiprogrammaitik sein. Einige Politiker zeigen sich in diesem Zusammenhang je nach Tageslaune offen und bekennen gelegentlich einige Ratlosgikeit. Solches wird natürlich nicht gedruckt, weil dies niemals autorisiert werden würde.
Im Bad Kissinger Redaktionsraum erklärte Max Streibl im Zusammenhang mit der „Amigo-Affäre“ die Bereitschaft zum Rückttritt. Dies wurde von einem Kollegen sofort gemeldet und die dpa reagierte mit einer „Eil-Meldung“, weil unsere Redaktion als verlässlich galt. Für ein Inteview war Streibl nicht mehr zugänglich. Theo Waigel hatte sich bei diesem „kleinen CSU-Partei“ strikt im Hintergrund gehalten, weil er vermutlich wusste, dass Stoiber Streibls Nachfolger werden würde, nicht er. Kein Interview. Wir wussten in welchem Lokal er saß. Drängen wir Journalisten Politiker, die nicht wollen, zu einem Interview, obwohl es deren Pflicht ist, Rede und Antwort durchzustehen?
Ein Druck -Desaster bei der Saale-Zeitung Bad Kissingen bahnte sich an, als der Fraktionsvorsitzende der Unionsparteien, Friedrich Merz, am 11. Januar 2002 während eines Interviews in unserer Redaktion keinerlei Dunst davon hatte, dass sich zur gleichen Zeit Merkel und Stoiber in Wolfratshausen trafen. Das komplette Wortlaut-Interview wurde in Sekunden der „Rundablage“ versenkt und zu einem nachrichtlichen Artikel umgeschrieben werden. Dabei wäre es sicherlcvh von einigem Interesse gewesen, dieses abzudrucken.
Es versteht sich von selbst, dass ich am Tag der „Wende“ mich an jenem „Abfeiertag“ am Grenzübergang bei Mellrichstadt sofort um Interviews mit glücklichen Menschen in ihren Trabis kümmerte. Wenig später gelang mir der Kontakt zu dem Psychotherapeuten Joachim Maaz. Es war aber sofort klar, dass in Interviews mit DDR-Bürgern eine andere als die gewohnte Gesprächsweise angemessen war. Diese hatte ich auf einer Donau-Insel vor Budapest gelernt, wo sich Ossis und Wessis im Flussgestrüpp versteckten, um im Sommer 1978 leise über das neueste Buch von Bahro zu diskutieren.Die Alternative.
Nochmals anders im Ton verliefen direkt nach dem Mauerfall ein Interview in der russischen Botschaft der Sowjetunion Bad Godesberg und mit einer US-Diplomatin in München.
Mir ist nach vielen Interviews bewusst, dass dieses journalistische Format eines der kompliziertesten ist. Man muss das Vertrauen des Interviewpartners gewonnen haben, damit der als „Info-Quelle“ einiges an wichtigen Bemerkungen zum jeweiligen Thema herauslässt. Man muss im Job selber als respektiert gelten. Man darf sich nicht „vereinnahmen“ lassen, sondern muss imer kritische Distanz bewahren, den jeweils Anderen zu Wort kommen lassen und nicht viele Fragen in eine einzige packen. Abgesehen davon habe ich mich überhaupt nicht geniert, ein Interview mit mir selbst zu führen. Rückblickend auf viele Fehler, die mir bei Interviews unterlaufen sind, spannend wurde es stets, wenn ein Poliker rückfragte: „Sind Sie sicher, dass diese Ihre Interview-Frage ernst gemeint ist?“ – „Ja.“ –Sie sind ein schlechter guter Journalist.Ich werde nicht antworten.“ An Wallraff kommt kein Journalist vorbei, der in seiner Arbeit mit einiger Vernunft auch in Interviews sorgfältig professionell und überzeugend agieren will.