Kriminelle bedrohen Lokalredaktionen – etwa in Uelzen

Geschrieben am 18. Mai 2012 von Paul-Josef Raue.

In der Lausitz bedrohten Neonazis die Rundschau-Lokalredaktion in Spremberg, um Berichte zu verhindern. Im niedersächsischen Uelzen verfolgten die Familienangehörigen einer fünfköpfigen Jugendbande die Lokalredaktion der „Allgemeinen Zeitung“ – etwa mit der Drohung „Das war dein letzter Artikel“. So sollten Berichte über den Gerichtsprozess verhindert werden.

Der DJV in Niedersachsen verlieh der Uelzener Redaktion „für ihr Standhalten“ den „Preis für journalistische Courage“. Für die Braunschweiger Zeitung führte Cornelia Steiner ein Interview mit Chefredakteur Andreas Becker (BZ 8. Mai 2012):

Herr Becker, wenn von Journalisten-Verfolgung die Rede ist, denkt man an Diktaturen, aber nicht an Uelzen mit seinen 34000 Einwohnern.

Wir Lokaljournalisten sind in Deutschland täglich versuchter Einflussnahme etwa durch politische Entscheidungsträger ausgesetzt. Aber dass Leib und Leben bedroht werden, ist wirklich außergewöhnlich.

Was genau ist geschehen?

Die Mitglieder der Douglas-Bande haben versucht, Schutzgelder zu erpressen. Sie haben nachts und am Wochenende randaliert und Passanten in der Innenstadt belästigt. Im vergangenen Jahr kulminierte das mit versuchtem Totschlag und räuberischer Erpressung. Im Verlauf der beiden Prozesse haben Familienangehörige der Angeklagten versucht, auf Zeugen, Polizei und Presse Druck auszuüben.

Wie äußerte sich das bei Ihnen?

In der Redaktion sind Drohfaxe und Drohanrufe angekommen. Redakteure wurden vor Gericht demonstrativ fotografiert, sie wurden bis zum Parkplatz des Gerichts verfolgt und verbal attackiert: „Wir wissen, wo du wohnst. Das war dein letzter Artikel. Wir stechen dich ab, du Schwein.“

Wie sind Sie und Ihre Kollegen damit umgegangen?

Das war eine große Belastung, aber uns war klar, dass wir keinen Millimeter davon abrücken, unserer Chronistenpflicht nachzukommen und über den Prozess zu berichten. Wir haben Kontakt mit der Polizei aufgenommen, es gab in der Redaktion eine Sicherheitsschulung und wir haben bestimmte Sicherheitsmaßnahmen umgesetzt: Für unseren Spätdienst haben wir zum Beispiel spezielle Parkplätze nah an der Redaktion eingerichtet, der Weg dorthin wurde beleuchtet.

Außerdem wurden die Klingelschilder an den Wohnungen beziehungsweise Häusern der Redakteure abmontiert, weil zu befürchten war, dass sich die Angriffe auf das private Umfeld ausdehnen. Wir haben auch dafür gesorgt, dass die Adressen der Kollegen nicht beim Einwohnermeldeamt in Erfahrung zu bringen waren. Schließlich haben wir die Berichterstattung auf meinen Stellvertreter und mich reduziert.

Die Urteile gegen die Angeklagten sind vor wenigen Tagen gefallen: Sie wurden zu mehrmonatigen Haftstrafen verurteilt. Herrscht jetzt Ruhe?

Ja, wir blicken nach vorn. Das Gericht hat versucht, die beiden Prozesse schnell und geräuschlos abzuwickeln, um die Stimmung nicht weiter aufzuheizen. Immerhin lastete ein immenser politischer Druck auf den Verfahren; das Innen- und das Justizministerium waren eingeschaltet. Für die Verurteilten ist der Abschluss der Verfahren eine Chance, die sie nutzen sollten.

Das klingt sehr versöhnlich.

Ich denke, es ist für die Familien nicht einfach gewesen. Die meisten Verurteilten sind in Deutschland geboren, stammen aber aus anderen Kulturkreisen: Die Familien kommen zum Beispiel aus dem Kosovo und dem Libanon. Es ist spannend zu hören, aus welchen schwierigen Verhältnissen sie kommen, welchen schweren Weg sie hinter sich haben. Das muss man berücksichtigen.

Haben Sie sich mit den Familienangehörigen unterhalten?

Ich habe am Rande der Prozesse mit ihnen gesprochen. Ich will die Taten nicht entschuldigen, aber ich möchte verstehen, warum bestimmte Dinge geschehen. In diesem Fall haben sicher alle Seiten gelernt. Ich hoffe, dass die Stadt Stärke daraus zieht. Denn hier handelt es sich um ein Problem der Integration, das schon seit Jahrzehnten in Uelzen besteht. Jetzt geht es darum, Verständnis für beide Seiten zu wecken und weiterhin sensibel zu berichten.

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