Protest gegen Zensur und Willkür: Eine kurze Geschichte des weißen Flecks in der Zeitung

Geschrieben am 2. Dezember 2015 von Paul-Josef Raue.
Links die Ausgabe der International New York Times mit Aufmacher über Thailand, rechts die Thailänder Ausgabe mit einem weißen Fleck statt Aufmacher.

Links die Ausgabe der International New York Times mit Aufmacher über Thailand, rechts die Thailänder Ausgabe mit einem weißen Fleck statt Aufmacher.

Am gestrigen Dienstag (1. Dezember 2015) ist die Thailänder Ausgabe der New York Times ohne Aufmacher erschienen. Außerhalb von Thailand erschien ein Text von Thomas Fuller „Thai spirits sagging with the economy“ (Stimmung und Wirtschaft in Thailand hängen durch), der sich kritisch mit der Militär-Diktatur befasst,  der stark eingeschränkten Pressefreiheit und dem schwierigen Alltag der Thais. Offenbar haben nicht Redakteure den Text entfernt, sondern die Drucker – ob unter Zwang oder in vorauseilendem Gehorsam, ist nicht erkennbar. Die Erklärung im Blatt:

Der Artikel, der hier stand, wurde von unserer Druckerei entfernt. Die International New York Times und ihre Belegschaft spielte keine Rolle bei dieser Entfernung.

 Der weiße Fleck war ursprünglich eine Demonstration der Macht:  Zensoren nahmen Texte und Bilder aus der Zeitung oder schwärzten Sätze und auch komplette Absätze, weil sie den Mächtigen missfielen. Der weiße Fleck signalisierte die Stärke der Diktatur.
Aus dem Instrument der Mächtigen machten Redakteure in der Demokratie ein Instrument zur Kontrolle der Mächtigen.Die taz brachte ein Interview mit Fragen, aber mit durchgestrichenen Antwort-Passagen, die so nicht mehr lesbar waren – als  SPD-Generalsekretär Olaf Scholz ein Interview bei der Autorisierung grundlegend  veränderte hatte.

 

Ähnlich verfuhr die taz 2013 nach einem Gespräch mit dem FDP-Vorsitzenden Philipp Rösler, der einen Abdruck der Druckfassung des Interviews abgelehnt hatte. Die taz  druckte eine weiße Zeitungsseite nur mit Fragen wie:
Wann haben Sie bewusst wahrgenommen, dass sie anders aussehen als die meisten Kinder in Deutschland?
 Allerdings gab es auch heftige Kritik in den Medien an der Art der Fragestellung. Die Chefredakteurin Ines Pohl meinte denn auch: Die Präsentation war missglückt, aber die Fragen waren in Ordnung.

Ähnlich verfuhr die Zeit auf ihrer Online-Seite, nachdem der DFB ein Interview mit Manager Oliver Bierhoff zurückgezogen hatte: Sie druckte nur die Fragen und ließ den Raum der  Antworten leer.

Joachim Braun, der Chefredakteur des Nordbayerischen Kurier, berichtet:

In einem Interview mit einem bayerischen Ministerpräsidenten (Stoiber)  pfuschten neun Leute bei der Autorisierung herum und veränderten sogar meine Fragen, damit sie besser passen. Ich habe die Seite daraufhin kurzfristig rausgeschmissen und dem Politiker geschrieben, dass ich sauer bin und nie wieder ein Interview mit ihm machen werde. Kurz darauf wurde das Interview erneut autorisiert – fast unverändert zu meinem Entwurf.

Alexander Marinos
, Vize-Chefredakteur der WAZ, schrieb als stellvertretender Chefredakteur des Bonner General-Anzeiger, in einer Umfrage der Drehscheibe:

Ich habe schon wiederholt Interviews nicht abgedruckt, nachdem Interviewpartner oder deren Pressesprecher versucht haben, die Texte im Zuge der Autorisierung komplett umzuschreiben und jeden kritischen Ansatz herauszunehmen – bis in die Struktur der Fragestellungen hinein. Namentlich betroffen waren der damalige Linkspartei-Chef Oskar Lafontaine und der frühere Bundesumweltminister und heutige SPD-Chef, Sigmar Gabriel.

2012 war eine Debatte in den deutschen Medien entfacht worden zu Sinn und Unsinn von Autorisierung, nachdem die New York Times generell ihren Verzicht auf Autorisierung erklärt hatte. Diese Debatte war auch Gegenstand eines Handbuch-Blogs: „Lass ich mein Interview autorisieren? Ja, es wird besser“.

 Weiße Flecken nannten Jugendliche eine Zeitung, die sie 2008 und 2009 recherchierten und produzierten und am Ende in einer Auflage von 30.000 Exmplaren druckten. Weiße Flecken so stellten die Jugendlichen ihr Projekt vor:
Weiße Flecken, das sind Geschichten, die während der NS-Zeit nicht erzählt werden durften. Die Erinnerung an sie ist für immer verloren, wenn die Zeitzeugen, die von Brno bis Zabrze, von Klagenfurt bis Mainz die NS-Zeit hautnah miterlebt haben, nicht von ihnen berichten. Auf Initiative von step21 interviewen Jugendliche die letzten Zeitzeugen, durchstöbern Archive und stellen Fragen, die nie zuvor gestellt wurden.

2 Kommentare

  • Oben drüber steht, die Presse, ich rede von meiner Heimat Zeitung, der TA, überparteilich und
    und unabhängig. ..
    Warum überhaupt Beiträge „autorisieren“ lassen?
    Leserbriefe werden doch auch “ nur“ redaktionell nach
    Presserecht redigiert.
    W.J.

  • „Autorisierung“ ist ein heikles Thema, wenn Chefredakteur und Verleger, obwohl anwesend, nicht hinter dem Redakteur/der Redakteurin stehen, die das Interview allein schon aus Zeitgründen mit vier/fünf aktuell kontroversen Fragen in der Regel vor der Mittagszeit bestens präpariert mit präzisen Fragen disziplinierend durchgezogen haben, verbunden mit einigem „Nachhaken“. Nach vielerlei Neververei durch gewünsche Autorisierung hatte ich mich entschieden, keine Wortlaut-Interviews mehr zu veröffentlichen, sondern nachrichtlich über den Besuch von Politprominenz zu berichten. Dieses Verfahren wurde zuvor bekannt gemacht. So entledigte ich mich unter dem Zwang unterschiedlicher Redaktionsschlusszeiten von einigem Stress. Nur noch die auf nachprüfbar gestellten konkreten Antworten mussten von der Presseabteilung des jeweiligen Polit-Profis „autorisiert“ werden. Weitschweifige Ausführungen ließ ich in Kenntnis der jeweiligen lokalen und allgemeinen politische Lage einfach weg. Ich betone ausdrücklich, dass ein Interview von Journalisten allerhöchste Konzentration und bestens präparierte Kenntnisse der jeweiligen Materie voraussetzt. Zudem noch fragen wir an Stelle unserer Leserinnen und Leser., deren konktroversen Interessenlagen bekannt sind. Autorisierungen sowie die damit verbundenen Konkretisierungen politischer Pläne und deren Zweifel daran können ja auch alsbald in weiteren Artikeln bei Nachfragen in jeweiligen Ministerien gegengecheckt werden. Ich bin gegen die sog. „weißen Stellen“ in journalistischen wie in Interviewtexten. Wir haben bei der Berichterstattung zusätzlich noch Probleme bei der Bildauswahl und müssen seriöse tagtägliche Berichterstattung in Konkurrenz zu vielen anderen „härter“ agierenden Internetmedien neu überdenken. Vor allem in Hinblick auf junge Menschen, zu denen auch unsere älter werdenden Kinder und Enkelkinder zählen, die vermutlich ähnliche, aber anders sensible Orientierungsantennen und berufliche Probleme haben im Hinblick auf soziale Absicherung und (pardon) die Rentenzeit.

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