Der NSU-Prozess: Offener Brief aus der Provinz gegen die hochmütige FAZ

Geschrieben am 5. Mai 2013 von Paul-Josef Raue.

Sehr geehrter Herr Schäffer,
verehrter Kollege (wenn Sie diese Anrede nicht als Anmaßung verstehen, denn ich schreibe nicht für eine überregionale Zeitung, sondern für eine Provinzzeitung),

Sie schreiben in der FAS zum NSU-Prozess:

Wie soll Öffentlichkeit in einem Verfahren, in dem die Grundfeste unseres Gemeinwesens verhandelt werden, anders hergestellt werden als durch eine Berichterstattung in überregionalen Tageszeitungen und Wochenzeitungen?

Sie erkennen, dass dies Hochmut ist gegenüber den Regional- und Lokalzeitungen, und sie geben dies auch zu:

Das ist kein Dünkel gegen regionale und lokale Zeitungen. Sie haben ihre Stärke und ihre Funktion. Sie bieten hohe journalistische Qualität, die unsere deutsche Zeitungskultur prägt. Aber wie der NSU-Prozess verläuft, wird auch und gerade jenseits der deutschen Grenzen beobachtet. Das Bild, das sich die Welt von Deutschland macht, wird durch die überregionalen Zeitungen bestimmt.

Das ist ein vergiftetes Lob: Provinzzeitungen sind für Provinzler da, wir schreiben für die Welt. Also stellt Euch in die Ecke, Ihr Lokalzeitungen und Provinz-Redakteure!

Mit Verlaub, geschätzter FAZ-Redakteur, dies ist ein Prozess für die Provinz,  vor allem für die ostdeutsche Provinz. Aus Jena kommen die meisten der jungen Leute, die des Terrorismus angeklagt sind; sie sind im Osten aufgewachsen und haben in Thüringen und Sachsen ihre Unterstützer gefunden.

Die Menschen in der Ex-DDR, die einer unglaublichen Revolution zum Erfolg verhalfen, sind durch die NSU in den Generalverdacht geraten: Im Osten sei der Nährboden des braunen Terrors! Im Osten lebten die Menschen, welche die Mord-Serie erst möglich machten!

Die Regional- und Lokalzeitungen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg haben intensiv über die NSU und die Neonazis recherchiert, haben viele Details ans Licht befördert. Die Lausitzer Rundschau beispielsweise hat einen der Nannen-Preise gewonnen, weil sie sich den braunen Kämpfern entgegen stellte, sich nicht einschüchtern ließ und weiter recherchierte.

Für solch eine Recherche in der Lausitz braucht ein Lokalredakteur kein klimatisiertes Büro und keinen internationalen Vertrieb: Er braucht Mut, weil die Neonazis seine Gesundheit bedrohen, er braucht Zivilcourage, weil er auch einige seiner Leser überzeugen muss, und er braucht eine Chefredaktion, die ihm den Rücken stärkt.

Wenn die FAZ über den Osten berichtet, dann reitet sie nicht selten auf den Vorurteilen durchs Land, die wir in der Provinz überwinden wollen und auch überwunden glaubten. Ich erinnere mich an eine ganzseitige Reportage in der FAZ, in der ein türkischer Arbeiter aus Rüsselsheim durch den Osten fuhr und in der ihn Ihre Reporterin aufforderte, breit anzuprangern, wie grau, schlimm und abstoßend dieser Teil Deutschlands ist.

Mir graut davor, dass Ihr Bild vom Osten in der Welt verbreitet wird. Es sind die Regionalzeitungen aus Thüringen und Sachsen, die wohl am besten, am genauesten und am fairsten über den Prozess in München berichten können. Wir kennen die Milieus, die Eltern, Verwandten
und Freunde der Angeklagten – und wir schreiben für die Menschen, die in eine Art Kollektivschuld genommen werden.

Ja, Sie haben Recht: Es geht um die Grundfeste unseres Gemeinwesens, die aber nicht für das Ausland verhandelt werden, sondern zuerst für die Menschen in Jena und Eisenach, Zwickau und Oberweißbach und den Rest der Republik.

Die Thüringer Allgemeine wird nicht in „rund neunzig Ländern verbreitet“ wie die FAZ. Sie wird nur von knapp einer Million Menschen in Thüringen gelesen, wenn wir unsere beiden Schwesterzeitungen dazu rechnen, für die wir auch über den Prozess berichten – wie auch für ein paar Millionen Leser im Ruhrgebiet, im Sauerland und am Niederrhein, in Braunschweig und Wolfsburg und in Österreich,wo eine Reihe von Zeitungen um unsere Berichte bittet, weil wir die braunen Terroristen und ihr Umfeld kennen.

Sie, verehrter Herr Schäffer, suggerieren in Ihrem offenen Brief an den Präsidenten des Oberlandesgerichts: Nur überregionale Zeitungen und ihre „erfahrenen Berichterstatter“ können den Lesern „ein vielfältiges Bild verschaffen, können vergleichen, können ihre Schlüsse ziehen“.

Bei allem Respekt vor Ihrer Überheblichkeit: Das können wir in der Provinz auch, und wahrscheinlich in diesem Prozess besser als Sie.

Kommentar per Mail am 10. Mai von
Dr. med.Lutz Langenhan

Sehr geehrter Herr Raue, mit teils ambivalentem Interesse verfolge ich aufmerksam Ihre gelungenen Beiträge mit überregionaler Wertschätzung. Hochmut war im frühen deutschen Wortsinn eine Tugend. Herr Schäffler ist eben schlichtweg arrogant! Hoffentlich erinnern sich die Redakteure der FASZ an ihren Lateinunterricht.

54 Kommentare

  • Toll! Vielen Dank!

    • … soll ernsthaft klingen, nicht ironisch!

  • […] Ergänzung: Der F.A.S.-Autor bekommt es jetzt auch noch mit dem Chefredakteur der »Thüringer Allgemeinen« zu tun: Ein Rant, der sich gewaschen hat. […]

  • Bravo! Ein überaus berechtigter Zwischenruf!!

  • Der Brief von Schäffer nervt. Dieser Brief nervt mal mindestens genauso. Was soll so ein Mist?

    „Die Menschen in der Ex-DDR, die eine unglaubliche Revolution zum Erfolg verhalfen, sind durch die NSU in den Generalverdacht geraten:“
    -> Hä? Was ist das für eine Logik?

    „Mit Verlaub, geschätzter FAZ-Redakteur, dies ist ein Prozess für die Provinz, vor allem für die ostdeutsche Provinz.“
    -> Sachmal, geht’s noch? Der Prozess ist als allererstes für die Opfer.

    „Mir graut davor, dass Ihr Bild vom Osten in der Welt verbreitet wird. Es sind die Regionalzeitungen aus Thüringen und Sachsen, die wohl am besten, am genauesten und am fairsten über den Prozess in München berichten können. Wir kennen die Milieus, die Eltern, Verwandten
    und Freunde der Angeklagten – und wir schreiben für die Menschen, die in eine Art Kollektivschuld genommen werden.“

    ->Und mir graut davor, dass jemand, der solche Sätze aufschreibt, Journalist ist.

    • Was nervt? Was graust?

    • Der Prozess ist wenn überhaupt, dann ‚für‘ den Staat. Wenn er für die Opfer wäre, handelte es sich um einen Zivilprozess. Die Opfer dürfen, weil sie solche sind, am Prozess teil haben. Sie können auch ihre zivilrechtlichen Ansprüche im Adhäsionsverfahren verfolgen, jeweils bei Mordopfern können das natürlich die Angehörigen. Beim Strafrecht geht es aber um die Ahnung der Tat, zentralfiguren sind daher die Täter und der Anspruch an der Allgemeinheit an eine Ahndung der Tat. Es geht aber nicht um Ausgleich des Unrechts, dass den Opfern zu Teil wurde.
      Wenn der Prozess ‚für‘ etwas taugt, dann den Rechtsstaat zu stärken.

      So wie ich den offene Brief hier verstehe, soll lediglich die Hybris der Faz (s) widerlegt werden, dass nur die überregionalen Zeitungen angemessen über den Prozess berichten können. Das ist mE eindrucksvoll gelungen. Ob es gut ist, dass man, bis auf den Rattenkönig (BILD) , auf überregionale Zeitungen verzichtet, ist eine andere Frage. Aber das Los ist halt ein Los. Wenn man vorher bestimmt, was rauskommt, ist es keine Ziehung mehr.

    • @Nerv

      „->Und mir graut davor, dass jemand, der solche Sätze aufschreibt, Journalist ist.“

      Ach so? Erklären Sie bitte mal, warum. Mag ja sein, dass Sie sich mit „Hä“ und „Nerv“ und „sachmal“ und „gehts noch“ und „denkt denn niemand an die Kinder“ … Verzeihung, „denkt denn niemand an die Opfer“ angesprochener fühlen.

      Ich sehe allerdings keine Fehler. Mag ja sein, dass Sie eine andere Meinung haben, aber Sie verstehen doch, dass Menschen, die anders denken als Sie, eine Meinung haben dürfen, nicht wahr? Die dürfen sogar Journalisten sein! Ihr Grauen vor diesem Satz kann also eigentlich nur darauf beruhen, dass er Ihnen zu komplex ist oder dass Sie einen Fehler gefunden haben. Ich versuche also, Ihnen ersteres trotz „Hä-und-sachmal“ nicht zu unterstellen und warte auf die Erklärung: Warum sind „solche Sätze“ für einen Journalisten problematisch?

  • „die aber nicht für das Ausland verhandelt werden, sondern zuerst für die Menschen in Jena und Eisenach“

    wohl doch zuerst für die Menschen, die ermordet wurden, und ihre Hinterbliebenen.

    • Wir gedenken der Opfer,wir trauern um sie. Aber der Prozess gilt zuerst den Angeklagten, denen die Schuld oder Unschuld nachzuweisen ist; den Angehörigen der Opfer, die wissen wollen,was wirklich geschehen ist; der Gesellschaft, die die Wahrheit wissen will und darüber befinden, welche Konsequenzen wir für unsere Zukunft ziehen müssen.

      • „Aber der Prozess gilt zuerst den Angeklagten, denen die Schuld oder Unschuld nachzuweisen ist“
        Glückwunsch, Herr Raue! Mit diesem Satz haben Sie all das treffend zusammengefasst, was die große, überregionale Journaille nie verstehen wird – und ihre boulevardisierten Leser noch viel weniger.

  • Die Thüringer Allgemeine liegt bei mir nicht am Kiosk.

    Ansonsten sehr gut! Weiter machen!

  • Ein einziges Wort zu den Opfern hätte mir gereicht. Leider fehlt dies völlig.

    • Ja,Sie haben Recht.Wir haben in der TA intensiv über die Opfer mit eigenen Geschichten geschrieben. Aber ich halte es mit dem biblischen Spruch: Alles hat seine Zeit. In diesem offenen Brief ging es die Verteidigung der Provinz gegen den Hochmut der Metropole.

  • Was nützt es mir, dass irgendwelche ostdeutschen Lokalzeitschriften ganz toll recherchiert haben, wenn ich diese Zeitungen da, wo ich wohne, überhaupt nicht kaufen kann.

    Der NSU-Prozess ist von nationalem Interesse, deswegen sollten vor allem überregionale Zeitungen darüber berichten, die auch wirklich in ganz Deutschland gekauft werden können.

    Ist das jetzt auch hochmütig?

    • Die Thüringer Allgemeine wird online intensiv über den Prozess berichten und kommentieren. Wir halten es für wichtig, dass auch außerhalb von Thüringen die ostdeutsche Sicht gesehen wird. Schauen Sie einfach mal rein.

      • Danke für die Info.
        Allerdings finde ich befremdlich, dass Sie auf eine „ostdeutsche Sicht“ hinweisen.
        Was ist in diesem speziellen Fall (NSU-Morde) das Besondere an dieser „ostdeutschen Sicht“?

        Wenn bei uns im Westen jemand eine „westdeutsche Sicht“ betonte, würde es ihm sicherlich im Osten als Arroganz ausgelegt werden, so als glaube man im Westen, dass man der Wahrheit, bzw. sauberer Berichterstattung näher wäre als im Osten.
        Genauso könnte ich einer „ostdeutschen Sicht“ unterstellen, dass sie Dinge relativiert, die nicht relativiert werden sollten. Auch irgendein Vorurteil, dass ich mir gerade ausgedacht habe.
        Das ist alles völlig unnötig. Aber nichts für ungut.
        Vielleicht schaut der Wessi mal bei der Thüriner vorbei.

    • Nein, das ist nicht hochmütig. Beide müssen berichten dürfen: Die Überregionalen wie die Regionalen aus der Heimat der Angeklagten.

      Ich wende mich gegen das Ausspielen von überregionalen und regionalen Medien, von wichtig und unwichtig, von Metropole und Provinz.

      • Durch die Begrenztheit der Sitze im Prozess ist das Ausspielen unausweichlich, besonders dann, wenn ganz große überregionale Zeitung draußen bleiben müssen.
        Man muss einfach damit leben. Ist doch nur eine Frage der Zeit, bis man das alles wieder vergessen hat.

  • Guten Tag, Herr Raue,

    Lob und Anerkennung. Mein voller Ernst. Die Art und Weise, in der insbesondere die Platzhirsche des Business in der letzten Zeit aufgetreten sind und auf das vermeintliche recht pochten, doch bitte wie immer in der ersten Reihe sitzen zu dürfen, war peinlich. Hier sollten FAZ, WELT & Co. sich selbst mal wieder auf Normalmaß zurückdenken.

    Insbesondere erweckt deren Vorgehensweise bei mir mehr und mehr das Gefühl, dass gerade diese beiden großen Blätter und ihre Beschäftigten mal wieder nicht begriffen haben, dass ihr Papier immer seltener und ihre Onlineausgaben immer häufiger verkauft werden. Und in Zeiten von Smartphone und iPad ist Reichweite eben nicht mehr gleichzusetzen mit der Anzahl der im Kiosk liegenden Zeitungen, sondern realer Zugriffszahlen im Netz.

    Ich danke Ihnen für Ihren Kommentar und werde in Zukunft häufiger mal auf die Seite der „Thüringer Allgemeinen“ schauen…wenngleich der Onlineauftritt ein bisschen mehr Liebe vertragen könnte.

    • Ja, unser Online-Auftritt ist nicht perfekt. wir ärgern uns selber darüber (denn wir glauben, dass wir etwas zu sagen haben und oft wirklich gut sind), und wir werden spätestens im Herbst übersichtlicher und freundlicher werden.

  • Zitat: „Aber wie der NSU-Prozess verläuft, wird auch und gerade jenseits der deutschen Grenzen beobachtet.“

    Genau das wage ich zu bezweifeln. Der Prozess wird anderswo keine große Rolle spielen, allerhöchstens Verwunderung auslösen. Er wird zur Schicksalsfrage erhoben und kann nur enttäuschende Antworten liefern, da es einzig und allein um die subjektive Schuld der Angeklagten geht. Aber gleichzeitig beschäftigt sich die Presse größtenteils mit sich selbst. Das nervt selbst die Inländer (egal ob Ost oder West) zunehmend.

    • Das bezweifle ich. Wenn es um rechte Gewalt in Deutschland geht, schaut das Ausland genau hin. Wir haben eine Geschichte, die einmalig ist – das dürfen wir nicht vergessen.

      Wer das in Deutschland nervig findet, will unsere Geschichte verdrängen, zum Tabu erklären. Erstens funktioniert das nicht; zweitens ist es eine, wenn auch laute Minderheit, die das Verdrängen will oder gar zum politischen Programm erklärt.

      • „Das bezweifle ich. Wenn es um rechte Gewalt in Deutschland geht, schaut das Ausland genau hin. Wir haben eine Geschichte, die einmalig ist – das dürfen wir nicht vergessen.“

        Sie mögen es bezweifeln, aber die Fakten sprechen eine andere Sprache: auf den Web-Auftritten der NY Times, des Guardian, der Washington Post, von CNN, BBC, El País, Le Monde und vielen anderen stellt die Berichterstattung über den NSU-Prozess höchstens eine Randnotiz dar, mehr als eine Tickermeldung über den Prozessauftakt ist in den meisten Fällen nicht drin – wenn überhaupt etwas zu finden ist. Genau hinsehen geht anders…

        Wenn Sie mit „das Ausland“ hingegen „die Türkei“ meinen, dann bin ich bei Ihnen, außerhalb davon ist der Prozess (bis auf vielleicht in Griechenland oder dem deutschsprachigen Ausland) deutlich weniger prominent/interessant als „the German Fachkraeftemangel“ (Washington Post), das anstehende deutsch-deutsche Champions League Finale (NY Times), oder die Eröffnung des ABBA-Museums in Stockholm (CNN). 😉

        Man kann sich seinen „historisch bedingte besondere Beobachtung“ auch einreden. Stimmen tut das deshalb noch lange nicht.

        • Die Beobachtung ist korrekt: Im Ausland – von der Türkei, aber auch Österreich abgesehen – ist die Intensität der Berichterstattung über den Prozess nicht so groß wie in Deutschland. Ich warte aber ab: Der Ausgang wird auch international beachtet werden, also der Blick auf das Urteil und die Reaktionen in Deutschland. Gleichwohl haben Sie Recht: Es ist zuerst eine deutsche Angelegenheit.

          • Richtig, Abwarten und Teetrinken lautet die Devise – zumindest sollte sie das. Leider bekleckert sich der Großteil der Medien in dieser Richtung alles andere als mit Ruhm.

            Und was die Reaktionen auf das Urteil angeht, so habe ich da in anderer Richtung meine Bedenken: während ein Freispruch (oder eher eine verhältnismäßig geringe Strafe für Brandstiftung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung) aus Mangel an Beweisen, was laut derzeitigem Kenntnisstand kein Ding der Unmöglichkeit zu sein scheint, hier und in der Türkei wohl zu akuter Schnappatmung führen würde, so glaube ich, dass das Ausland, um dessen wohlwollende Meinung wir uns in rechtstaatlichen Angelegenheiten bemühen sollten – die freien Demokratien wie USA, UK, etc. (nein, NICHT die Türkei!) – dies problemlos akzeptieren würde. Die Unschuldsvermutung und die Verpflichtung (!) des Gerichts, für eine Verurteilung die Schuld ohne begründete Zweifel nachweisen zu müssen(!), ist neben dem Recht zu Schweigen eines der höchsten Güter, das unseren Staat zu einem Rechtsstaat macht. Ein dem absolut unwürdigen politisch-medialen Druck geschuldetes Indizien-Urteil könnte so mMn mehr Schaden im Ausland anrichten als ein ordentlich begründeter Freispruch. Man erinnere sich nur an den Fall O.J. Simpson. War er es? Gut möglich. Kann man es zweifelsfrei beweisen? Nein. Ergo, Freispruch. Und das ist auch richtig so. Lieber 5 Schuldige laufen frei herum, als dass ein Unschuldiger für den Rest seines Lebens im Knast sitzen muss. Dass das schlimm für die Angehörigen der Opfer ist, zweifellos, dennoch beruht unser Rechtssystem auf der unverzichtbaren Maxime „in dubio pro reo“.

            Aber wie Sie schon sagten: abwarten! Wir werden sehen, wie das Gericht rechtsstaatliche Prinzipien und emotional aufgeladene Rache- und/oder Sensationsgelüste von außen unter einen Hut bringt. Bisher bin ich mit dem OLG sehr zufrieden – wenn man es mal ganz nüchtern betrachtet, so hat es bisher nichts falsch gemacht, von der technischen Panne im Auswahlverfahren mal abgesehen.

  • […] Dünkel gegen regionale und lokale Zeitungen”, schrieb er. Die Antwort kam prompt in einem“Offenen Brief aus der Provinz gegen die hochmütige FAZ”. (F.A.Z, […]

  • +1

  • Da empfehle ich: http://www.dradio.de/dlf/sendungen/kommentar/2090856/

    Ein paar Gedanken:

    I.

    Der Prozess wird auch nicht „in allererster Linie“ für die Opfer geführt, sondern dient dazu, Recht zu sprechen. In unser aller Namen, für das Gemeinwohl. „Im Namen des Volkes“ ergehen Urteile und gerade nicht im Namen der Opfer. Und das ist auch gut so, denn auf diese Weise wird selbst der Verdacht ausgeräumt, es gehe um Rache oder ähnliche Motive dabei. Man kann großes Mitgefühl für die Opfer und deren Angehörige haben und trotzdem rechtsstaatliche Prinzipien aufrecht erhalten.

    II.

    Dieser Blogartikel genügt einfachen journalistischen Standards nicht („Ich erinnere mich an eine ganzseitige Reportage in der FAZ, […]“ ist auch nicht besser als „Viele sagen“ oder „Wie die Medien berichteten“), ebenso wenig wie denen der Grammatik („Die Menschen in der Ex-DDR, die eine unglaubliche Revolution zum Erfolg verhalfen, […]“). Ich finde, das entwertet ein wenig den großspurigen Titel dieser Website („Handbuch des Journalismus“), es entwertet aber auch Ihren Anspruch als Redakteur der selbst ernannten „Provinzzeitung“, Qualitätsjournalismus zu produzieren. Schade, denn im Wesentlichen stimme ich Ihnen zu. Was in der FAZ, der SZ oder anderen überregionalen Tages- und Wochentiteln nicht schon alles stand, und welche Themen gerade von regionalen Tageszeitungen gründlicher, verständlicher und kenntnisreicher recherchiert wurden – die Liste wäre lang.

    III.

    Was zudem eine (unstrittig überregionale) Zeitschrift wie die „Brigitte“ eher dazu qualifiziert, einen festen Sitzplatz im Gerichtssaal zu haben als viele regionale Blätter, sei dahingestellt. Meine Prognose wäre sowieso, dass demnächst, wenn die ersten Prozesstage ins Land gegangen sind, und hallo-muenchen.de, der Brigitte und Radio Lotte Weimar aufgeht, dass der Prozess möglicherweise Jahre dauert, werde wieder einige Plätze frei.

    • Ein Blog ist ein Blog, schnelle Gedanken aus dem Augenblick heraus geschrieben. Als ich den Offenen Brief in der FAS las, saß ich auf der Terrasse eines Wiener Hotels, wollte die Sonne und einen Prosecco genießen.

      Ich habe mich über den Brief geärgert und schnell geantwortet, ohne lange ins Archiv zu schauen, tief zu recherchieren und alle journalistischen Standards zu erfüllen. In der Tat.

      Übrigens – entspricht Ihr Satz „Die Liste ist lang“ Ihren journalistischen Standards? Aber auch Sie antworten nur schnell und schlicht und freundlich auf einen Blog-Eintrag. Danke!

  • Aber Herr Raue,es ist doch nicht chic ,eine Arroganz gegen die andere auszutauschen,mir fehlt der Glaube,dass sie und RadIo Lotte am besten über diesen Prozess berichten.Sollten ihnen kaum inhaltliche Fehler unterlaufen,so werden sie dies durch eine ausreichende Zahl von Druckfehlern kompensieren.

    • Wenn Sie es so verstanden haben, dass ich überheblich wirken wollte, bitte ich um Nachsicht. Die Sicht aus beiden Perspektiven ist sinnvoll: Aus der überregionalen wie der regionalen – aber auch beispielsweise aus der türkischen Sicht. So verstehe ich auch die Entscheidung der Verfassungsrichter: Alle wichtigen Perspektiven müssen bei solch einem großen Prozess ermöglicht werden. Dass sich das Münchner Gericht dagegen sperrt, ist grobe Uneinsichtigkeit, wie Demokratie und Öffentlichkeit funktioniert.

  • Zitatanfang“Wer das in Deutschland nervig findet, will unsere Geschichte verdrängen, zum Tabu erklären. Erstens funktioniert das nicht; zweitens ist es eine, wenn auch laute Minderheit, die das Verdrängen will oder gar zum politischen Programm erklärt“Zitat Ende
    Wenn es Zusammenhänge mit rechtsradikalem Gedankengut gibt, ist es sehr wichtig, daß dies so genau wie möglich betrachtet wird.
    Von Jornalisten die dort wohnen, wo das Unrecht geschah, aber eben auch Überregional, weil machmal vor lauter Gras der Frosch nicht mehr gesehen sieht.
    Aber Menschen, die nicht bei jeder Gelegenheit an diese schreckliche Vergangenheit erinnert werden wollen, Verdrängung zu unterstellen ist falsch. Mich hats schon immer geärgert, daß hier wohl nur mit dem linken Auge gut gesehen wird!! Aber, meine Eltern waren bei Kriegsende beide 3 Jahre alt. Deren Eltern waren kleine Soldaten, einer ist gefallen. Deshalb fühle ich mich an der Vergangenheit nicht schuldig. Aber ich trage, wie jeder in jedem Land, Verantwortung dafür, dass Mörder, die wegen rechtem Gedankengutes morden, schneller enttarnt werden und vor Gericht gestellt werden. Wir vergessen leider allzuoft: Rechtsradikales Gedankengut gibt es weltweit! Und nicht nur Deutschland muss sich anstrengen dagen vorzugehen.

    • Der Einwand ist sinnvoll: Verdrändung ist weder gut noch schlecht. Psychologen sagen: Sie ist für Individuen,die Schreckliches erlebt haben, sogar notwendig. Ob das auch für Gesellschaften gilt?

  • Die Kritik gegen die FAZ-Arroganz ist angebracht, aber das Argument mit der angeblichen „Kollektivschuld“ des Ostens gefällt mir nicht.

    • Das ist nicht meine These. Ich erinnere an eine ZDF-Aspekte-Sendung vom Oktober 2013, in der Jena zur Stadt der Angst erklärt wurde. Diese Sendung provozierte heftige Debatten in Thüringen und im Osten. Viele Menschen im Osten sahen darin den Versuch, dem Osten die Schuld an dem Terror und den Morden der Neonazis zu geben.

      In der Thüringer Allgemeine schrieb der Schriftsteller Stefan Uhly, die Hauptfigur des TV-Beitrags so:

      Der Osten ist immer noch ein fremdes Land für mich, den Wessi. Was ist mit den Medienberichten über ausländerfreie Zonen, über Hetzjagden auf Ausländer, die in aller Öffentlichkeit stattfanden, ohne dass jemand eingriff? Was ist mit der Tatsache, dass die NPD in sämtlichen Ostländern außer in Berlin und Brandenburg mindestens 4 Prozent der Stimmen erreicht hat in den letzten Landtagswahlen, während sie in den Westländern höchstens knapp über 1 Prozent gekommen ist?

      Sicher, die Wahlbeteiligung im Osten ist sehr gering gewesen, so dass die absoluten Zahlen der NPD-Anhänger in etwa mit den Zahlen im Westen übereinstimmen. Aber warum gehen die Leute nicht wählen?

      Gerade die große Zahl von Menschen, die sich nicht am demokratischen Prozess beteiligen, macht mir den Osten unkenntlich. Ich bleibe lieber im Westen, und ich kenne eine Menge Leute, denen es ähnlich geht.

      Ich bin von den Autoren des Beitrags auf diese Angst reduziert worden. Es tut mir leid für die Stadt Jena, dass sie auf äußerst suggestive Weise so negativ dargestellt wird. Es ärgert mich, dass ich nun Bestandteil eines so einseitigen Fernseh-Beitrags bin und es anfangs nicht wahrnahm.

      Was bleibt, ist eine weitere unangenehme Episode deutsch-deutscher Verwerfungen. Es ist in meinen Augen der immer selbe Mechanismus, der hier zum x-ten Male ausgelöst wurde: Wessis, die nicht genau genug hinsehen, und Ossis, die sich so verkannt fühle.

      Es ist ein Täter-Opfer-Mechanismus, dessen Ursachen vermutlich in der Art und Weise liegen, wie die Wiedervereinigung zustande gekommen ist: eben nicht als Vereinigung, sondern als Beitritt.

      Mehr auf:
      http://www.thueringer- allgemeine.de/rechtsterror

  • Die „Welt“, welche sich als sogenanntes selbsternanntes Qualitätsmedium ebenfalls darüber erregt hatte, beim Losverfahren durchgefallen zu sein, hatte heute offensichtlich Glück und durfte in den Sitzungssaal in München. Die „Welt“ berichtete dann vom 1. Verhandlungstag wie folgt: „Aber am ersten Verhandlungstag hat (Richter) Götzl nicht einmal die Chance, die Anklage zu verlesen.“ Das Verlesen der Anklageschrift ist seit jeher Sache der Sitzungsvertreter der StA. Der gesamte Bericht dort strotzt nur von grober Unkenntnis in einfachsten strafprozessualen Dingen. Meine Vermutung ist, dass die Teilnahme am sog. NSU-Prozeß zwischen den einzelnen Ressorts der „Welt“ gleichfalls ausgelost werden und heute das Sportressort gewonnen hat und einen „Jouralisten“ dorthin schicken durfte.

    • Ich bitte um Nachsicht: Meine Kritik ging nicht an die Überregionalen an sich, meine Kritik nahm deren Überheblichkeit ins Visier. FAZ, SZ und Welt sind schon hochprofessionell, so dass ich nicht mag, wenn wir wie ein Oberlehrer jeden Fehler zu einer Generalkritik nutzen. Ein wenig mehr Gelassenheit – dss tut jedem gut.

  • Danke! Was die FAZ – und andere der ach-so-großen und wichtigen Medien – glaubt exklusiv zu beherrschen, ist alltägliches Journalisten-Handwerk. Die Name und Marke entscheidet über gar nichts, sondern der Journalist, der recherchiert und (verständlich) schreibt. Gerade da sollte sich die verquarzte FAZ ein Beispiel an so mancher Zeitung nehmen, die sich nicht an die vermeintliche Hochschulelite des Landes richtet.

    Gruß,
    ein Lokalredakteur, der bis vor zwei Monaten für eine Zeitung mit 150 000er Auflage schrieb und weiß, dass auch (und gerade) bei den Großen und Mittelgroßen viele Blender herumlaufen.

  • Lieber Herr Raue,

    Es ist ein Satz von Herrn Schäffer, den ich für falsch halte: „Das Bild, das sich die Welt von Deutschland macht, wird durch die überregionalen Zeitungen bestimmt.”
    Regionalzeitungen haben ebenso die Chance, international wahrgenommen zu werden, wenn ihre Mitarbeiter die brisanten Geschichten vor der eigenen Haustür entdecken. Mitunter gelingt dies auch uns bei der Lausitzer Rundschau, die Sie freundlicherweise als Beispiel anführen. Nicht nur bei Recherchen zum Rechtsextremismus.
    Deshalb verstehe ich nicht ganz, warum Herr Schäffer diese Mauer zwischen regionalen und überregionalen Medien hochzieht. Ein Lokaljournalist, der sich seine Worte zu Herzen nimmt, hat in meinen Augen schon verloren. Denn er läuft Gefahr, neidisch nach der vermeintlichen Macht der großen Blätter zu schielen.
    Dabei kann ein Redakteur in Spremberg oder Cottbus der gleichen Frage nachgehen wie sein Kollege in Frankfurt am Main: Welche Ereignisse sagen mir etwas über die Gesellschaft, in der wir leben? Wie beschreibe ich dies in der Zeitung?
    Und wenn die Journalisten in Frankfurt und Cottbus zu verschiedenen Antworten finden – umso besser.

  • Es war nicht zuletzt dieser überregionalen „Qualitätsjournalismus“, der eine Dekade lang „Döner-Morden“ „berichtete“, und es war allem voran die „linke“ taz, deren Hauptstadtkorrespondent Gordon Repinski erst kürzlich Halle an der Saale zur “Hochburg der Rechtstradikalen” [1] kürte.

    [1] http://udo.springfeld.eu/blog/2013/04/25/hochburg-der-rechtstradikalen-halle-an-der-saale/

    • Wir sitzen alle im Glashaus: Alle haben von Döner-Morden geschrieben, alle.

  • […] Der NSU-Prozess: Offener Brief aus der Provinz gegen die hochmütige FAZ :: Das neue Handbuch de… Sie, verehrter Herr Schäffer, suggerieren in Ihrem offenen Brief an den Präsidenten des Oberlandesgerichts: Nur überregionale Zeitungen und ihre “erfahrenen Berichterstatter” können den Lesern “ein vielfältiges Bild verschaffen, können vergleichen, können ihre Schlüsse ziehen”. Bei allem Respekt vor Ihrer Überheblichkeit: Das können wir in der Provinz auch, und wahrscheinlich in diesem Prozess besser als Sie. […]

  • […] durch den Dreck und seine Kompetenz in Zweifel zu ziehen. Das provozierte naturgemäß gute Gegenrede der Betroffenen. Wer sich, wie der so genannte Qualitätsjournalismus, meint produzieren zu […]

  • Sehr geehrter Herr Raue,
    Ihr offener Brief ist ebenso richtig wie er überfällig war. Unabhängig von der Berichterstattung über den NSU-Prozess sind es nämlich die Lokalzeitungen, die es als einzige schaffen, die entstandene Distanz zwischen Redaktion und Leser wieder zu verkürzen. Dafür erhalten sie dann das Prädikat „provinziell“ von den nationalen Titeln, denen häufig jedes Gefühl und oft auch der Respekt vor den Regionen verloren gegangen ist. Für Ihren Einsatz vielen Dank und Grüße aus einem anderen Teil der Provinz,
    Dirk Lorey

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  • […] in den Kommentaren nach meinem Offenen Brief an die FAZ klang Unverständnis bis Ärger durch: Was soll denn eine thüringische Sicht? Ist […]

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  • […] können den Lesern ein vielfältiges Bild beim NSU-Prozess bieten. Meine Replik war 2013 der meistgelesene Beitrag in diesem Blog: „Bei allem Respekt vor Ihrer Überheblichkeit: Das können wir in der Provinz […]

  • „… gehören das Hamburger Abendblatt und die Braunschweiger Zeitung ebenso wie die Thüringer Allgemeine zur Funke-Gruppe, und dass man sich dort gegenseitig umsonst Texte überlässt, ist keine kollegiale Freundlichkeit, sondern Sinn der Sache.“
    …berichtet nicht zu Unrecht das „Altpapier“-Blog. Also nicht so dicke damit angeben – es ist ja nur die simple Sparpolitik des Eigentümers.

    Ansonsten: weiter so! Berichten! (ich schätze und mag „die Provinz“ mehr als das inzwischen arg verdreckte Hauptstadtslum)

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