Revolte in der Ukraine – und das deutsche Fernsehen verschläft wieder Geschichte
Die Klage ist nicht neu: Immer wenn die Welt aus den Fugen gerät, wie zur Zeit in der Ukraine, bleibt das deutsche Fernsehen außen vor, sendet weiter „Donna Leon“ und „Wetten daß“, „Wallander“ oder Olympia. Außer einem „Brennpunkt“ und einer kurzen Sonderausgabe der Tagesthemen fällt dem Staatsfernsehen mit seinem aufwändigen Korrespondenten-Netz nichts ein, auch nicht in den Info-Programmen.
Der Rundfunk-Journalist Knut Kuckel beschreibt das TV-Desaster in seinem Blog:
das Informationsfernsehen Phoenix.de entführte auf eine Entdeckungsreise durch die Wunderwelten der “Wiese”. Während Julija Tymoschenko, sichtbar geschwächt, aus dem Rollstuhl über auf dem Maidan in Kiew zu den hoffentlich erfolgreichen Revolutionen sprach, blieb den Interessierten am Geschehen nur Twitter, France 24, CNN oder BBC World…
Fairerweise sei angemerkt, das die deutschsprachigen Nachrichten-Fernsehformate n-tv und N24 auch ihre geplanten Schubladen-Dokumentationen mit den üblichen Werbeunterbrechungen sendeten. Das German Television verschlief weitgehend Geschichte.
In der 20-Uhr-Tagesschau versprach die Redaktion: Wer statt Donna Leon lieber den Maidan sehen will, der bekommt im Netz einen Livestream aus Kiew. Knut Kuckel hat ihn sich angeschaut: Unkommentiert, Redner auf Ukrainisch, schlechte Standbilder.
Kritik kam sogar von ARD-Korrespondenten per Twitter:
Annette Dittert, London (@annettedittert):
Am #Maidan geht die Post ab. Und im deutschen Fernsehen herrscht Funkstille. Also @FRANCE24 @CNN.
Die designierte WDR-Chefredakteurin Sonia Mikich (@SoniaMikich):
Wer hat Geduld für Donna Leon?
Und noch einmal Sonia Mikich an die beiden ARD-Korrespondenten in Lemberg und Kiew:
ich beneide euch, dass ihr zur geschichtsschreibung beitragen dürft. das sind sternstunden eines korrespondenten.
Jugendliche informieren sich im Internet am liebsten beim „Spiegel“ und den Tageszeitungen
Die Jugend von heute informiert sich nicht mehr in seriösen Quellen? Sie interessiert sich überhaupt nicht mehr für Politik?
Das ist ein Vorurteil, wie es seit Jahrhunderten von Älteren über die Nachgeborenen gepflegt wird. Zwar schauen Jugendliche immer seltener in die gedruckte Zeitung, aber im Internet schlagen sie die Seiten der bekannten Magazine und Zeitungen auf – mit weitem Abstand vor der Tagesschau und anderen TV-Sendern. Das ist das Ergebnis einer Umfrage unter knapp 600 Schülern zwischen 12 und 22 aller Schulformen, die Josephine B. Schmitt von der Universität Hohenheim in den Media Perspektiven (1/2014) vorstellt.
Die Zahlen sind beeindruckend und überraschend: 29 Prozent der Schüler nennen die Online-Angebote von Printmedien, wenn sie gefragt werden „Welche Internetseite nutzt Du aktuell am häufigsten, um dich über das tagesaktuelle politische Geschehen zu informieren?“ Die sozialen Netzwerke folgen mit 15 Prozent, Google-News und ähnliche mit 10 Prozent; die Öffentlich-Rechtlichen erreichen 8 Prozent, knapp hinter den Privaten wie N24 oder ntv.
Josephine B. Schmitt meint: „Offensichtlich wirkt sich die Strahlkraft der auch aus der Offlinewelt bekannten Medienmarken im Internet positiv aus und gibt den jungen Nutzern das Gefühl, dass sie auf den entsprechenden Portalen verlässliche Inhalte finden.“
„Gut lesbar und einfach zu verstehen “ muss das ideale Online-Nachrichtenmedium an erster Stelle sein. Das sind zudem die entscheidenden Kriterien für eine Nachrichtenseite, die Jugendliche gerne nutzen wollen:
2. Aktuell („Es informiert sofort, wenn es etwas Neues in der Welt gibt“)
3. Unterhaltsam und abwechslungsreich
4. Bildergalerien
5. neutral
6. viele Hintergrund-Informationen
Keine große Rolle spielt die Partizipation, allenfalls mögen Jugendliche Umfragen und die Möglichkeit, Artikel zu bewerten.
Allzu sicher können sich die Journalisten von Zeitungen und Magazinen aber nicht sein, dass Jugendliche den hohen Wert von seriösen Angeboten erkennen. „Die Vertrauenswürdigkeit von Nachrichtenquellen sind von geringerer Bedeutung“, stellt Josephine B. Schmitt fest. Daraus folgert sie – für Lehrer und Journalisten: Jugendliche müssen noch intensiver hinsichtlich der Herkunft und Vertrauenswürdigkeit von Informationen sensibilisiert werden.
Erfolgreiche Bezahlschranke, aber weniger tiefe Recherche
„Wir zahlen nichts“, sagten die Leser der Online-Seiten von Haaretz. „Sie haben gelogen“, sagt Lior Kodner, der Online-Chef der israelischen Zeitung. In einem Land, in dem es mehr Smartphones gibt als Bürger, scheint es zu gelingen: Die Online-Leser zahlen für guten Journalismus.
Es gibt keine eigene Online-Redaktion. Die dreihundert Redakteure sitzen in einem Newsroom, schreiben für die gedruckte Zeitung wie für Online – auch wenn das viele noch üben müssen. Nach dem Wochenende sitzen die Redakteure in der Sonntags-Konferenz zusammen und sprechen über die am meisten gelesenen Artikel der Online-Seiten der vergangenen Woche und des Sabbats.
Was alle noch verstehen müssen: „Wie schreiben wir eine Geschichte in der digitalen Welt?“ Dazu gehören, so Lior Kodner, auch Töne – wenn beispielsweise eine Lokomotive in der Story vorkommt – oder auch kleine Filme. So weit wie Haaretz ist offenbar noch keine große Zeitung in Israel. Der Markt für hebräische Online-Seiten ist auch klein: Gerade mal sieben Millionen potentielle Nutzer in Israel; zwei Millionen davon gehen im Monat auf die Haaretz-Seiten. Weil die Konflikte in Israel und den Nahen Ost auch außerhalb von Israel interessieren, bietet Haaretz nicht nur eine gedruckte Ausgabe in englischer Sprache an, sondern auch eine englische Online-Version, die – je nach Konfliktlage – zwischen zwei und drei Millionen Leser anzieht.
Haaretz musste experimentieren und online gehen, weil die Einnahmen immer mehr zurückgehen – wie nahezu überall in der westlichen Welt. Doch der Journalismus verliert Kraft, „power“, beobachtet Hanoch Marmori, der zehn Jahre lang Chefredakteur von Haaretz war: Weniger investigative Recherche, weniger Bohren in der Tiefe. Der Grund? Die Redakteure wollen das Management nicht aufschrecken, sie wollen keine Risiken eingehen und schauen zu, nur noch Geschichten zu bringen, die die Leute lesen wollen.
Nur auf die Online-Liste der meistgelesenen Artikel zu schauen, sei falsch, meint der Online-Chef Lior Kodner. Man dürfe die gedruckte Zeitung nicht allein nach den Einschaltquoten von Online ausrichten. Man solle sie zur Kenntnis nehmen und berücksichtigen, aber die Zeitung habe schon ein eigenes Gewicht.
Arabische Journalisten schreiben kaum für die israelische Zeitung. Das beklagt auch der frühere Chefredakteur: Es gibt einen arabischen Kolumnisten, der sehr populär ist, aber sonst keine, auch nicht in den anderen Zeitungen. „Sie wollen nicht“, sagt Hanoch Marmari, und fügt leise an: „Vielleicht schaffen sie es auch nicht.“
Die Israelis scheinen Journalismus bei der Armee zu lernen, guten, unabhängigen Journalismus, wie fast alle versichern. „Die Armee ist die einzige wichtige Journalismus-Schule“, sagt Marmari, und alle nicken, weil auch alle drei Jahre in der Armee dienen (Frauen zwei Jahre) und jedes Jahr zu Reserve-Übungen eingezogen werden: Die Armee als Schule der Nation.
Quelle:
Diskussion am 27. Oktober 2013 im „Israel Democracy Institute“, zusammen mit der Adenauer-Stiftung und der Bundeszentrale für politische Bildung (anläßlich von 50 Jahre Israel-Reisen #bpb50israel)
Der dritte Mann, Blogger in Israel und Recherchen auf Facebook
Wer ist ein Journalist in der digitalen Ära? Wer genießt Schutz – wenn es etwa um die Vertraulichkeit der Quellen geht?
Frage von Tehilla Shwartz Altshuler, einer jungen israelische Medien-Wissenschaftlerin, bei einer Diskussion in Jerusalem. In Israel bekommen Blogger nur einen Presseausweis, wenn sie mindestens 10.000 Besucher im Monat nachweisen können; der Ausweis ist wichtig, damit Behörden und Politiker überhaupt reagieren.
Tal Schneider, Israels prominenteste Politik-Bloggerin, kritisiert: Bloggt man über Mode oder Kochen, dann kommt man leicht über 10.000; bloggt man über Politik, wird es schon schwierig. Schneider schafft es, obwohl die Besucher für ihren Blog (auf hebräisch) zahlen müssen. Sie war für Haaretz, die fast hundert Jahre alte Zeitung, Korrespondentin in Washington und wurde kurz nach ihrer Rückkehr gefeuert. Als sie zwei Jahre lang gesucht hatte und keine gute Anstellung gefunden, fing sie an zu bloggen – mit erstaunlichem Erfolg: Wer sich in Israel für Politik interessiert oder Politiker ist, kommt an ihrem Blog nicht vorbei, sagen ihre Kollegen.
Sie erzählt einen ihrer Erfolge: Sie bekam ein Foto zugespielt, das drei Leute in einem vertraulichen Bereich des Parlaments zeigte – zwei von ihnen bekannte Politiker, einer, von dem nur der Rücken zu sehen war, blieb unbekannt.
Wer ist der dritte Mann auf dem Foto?, fragte Schneider auf Facebook und bekam fünfzig Reaktionen – darunter den Namen des Mannes, der ein verurteilter Bombenlager war. Sie recherchierte weiter und fragte die beiden anderen Politiker: Was haben sie mit dem Mann zu tun? Die Geschichte nahmen viele Zeitungen auf, sie wurde zum nationalen Thema.
„Der Blogger ist allein, er hat keinen Editor, der prüft, redigiert, kritisiert“, sagt Tal Schneider. Ihr Editor sind die Leser, ihre Prüf-Instanz ist die Gemeinschaft im Netz, the crowd. Doch ihre Leser sind noch mehr: „Jeder ist ein Reporter, der ein Smartphone hat und ein Foto machen kann.“
Quelle:
Diskussion am 27. Oktober 2013 im „Israel Democracy Institute“, zusammen mit der Adenauer-Stiftung und der Bundeszentrale für politische Bildung (anläßlich von 50 Jahre Israel-Reisen #bpb50israel)
PR als Nachricht: Das Geschäftsmodell von Online-Zeitungen wie Huffington Post
Stefan Niggemeier entdeckt bei der Huffington Post, deren deutsche Ausgabe zu Burda gehört, Pressemitteilungen von Burda, die „als normale Nachrichten“ verkauft werden. Das ist die Geschäftsidee von einigen Online-Zeitungen: Ich verwische die Grenze zwischen PR und Journalismus und lasse mich zweimal bezahlen – zuerst von meinem PR-Auftraggeber und dann vom Online-Nutzer.
Diese Praxis verstößt gegen den Pressekodex. Aber wer beschwert sich schon über Online-Zeitungen beim Presserat? Gehen wir schon davon aus, dass es normal ist in dem Sinne: Womit sollen die Onliner sonst ihr Geld verdienen?
Zumindest können sie PR als PR kennzeichnen.
Niggemeiers Quellen: Pressemitteilung von Burda
http://t.co/83xUhFSP4s
@HuffPostDE:
http://http://t.co/R2E1jr1ssk
DEBATTE
Joachim Widmann
weist zu Recht in Facebook darauf hin, dass die Glaubwürdigkeit ruiniert wird, wenn die „Tranzparenzhinweise“ nicht zu lesen sind. Er weist zudem darauf hin, dass auch die klassischen Zeitungen „in eigener Sache oder bei guten Freunden und Kunden nicht gerade zimperlich sind“.Er berichtet von Redakteuren, die Pressemitteilungen übernehmen und mit eigenem Kürzel veröffentlichen. So sei es einseitig, das Problem nur online zu sehen.
Meine Antwort:
Okay und Dank für den Hinweis – dies ist die berühmte Sache mit dem Glashaus. In der Tat drucken zu viele Redaktionen Pressemitteilungen ohne Not ab, ohne Quellenangabe – und sie tun es meist ohne Druck von oben. Denn zumindest die Quelle kann jeder nennen: Wer will das verbieten? – Bei den lokalen Online-Zeitungen geschieht die PR-Veröffentlichung nicht selten aus der Not heraus, zu überleben. Und da ist die große Huffington Post, die in einem Konzern erscheint, einfach ein schlechtes Vorbild.
Verkürzung und Vereinfachung, Polemik und Emotion (Zitate des Journalismus, 2)
Journalismus, wenn er erfolgreich sein soll, lässt sich nicht ohne Verkürzung und Vereinfachung, Polemik und Emotion betreiben, was immer unsere puristischen Sonntagsredner dazu sagen mögen
Horst Stern, Journalist, Filmemacher und Schriftsteller (Stettin, 1922)
Was wäre das Leben, hätten wir nicht den Mut, etwas zu riskieren
Vincent van Gogh, niederländischer Maler (Groot-Zundert – Auvers-sur-Oise, 1853-1890)
Quelle: ABZV-Bildungsprogramm
Der deutsche Blogger: männlich, unerfahren, arm (= weniger als 300 Euro im Monat)
Zwei Drittel aller Blogger verdienen weniger als 300 Euro im Monat, nur 13 Prozent verdienen mehr als 1000 Euro durch Werbe-Einnahmen. Das hat der Blogvermarkter Rankseller durch eine Umfrage unter mehr als 2.300 deutschen Bloggern ermittelt.
Der Großteil der Autoren schreibt fünf bis zehn Artikel pro Monat über Themen wie „Heim und Garten“, „Erotik und Liebe“ oder „Gesundheit und Ernährung“. Zwei Drittel der Blogger sind Männer, von denen nur 15 Prozent eine journalistische Ausbildung haben.
(aus einer Pressemitteilung des Ernst-Schneider-Preises des DIHK)
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