Der Fall Mollath: Stilisierung eines Opfers statt sorgfältiger Recherche

Geschrieben am 6. Juli 2014 von Paul-Josef Raue.

So gut kann Lokaljournalismus sein: Die Redaktion des Nordbayerischen Kurier schwimmt gegen den Strom im „Fall Mollath“ und macht das, was guten Journalismus ausmacht: Sie geht zurück zu den Quellen – und stellt Fragen, die sich andere nicht stellen. Zu lesen sind sie in einer Online-Dokumentation des Kuriers „Der Fall Mollath“, erstellt nach dem Vorbild des „Snowfalls“-Features der New York Times (ein umfangreiches, gut gegliedertes Dossier mit Text, Video, Podcast und Foto).

Der Kurier erzählt die Geschichte einer Ehe, an deren Ende man oft nicht entscheiden kann: Wer hat Recht? Wer hat Schuld? Sicher ist nur: Die Frau erscheint in den meisten Medien als die Eiskalte, die Böse – dabei hat keiner mit ihr gesprochen. Sicher ist auch: Sie erzählt eine völlig andere Geschichte. Das beweist nicht, dass sie Recht hat; aber es beweist: Die Geschichte des Mannes ist nur ein Teil der Geschichte – und bringt den Opfer-Kult ins Wanken.

Der Kurier fragt auch: Warum hat der Mann die Deutungshoheit? Warum ist er unzweideutig das Opfer, zudem ein Opfer staatlicher Willkür? Was spricht dagegen:

> Sechs Gutachter aus verschiedenen Städten;
> Mollaths eigene schriftliche Äußerung von 2006 „Ich leide an einer schweren psychischen Krankheit“;
> die Weigerung Mollaths, mit seinem Pflichtverteidiger und dem vom Gericht bestellten Psychiater zu sprechen;
> die Anklage, er sei gemeingefährlich, weil er Freunden seiner Frau Reifen so zerstochen habe, dass sie erst während der Fahrt die Luft verlieren.

Das beweist nichts, aber lässt Raum für Zweifel an der Opfer-Rolle.

Was fehlt im Dossier des Kurier: Warum stilisieren fast alle Medien den Gustl Mollath als Opfer, die Frau und den Staat als die Bösen? Warum sind selbst investigative Journalisten so unkritisch – und stellen nicht die Fragen, die ein gut recherchierenden Journalist stellen muss?

Das medienkritische Kapitel sollte der Kurier unbedingt noch anfügen.

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Joachim Braun, 6. Juli 2014

Lieber Paul-Josef Raue,

der Hinweis auf die fehlende kritische Auseinandersetzung mit der Medienberichterstattung ist richtig. Das war aber nicht die Aufgabe der Kollegen.

Ich hatte mir das Thema Rudeljournalismus und einseitige Recherche im Fall Mollath selber vor einem Jahr mal angetan – wohl wissend um die Reaktionen: Nestbeschmutzer! Wichtigtuer! Wie kann man nur so negativ über die hochangesehene Süddeutsche Zeitung schreiben? Was bilden die in Bayreuth sich da ein?

Trotzdem würde ich es jederzeit wieder so machen: http://ankommen.nordbayerischer-kurier.de/2013/06/24/wie-die-mainstream-medien-im-fall-mollath-manipulieren/

Antwort Paul-Josef Raue, 6. Juli 2014

Lieber Joachim, auch wenn Du über den Rudeljournalismus schon mal geschrieben hast, so gehört das Thema in Euren Snowfall hinein. Das ist ja die Idee des Snowfall: Nicht nur alle Medienformen, sondern auch der komplette Inhalt. Gerade weil der Kurier so eindrucksvoll die Recherche-Fragen stellt, gehört als Abschluss dazu: Warum haben nicht alle die Fragen gestellt, auch die Hochangesehenen? Und die Reaktionen passen doch gut dazu: Nur Mut!

3 Kommentare

  • Lieber Paul-Josef Raue,

    der Hinweis auf die fehlende kritische Auseinandersetzung mit der Medienberichterstattung ist richtig. Das war aber nicht die Aufgabe der Kollegen.

    Ich hatte mir das Thema Rudeljournalismus und einseitige Recherche im Fall Mollath selber vor einem Jahr mal angetan – wohl wissend um die Reaktionen: Nestbeschmutzer! Wichtigtuer! Wie kann man nur so negativ über die hochangesehene Süddeutsche Zeitung schreiben? Was bilden die in Bayreuth sich da ein?

    Trotzdem würde ich es jederzeit wieder so machen: http://ankommen.nordbayerischer-kurier.de/2013/06/24/wie-die-mainstream-medien-im-fall-mollath-manipulieren/

  • Sehr geehrter Herr Raue,

    ist das tatsächlich Ihr Ernst?

    Sie schreiben: „Die Redaktion des Nordbayerischen Kurier schwimmt gegen den Strom im “Fall Mollath” und macht das, was guten Journalismus ausmacht….“

    Das Gegenteil ist der Fall: die Redaktion des Nordbayrischen Kurier führt genau das fort, was Lokalredaktionen, besonders in Bayern, üblicherweise machen, wenn nicht der Scheinwerfer überregionalen Interesses ausleuchtet: sie betreiben Hofberichterstattung für die örtlichen Granden und Behörden. Faktenresistent und immer gegen die jeweiligen Betroffenen, rechthaberisch voreingenommen, autoritätshörig.

    Es gehört schon eine Menge Realitätsverzerrung dazu, diese Rechthaberei im „Fall“ Mollath bis heute als „sorgfältige Recherche“ und fast schon Ausdruck heldenhaften zivilen Ungehorsams gegen einen allesamt auf dem Holzweg wankenden „Mainstream“ hinstellen zu wollen.

    Herr Lapp und Frau Lakotta sind m.E. die Geisterfahrer, die staunend raunen: „Lauter Geisterfahrer“.

    Mit einer vergleichbaren Haltung käme der einfache Bürger ganz schnell mit der Diagnose „wahnhafte Paranoia“ in geschlossene Anstalten – zumindest in Franken, sobald sich die Kritik gegen Behörden und Gerichte richtet.

    Das nämlich sind die Fakten: zu Unrecht weggesperrte Menschen haben in der Regel keinerlei Lobby, keine Unterstützung, erfahren keine Öffentlichkeit. Ganz sicher werden sie nicht zum „Opfer stilisiert“!

    Es läuft im Gegenteil immer nach dem gleichen Muster: eine aktionistische Staatsanwaltschaft, eine CSU-zersetzte Justiz und ein gefälliger Hausgutachter haben sich einen „lästigen“ Antagsteller, einen vermeintlichen „Querulanten, einen Justizkritiker oder Mann im traumatischen Paarkonflikt als „gefährlichen Kriminellen“ ausgeguckt und sperren ihn nach Par. 63 StGB mal eben in die Forensik.

    Die Lokalpresse begleitet diesen „Prozess“ im Sinne der Behörde, die als „privilegierte Quelle“ auch die einzige Quelle bleibt, gerne unter entwertender und diffamierender Darstellungen des Angeklagten. Überhaupt scheint für Regionalpresse in Bayern eine Anklage oder ein Haftbefehl bereits der Startschuss zu sein, mit dem der Betroffene jeden öffentlichen Persönlichkeitsschutz verliert, die Unschuldsvermutung suspendiert ist und die Kriterien für Verdachtsberichterstattung durch so wichtige Fragen sind, wie „sozial wertvoll“ denn die jeweilige Person ist, Vorleben, Beruf, unrasiert?

    Dass der Fall Mollath kein „Einzelfall“ ist, davon konnte ich mich selbst während siebenmonatiger Unterbringung in der Forensik Lohr überzeugen, als man mich nach dem geschilderten Muster ebenfalls zu Unrecht nach „Modell Mollath“ wegsperren wollte, angeführtes Begleitrauschen durch die Mainpost. („Ex-Polizist drohte mit Amoklauf“, Schlagzeile drei Tage nach Festnahme und 14 Monate vor Freispruch…)

    Alle Verfahrensakten sind hier BEWEISRECHTLICH veröffentlicht, die Anzeige wegen Freiheitsberaubung im Amt gegen die fränkischen Juristen wird bis heute im Dunstkreis der Beschuldigten vertuscht (was den EGMR nicht stören dürfte, der ebenfalls befasst ist):

    http://martindeeg.wordpress.com/2013/08/17/bayerische-justiz-der-missbrauch-des-§-63-stgb/

    Hier hat sich noch keiner „getraut“, gegen den Mainstream zu veröffentlichen und den hochrangigen fränkischen Juristen „kritische“ Fragen zu stellen, „zurück zu den Quellen zu gehen“, was ja guten Journalismus für Sie ausmacht…. Seltsam, nicht?

    Mit freundlichen Grüßen,

    Martin Deeg
    Polizeibeamter a.D.

    • Sehr geehrter Herr Deeg,

      ich verstehe Ihren Unmut – in Ihrem Fall. Wahrscheinlich hätte eine Redaktion wie die des Kurier in Ihrem Fall konsequent recherchiert, statt den Verlautbarungen zu vertrauen.

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