Manche Lokalteile bewegen sich auf das Niveau von Anzeigenblättern zu (Dieter Golombek im Interview)

Geschrieben am 27. September 2013 von Paul-Josef Raue.

Wie gut sind die Lokalteile der deutschen Zeitungen? Welchen Wert haben Serien in der Zeitung? Wieviel Geschichte gehört in den Lokalteil?

Diese und andere Fragen stellte Hanno Müller von der Thüringer Allgemeine Dieter Golombek, dem Chef der Jury des Deutschen-Lokaljournalistenpreises; der Preis wird am Montag auf der Wartburg verliehen. Dieses Jahr gibt es zwei Sieger: Das Hamburger Abendblatt für die Serie „Die Vermessung Hamburgs“ und die Thüringer Allgemeine für eine lange Serie über „Die Treuhand in Thüringen“.

Am Montag werden auf der Wartburg in Eisenach die Gewinner des Lokaljournalistenpreises 2012 geehrt. Wie beurteilen Sie den aktuellen Preisträger-Jahrgang?

Sehr positiv. Auch positiv, dass unter den 711 Bewerbungen weitere 40 Kandidaten vertreten waren, die die Jury ebenfalls mit gutem Gewissen mit einem Preis hätte auszeichnen können.

Gibt es einen Trend im aktuellen Lokaljournalismus?

Die Guten werden immer besser. Die weniger Guten geraten immer mehr in die Gefahr, sich auf das Niveau von Anzeigenblättern hinzubewegen.

Die Thüringer Allgemeine konnte mit dem Thema Treuhand gewinnen – wieso ist das ausschließlich ein Ostthema?

Die Menschen im Westen sind davon nicht existenziell betroffen. Im Osten hingen daran Millionen von Arbeitsplätzen. Die Treuhand entschied über das Schicksal vieler Menschen. Alle Themen, die Menschen bewegen, sind auch Themen für die Zeitung. Wenn sie die nicht annimmt, wird sie ihrem Auftrag nicht gerecht, sie schadet sich selbst.

Worin besteht Ihrer Meinung nach der lokaljournalistische Wert dieser Beschäftigung mit der Treuhand?

Die Zeitung greift ein verdrängtes Thema auf. Verdrängungen sind im privaten Leben nicht gut, mindestens genauso problematisch sind sie bei Themen, die viele Menschen betreffen. Für mich ist es das große Verdienst der Serie „Treuhand in Thüringen“, dass sie dieses verdrängte Thema öffentlich gemacht hat. Nicht mit dem großen Zeigefinger, sondern mit der Möglichkeit, dass sich die Menschen aussprechen und ihre Beobachtungen und Erfahrungen austauschen. Wichtig dabei: Die Serie differenziert, sie vermittelt die Erkenntnis, dass es die einfache Wahrheit nicht gibt.

Diese Art von Rückschau ist nicht unumstritten. Die Thüringer Allgemeine bringt es nach „Meine Wende“ und der „Grenzwanderung“ mit der Treuhand-Serie sogar auf eine Art Trilogie. Wie viel Geschichte vertragen Lokalzeitungen?

In den genannten Fällen ist es eine Aufarbeitung von Themen, die noch wehtun. Es ist die Aufgabe von Zeitungen, solche Themen aufzugreifen. Eine historische Serie über Erfurt im 18. Jahrhundert wäre sicher nett, kratzt aber an keinem Lack. Mit Wende, Grenze und Treuhand werden aber Themen aufgearbeitet, zu denen viele Zeitzeugen noch etwas zu sagen haben. Sie sollen es sagen und Diskussionen auslösen. Die Zeitung liefert dafür das Forum, eine ihrer vornehmsten Aufgaben. Sie macht so das Selbstgespräch der Gesellschaft möglich.

Manche Leser sagen: Ja, das interessiert uns, auch weil wir dabei waren und mitreden können. Andere wollen nichts mehr davon hören und fragen, ob die Zeitung nicht wichtigere und aktuellere Themen zu beackern hätte. Nach wem soll sich eine Redaktion richten?

Es wird immer Leute geben, die einen Schlussstrich ziehen wollen. Das haben wir ähnlich auch bei der Verarbeitung der Geschichte der Nazi-Zeit erlebt. Meiner Meinung nach darf man diesen Schlussstrich nicht leichtfertig ziehen, zumindest so lange nicht, wie Menschen leben, die damals gelebt haben.

Kann es ein Zuviel an Geschichte für eine Lokalzeitung geben?

Eindeutig ja. Es gibt Journalisten, die sich in ihre historischen Themen verlieben. Es wird vor allem dann zu viel, wenn der moralische Zeigefinger zu groß wird. Journalisten sind keine Wissenschaftler, sie sollen also immer auch an die Dosierung denken. Sie sollen auch bei historischen Themen nicht langweilen und nicht selbstverliebt sein. Sie müssen auch der Selbstverliebtheit von Zeitzeugen Grenzen setzen und ihnen nicht jede Geschichte abnehmen. Auch Zeitzeugen können irren.

Die Jury des Lokaljournalistenpreises besteht aus Ost- und West-Mitgliedern. Wie leicht oder schwer sind die bei der Urteilsbildung unter einen Hut zu bringen – zumal es ja offenbar weiter Ost- und West-Themen gibt?

Die Unterschiede sind nicht mehr so dramatisch wie noch vor 15 oder 20 Jahren. Die „Treuhand“ ist seit Langem mal wieder ein richtiges Ost-Thema, das wir ausgezeichnet haben. Ansonsten haben sich Themen wie Problemlagen sehr angenähert.
Die Jury wurde übrigens unmittelbar nach der Wiedervereinigung um ostdeutsche Kollegen erweitert. Ihre Stimmen haben verständlicherweise mehr Gewicht, wenn es um Ost-Themen geht.

Müssen sich Ost und West gelegentlich zusammenraufen?

Die Jury muss sich generell immer zusammenraufen. Zusammengesetzt ist sie aus Journalisten, Verlegern und Kommunalpolitikern, da treffen sehr unterschiedliche Erfahrungen aufeinander. Bei den beiden ersten Preisen in diesem Jahr gab es allerdings absoluten Konsens, was bei weitem nicht immer der Fall ist.

Die Serie als journalistisches Mittel bietet die Möglichkeit, tief in ein Thema einzusteigen. Sie birgt aber auch die Gefahr der Übersättigung und wachsenden Desinteresses – gibt es da einen Königsweg?

Die richtige Mitte finden: Schreiben, was geschrieben werden muss, damit das Thema rund wird, aber nicht Überdruss und Langeweile erzeugen. Es darf nicht so sein, dass nur noch die unmittelbar Beteiligten und Betroffenen die Serienteile lesen.

Thüringer Allgemeine, 28. September 2013 (in der Beilage zum Deutschen-Lokaljournalistenpreis)

Harald Klipp via Facebook:

Ein aufschlussreiches Interview zum Selbstverständnis von Lokaljournalisten. Schade, dass das Thema Weiterbildung ausgespart bleibt, das ich für sehr wichtig halte. Denn: Wissen ist Voraussetzung für profesionelles Arbeiten.

Antwort: Das war ein Interview für Leser einer Zeitung.

10 Kommentare

  • Darf man Ihre Überschrift zitieren?

    In meiner Heimatstadt gibt es folgendes Szenario: Die führende Lokalzeitung ist Teil eines Firmenkonglomerats aus PR-Agentur, Werbefirma, Druckerei, Postdienst, Anzeigenblattverlag, Veranstaltungsagentur usw – bis hin zum Fahrdienst.

    Der Lokalteil und der Wirtschaftsteil sind infolge dieser Verknüpfungen so schlecht geworden, dass man nicht mehr unterscheiden kann, ob man gerade eine PR-Meldung liest oder ob der Beitrag noch Rudimente des Journalismus enthält. Die Restaurant-Kritiken beschränken sich auf die wohlwollende Beschreibung der Speisekarte und eventuell der Einrichtung des Lokals.

    Was kann man als Leser dagegen tun?

    • Am besten zitieren Sie die Originalsätze von Dieter Golombek aus dem Interview.

      Was kann man gegen eine Lokalredaktion tun, die Werbung und Nachrichten munter mischt? Sie können sich bei groben Verstößen beim Presserat beschweren. Im Pressekodex ist in Ziffer 7 klar die Trennung von Werbung und Redaktion beschrieben. In Ziffer 6 ist auch zu lesen: „Journalisten und Verleger üben keine Tätigkeiten aus, die die Glaubwürdigkeit der Presse in Frage stellen können.“

      Sie können auch mit den Journalisten sprechen, Briefe schreiben, Gleichgesinnte um sich scharen – eben Zivilcourage zeigen und sich einmischen.

      • Ich sehe das differenziert: Die Trennung zwischen Redaktion und kommerziellen Interessen ist letztlich eine Idealvorstellung. Wenn Journalisten gleichzeitig für (furchtbar schlechte) PR-Beilagen und für den Lokalteil tätig sind, kann die formale Trennung noch so gut sein – in der Praxis wird sie nicht funktionieren. Das PR-Umfeld beeinträchtigt die Unabhängigkeit der Journalisten und die Mitarbeit an bezahlter PR senkt auch messbar die Qualität der Zeitungsartikel.

        Ich bin ein sehr interessierter Zeitungsleser und ich gebe auch relativ viel Geld dafür aus. Ich habe 2012 als Blogger Artikel über einige gravierende Fehler veröffentlicht. Die Zeitung nimmt das schon wahr. Aber was ich schreibe, ist eben eine Minderheitenmeinung, auf die eine marktführende Zeitung nicht reagieren muss. Die Zivilcourage eines einzelnen Lesers wird in der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen.

        • Ich teile Ihren Pessimismus nicht: In vielen Redaktionen funktioniert die Trennung von Werbung und Redaktion. Das ist nicht nur eine Idealvorstellung. Den Zusammenhang zwischen Beilagen und Lokalteil sehe ich auch nicht: Wer in einer Beilage sachlich und gut schreibt, der ist nicht verbrannt. Im Umfeld von Artikeln gab es schon immer Anzeigen (auch im Spiegel, auch in der Zeit), das ist die Geschäftsgrundlage von Zeitungen und Magazinen. Sie haben allerdings Recht: Ein Redakteur darf keine bezahlte PR machen, da überschreitet er die rote Linie.

          Und Blogger haben keinen Einfluss? Ich lese unentwegt, dass Blogger die Welt bewegen und verändern. Nur Mut!

          • Ja, es gab schon immer Anzeigen in Printmedien und das soll ja auch so bleiben. In der sonntäglichen F.A.S. stören sie mich z. B. mich überhaupt nicht – im Gegenteil. Dort tragen sie zum wirtschaftlichen Erfolg bei. Und selbstverständlich sollte eine Lokalzeitung einen gewissen Anteil an Anzeigen haben.

            Was für mich eine Grenze überschreitet: Wenn ein Unternehmen ein »Magazin« über die lokale Gastronomie der Großstadt herausgibt und aus diesem (werbenden) Produkt einen Artikel 1:1 in die Zeitung hebt. Vor allem dann, wenn solche Artikel auch noch richtig schlecht sind.

  • Leider hat meine sehr sachlich vorgebrachte Beschwerde beim Presserat nichts gebracht. Die Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle, mit denen ich zu tun hatte, arbeiteten professionell und reagierten auch sehr schnell. Aber der zuständige Mitarbeiter des Presserats hat die Zeitung offenbar um Stellungnahme gebeten und mir dann den Inhalt dieser Stellungnahme mit seinen eigenen Worten wiedergegeben. Das war’s dann.

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  • […] Zu lesen war das Interview in der Thüringer Allgemeine und in diesem Blog. […]

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