Verfassungsgericht: Und immer wieder für die Pressefreiheit! Das Morgenpost-Urteil

Geschrieben am 28. August 2015 von Paul-Josef Raue.

Fast alle Urteile des Verfassungsgerichts zu Durchsuchungen in Redaktionen enden mit dem Urteil: Verfassungswidrig!  – so auch zur Durchsuchung der Berliner Morgenpost vor drei Jahren. Dem Verfassungsgericht schwant, warum der Staat trotzdem immer wieder durchsuchen lässt: Er will Informanten abschrecken. Das Bundesverfassungsgericht erklärt deshalb deutlich:

 Der Schutzbereich der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) umfasst den Schutz vor dem Eindringen des Staates in die Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit sowie in die Vertrauenssphäre zwischen den Medien und ihren Informanten. Dieser Schutz ist unentbehrlich, weil die Presse auf private Mitteilungen nicht verzichten kann, diese Informationsquelle aber nur dann fließt, wenn sich der Informant grundsätzlich auf die Wahrung des Redaktionsgeheimnisses verlassen kann. Eine Durchsuchung in Presseräumen stellt wegen der damit verbundenen Störung der redaktionellen Arbeit und der Möglichkeit einer einschüchternden Wirkung eine Beeinträchtigung der Pressefreiheit dar.

Die Chronik:

Am Mittwoch, 28. November 2012 durchsuchten Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt Privatwohnung und Arbeitsplatz des Chefreporters der Berliner Morgenpost, weil sie dem Reporter die Bestechung eines Polizeibeamten vorwarfen.

Um 6.55 Uhr begannen die Ermittler ihre Arbeit mit der Durchsuchung der Privatwohnung des Chefreporters. Eine Nebenrolle bei den Vorwürfen spielt eine SMS, in der sich der Polizist bei dem Reporter für 100 Euro bedankte. Dabei handelte es sich um eine Auslage für zwei Jacken, die der LKA-Beamte in einem Polizei-Shop für den Reporter und einen weiteren Kollegen erworben hatte. Dort können Polizisten einkaufen. Der Morgenpost-Reporter gab ihm später das Geld für die Jacken zurück.

Um 8.30 Uhr begann auch die Durchsuchung in den Büroräumen im Verlagshaus der Axel Springer AG. Die Morgenpost gehörte 2012 noch zum Springer-Verlag, mittlerweile gehört sie zum Funke-Konzern in Essen.

Berlins Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) informierte zeitgleich  den Chefredakteur der Berliner Morgenpost, Carsten Erdmann. Heilmann sollte im Auftrag des ermittelnden Staatsanwalts zu einer Deeskalation der Situation beitragen, sagte eine Sprecherin der Justizverwaltung gegenüber der dpa.

Nach Eintreffen der Ermittler wurden ihnen die gesuchten Rechnungen sofort ausgehändigt, um so den Vorwurf der Bestechung zu entkräften. Dennoch bestand die Staatsanwaltschaft weiter auf der Durchsuchung. Die Beamten beschlagnahmten weitere Unterlagen, darunter sogenannte „Zufallsfunde“, also Unterlagen, die nichts mit den aktuellen Vorwürfen zu tun haben. Dazu gehörte auch Material zu Kriminalfällen, mit denen sich der Chefreporter intensiv beschäftigt hatte.

 Zur Vorgeschichte:

Mitte der 90er-Jahre verschwand der zwölfjährige Manuel Schadwald aus Berlin-Tempelhof. Jahrelang gab es Gerüchte, dass er Opfer von Pädophilen geworden sein könnte. Immer wieder tauchte in diesem Fall auch der Name des belgischen Kinderhändlers Marc Dutroux auf. Der Chefreporter der Berliner Morgenpost recherchierte und berichtete zusammen mit einem Kollegen über das Verschwinden des Berliner Jungen.

2010 meldete sich plötzlich ein neuer Informant. Es ergab sich erneut eine Spur, die nach Holland führte. Im Frühjahr 2011 reisten die beiden Journalisten nach Amsterdam. Der Verlag bestand darauf, dass auf der Recherche-Reise ein besonderer Sicherheitsstandard eingehalten wurde. Denn im Umfeld des Kinderhändler-Rings von Marc Dutroux starben schon mehrere Zeugen. Neben zwei Personenschützern einer privaten Sicherheitsfirma wurde auch ein Sicherheitsexperte des Berliner Landeskriminalamts engagiert.

Diesen kannte der Chefreporter seit vielen Jahren persönlich und vertraute ihm daher besonders. Der Beamte begleitete die Reporter außerhalb seiner Dienstzeit nach Amsterdam. Dafür erhielt der Polizist einen Tagessatz von 500 Euro. Solche Tagessätze gelten in der Sicherheitsbranche als üblich. Nach Angaben der Berliner Kuhr Security, die auch Personenschutz übernimmt, betragen die Kosten bei Auslandseinsätzen sogar deutlich mehr. Die Recherchen in Amsterdam dauerten vier Tage. Hinzu kamen Kosten für Flugtickets, Mietwagen und Hotel in Höhe von gut 1000 Euro. Damit belief sich die Gesamtsumme auf gut 3000 Euro.

In Amsterdam stießen die Reporter auf Hinweise, dass es ein Kapitalverbrechen gegeben haben könnte. Doch es gab nur eine Quelle, zu wenig für eine seriöse Berichterstattung. Die Hinweise wurden später der Berliner Polizei zur weiteren Prüfung übergeben. Dafür trafen sich die Reporter mit dem damaligen Leiter der Pressestelle Frank Millert und dem Dezernatsleiter für Sexualdelikte, um die Recherche-Unterlagen auszuhändigen.

Die Staatsanwaltschaft  scheint bei der Fahrt nach Amsterdam von einer Vergnügungsreise auszugehen und leitet daraus den Vorwurf der Bestechung ab. Das der Berliner Polizei übergebene Material lässt aber eindeutig einen anderen Schluss zu: Die Reise war eine Recherche-Reise – mit persönlichem Risiko für die Reporter der Berliner Morgenpost. Nach der Übergabe der Unterlagen an die Berliner Polizei passierte lange Zeit nichts.

Mitte 2012 geriet der Beamte, der die Reporter in Amsterdam begleitet hatte,  in Verdacht, eine geplante Razzia im Rockermilieu an Journalisten verraten zu haben. Die Polizeiführung leitete ein Verfahren wegen Geheimnisverrats an. Auf dem Computer und auf dem Handy des Beamten fanden die Ermittler eine Rechnung für die Recherchereise nach Holland in Höhe von gut 3000 Euro und die Telefonnummer des Morgenpost-Reporters.

Die Rechnung war für die Staatsanwaltschaft der Hauptgrund für den Vorwurf der Bestechung. Denn für Informationen darf kein Geld an Behördenmitarbeiter gezahlt werden. Das wäre Bestechung.

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Urteil des Bundesverfassungsgerichts am 28. August 2015:

Das Gericht teilt auf der Internet-Seite mit (hier in Auszügen):

 Die Durchsuchung in Redaktionsräumen oder Wohnungen von Journalisten darf nicht vorrangig dem Zweck dienen, den Verdacht von Straftaten durch Informanten aufzuklären. Erforderlich sind vielmehr zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat der konkret betroffenen Presseangehörigen, die den Beschlagnahmeschutz nach § 97 Abs. 5 Satz 1 Strafprozessordnung entfallen lässt…

Ein bloß allgemeiner Verdacht, dass dienstliche Informationen an die Presse weitergegeben wurden, genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht. Im vorliegenden Fall ging es den Strafverfolgungsbehörden zumindest vorwiegend um die Ermittlung belastender Tatsachen gegen einen Informanten aus Polizeikreisen. Diesem sollen Geldbeträge für Informationen zu bevorstehenden Ermittlungsmaßnahmen gezahlt worden sein. Bezogen auf dessen Kontakt zu den Beschwerdeführern handelt es sich jedoch um bloße Mutmaßungen.

Zum einen berichtete nicht der beschwerdeführende Zeitungsverlag über die bevorstehende Razzia, sondern ein mit diesem nicht zusammenhängendes Online-Portal. Weder dem Durchsuchungsbeschluss noch der Beschwerdeentscheidung ist zum anderen zu entnehmen, für welche Informationen Geld gezahlt worden sein soll. Der Tatbestand der Bestechung verlangt jedoch schon einfachrechtlich die Vornahme einer hinreichend konkreten Diensthandlung. In Bezug auf die Beschwerdeführer mangelt es daher an zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten für eine Straftat, die den Beschlagnahmeschutz entfallen lässt.

Ferner lässt sich aus dem bloßen Umstand, dass der mitbeschuldigte Polizeibeamte ein auf eine fingierte Person angemeldetes „Journalisten-Handy“ nutzte, nicht auf einen Tatverdacht der Bestechung gerade gegen die Beschwerdeführer schließen. Auf dem Handy waren die Namen des Beschwerdeführers und eines Journalisten des Online-Portals gespeichert. Dies mag dafür sprechen, dass der Informant dienstliche Geheimnisse an Journalisten weitergegeben hat.

Wegen des in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verankerten Informantenschutzes rechtfertigt das bloße Interesse der Strafverfolgungsbehörden, dies zu erfahren, jedoch keine Durchsuchung in den Redaktionsräumen von Presseorganen, sofern nicht erkennbar ist, dass auch gegen diese selbst strafrechtlich relevante Vorwürfe zu erheben sind. Was für eine Weitergabe der Informationen über eine Razzia gerade an den Beschwerdeführer sprechen soll, obwohl ein anderes Online-Magazin, für das der andere eingespeicherte Journalist tätig war, über diesbezügliche Ermittlungsmaßnahmen vorab berichtete, bleibt unklar.

Auch aus dem Vermerk auf der Rechnung lässt sich nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf eine Bestechung schließen. Die Rechnung bezog sich auf die Reise nach Amsterdam, für deren Ermöglichung sich der Beamte dienstunfähig gemeldet hatte. Es erscheint daher nicht fernliegend, dass der Beamte disziplinarrechtliche Konsequenzen wegen der falschen Krankmeldung und mangelnden Nebentätigkeitsgenehmigung befürchtete. Ein Verdacht gegenüber den Beschwerdeführern folgt hieraus jedoch nicht.

 

Quellen: Berliner Morgenpost und Bundesverfassungsgericht

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