Luther, Goethe und der Starkregen (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 23. Juni 2013 von Paul-Josef Raue.
Geschrieben am 23. Juni 2013 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Friedhof der Wörter.

„Himmel, Arsch und Starkregen!“ ist kein Fluch, denn Starkregen ist – im Vergleich mit Himmel und Arsch – ein schwaches Wort. Doch der „Starkregen“ war in den vergangenen Wochen eines der am meisten genutzten Wörter; im Wetterbericht stand es an erster Stelle.

Doch wir haben ein starkes Wort, ein Gefühls-Wort, das in Vergessenheit gerät und dem schwachen Starkregen weicht: Wolkenbruch. Vor einem halben Jahrtausend schlüpfte es in die deutsche Sprache.

Martin Luther schwankte noch, gebrauchte erst die damals geläufige „Wolkenbrust“ – wenn er beispielsweise in seinen Tischreden gegen den Oberchristen in Rom wetterte: „Da ist der Papst mit seinen schädlichsten Traditionen herein gefallen wie eine Wolkenbrust und Sündflut.“

Später wechselte Luther zum modernen „Wolkenbruch“, wenn er dem Volk ins Gewissen redete: „Dich überfallen hier nicht allein Tropfen, sondern eitel Wolkenbrüche mit Sünden.“

Paracelsus war ein berühmter Arzt und Zeitgenosse von Luther. Als er vom Aufplatzen einer Wunde sprach, das er „Platz“ nannte, verglich er es so: Ein Platz geschieht wie ein Wolkenbruch.

Drei Jahrhunderte später machte sich der Dichter Friedrich Hebbel seine Gedanken über die leere Speisekammer: „Hat man nichts zu Hause, so kommen die Gäste wie Wolkenbruch und Hagelschlag.“ Übrigens sah man im Wolkenbruch eine Zeit lang eine Frau: Die Wolkenbruch.

Enden wir das Loblied auf den Wolkenbruch mit einem Fluch des Weimarer Dichters Goethe, zu entdecken in einem seiner Lustspiele: „Wolkenbruch und Hagel!“ Und eben kein Starkregen.

Thüringer Allgemeine, Montag, 24. Juni 2013

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