Alle Artikel der Rubrik "R. Welche Zukunft hat der Journalismus"

Was Diekmann lernte im Silicon Valley: Lokal, lokal! Keine Ressorts mehr, weniger Konferenzen, mehr Teams!

Geschrieben am 4. Juni 2013 von Paul-Josef Raue.

Die digitale Zukunft der Zeitung ist lokal! „Geolokal“, sagt Bild-Chefredakteur Kai Diekmann am Ende seines Silicon-Valley-Sabbatjahrs. Das solle konkret so aussehen: Das Smartphone weiß, wo ich mich aufhalte; es liefert mir die lokalen Nachrichten, die ich in diesem Augenblick brauchen kann – inklusive lokaler Werbung.

WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz berichtet auf Der-Westen.de von einem Besuch der NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft bei Diekmann. Auf Deutschland übertragen könne man, so Diekmann, weder die Mentalität noch den Erfolg des Silicon Valley – zum einen wegen der deutschen Angst vorm Scheitern.

Wir müssen in Deutschland das Scheitern lernen, wenn die Zeitungen auch digital erfolgreich sein wollen! Das ist eine der Lehren, die Bild-Chefredakteur Kai Diekmann gezogen hat: Das Scheitern ist eine Chance, es beim nächsten Mal besser zu machen. Wer scheitert, der solle schnell scheitern – um schnell wieder starten zu können.

Die Erkenntnis erinnert an einen Spruch Adenauers, der sinngemäß sagte: Es ist keine Schande hinzufallen; es ist eine Schande nicht wieder aufzustehen.

Nich nur eine Kultur des Scheiterns fehlt laut Diekmann in Deutschland, sondern auch eine „Kultur des Teilens“. Im Silicon Valley helfe jeder jedem. Zudem fehle eine Universität wie Stanford mit seinen „unglaublich guten Studenten“, die nahezu alle schon eine eigene Firma gegründet hätten.

Was Diekmann noch gelernt hat?
 

  • Journalisten müssen Kümmerer sein, nicht Nachrichten-Verwalter („Die reine Nachricht ist mittlerweile wertlos.)
  • Konferenzen, wie sie zur Routine in den Redaktionen zählen, gibt es nicht mehr.
  • Die bisherige Ressort-Aufteilung verschwindet zugunsten von Teams, die tagesaktuell an einem Thema arbeiten und auf den unterschiedlichen Kanälen ausspielen.
  • In diesen Teams arbeiten neben den Journalisten auch Techniker und Entwickler fürs Digitale mit.

So umwerfend sind diese Lehren nicht: Zum einen hat sie Diekmann selber beherzigt in seinem Blatt („Bild kämpft für sie“), zum anderen sind an funktionierenden Newsdesks in Deutschland die Ressorts schon seit einiger Zeit aufgelöst zugunsten von Teams, die ad hoc Themen, aber auch Serien bearbeiten.

Journalismus der Zukunft: Blogs, lousy Pennies, Arbeitsverdichtung, geringere Gehälter

Geschrieben am 17. Mai 2013 von Paul-Josef Raue.

Joachim Braun, Chefredakteur in Bayreuth, hat den Gewerkschaftsmitgliedern in Bayern einiges zugemutet, als er am 11. Mai über die Zukunft der Zeitungen und Journalisten sprach:

1. Neue digitale Kanäle (Blogs, Social Media)
2. Diversifizierte Geschäftsfelder (Lousy Pennies)
3. Arbeitsverdichtung (Kleinere Redaktionen)
4. Geringere Gehälter (Ausstieg aus dem Tarif)
5. Höhere Qualifikation (Multikanalität)

Oder:Der Zusammenbruch des Mediensystems!

Ich kenne nur die Powerpoint-Präsentation, aber ahne: Joachim Braun wird kaum neue Freunde unter den Journalisten gefunden haben – auch nicht mit einem Zitat von Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo:

Wir müssen uns fragen, ob wir eigentlich die Berichterstattung machen, die die Lebenswirklichkeit unserer Leser trifft. (2011 auf der Jahrestagung des Netzwerk Recherche)

Wie treffen wir den Leser:

1. Sei näher am Kunden! (Perspektive)
2. Erkläre die Welt! (Neugierde)
3. Gehe hin, wo‘s weh tut! (Haltung)
4. Kommuniziere! (Reflektion)
4. Werde mobil! (Veränderung)
5. Frage Dich, wer Du bist (Rollenverständnis)

Das ist zwar nicht neu, aber provokant auf einige Merksätze konzentriert. Ob Braun wohl Beifall bekommen hat?

Die Entdeckung der Lesernähe – und Recherche

Geschrieben am 29. April 2013 von Paul-Josef Raue.

Lesernähe wird entscheidend für die Zukunft der Zeitungen. Worauf legen Sie besonderen Wer? Und wie setzen Sie das um?

fragt Claudia Mast, Professorin der Kommunikationswissenschaft und Journalistik an der Universität Hohenheim. Meine Antwort, die kurz sein soll:

Lesernähe war immer schon entscheidend, aber gefahrlos zu ignorieren, als Zeitungen nahezu konkurrenzlos waren.

Leser wollen mitreden, aber nicht jeden Unsinn anderer lesen (wie es im Netz geschieht); sie schätzen die Moderation der Redaktion, wenn sie fair ist, offen und tolerant.

Zuvor wollen Leser verstehen, um was es geht, wollen einschätzen können, ob es für sie wichtig ist. Also, wie immer schon: Erst die Recherche, dann die Analyse und Einordnung, dann die Debatte.

Die zweite Frage der Professorin:

Welches Selbstverständnis führt die Tageszeitungen erfolgreich in die Zukunft? Worin sehen Sie im Vergleich zu anderen Medien ihr spezielles publizistisches Leistungsangebot?

Meine Antwort:

Das Selbstverständnis ist das bewährte: Wir kennen die Welt unserer Leser und lassen sie die Welt kennenlernen. Kennen wir die Welt unserer Leser nicht, werden sie uns ignorieren. So einfach ist das.

Was wir leisten müssen? Intensiver und tiefer recherchieren als bisher. Wir entdecken die Nachrichten, die andere posten; wir führen unsere Leser in den Hintergrund der Nachricht und analysieren, was die Welt im Innersten zusammenhält.

Und das tun wir am besten in der Provinz, wo unsere Leser leben und arbeiten und ihre Heimat schätzen.

Annika Bengtzon (6): Der Chefredakteur – eine tragische Figur („Ohne uns wäre die Demokratie zerbrechlicher“)

Geschrieben am 6. April 2013 von Paul-Josef Raue.

In den österlichen TV-Filmen mit der Reporterin Annika Bengtzon ist der Chefredakteur ein verhuschter Mann im Hintergrund, während der Nachrichtenchef als ein netter Bär durch die Redaktion tappst, Aufträge verteilt, aber hübsch unverbindlich bleibt.

In den Romanen von Liza Marklund ist der Chefredakteur eine nachdenkliche, aber gebrochene Persönlichkeit, der an sich, der Welt, der Zukunft und an seiner Redaktion zweifelt; dagegen ist der Nachrichtenchef der „Mann mit Schwedens schlechtestem Urteilsvermögen“.

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„Das ist wirklich nicht meine Welt“, resigniert der Chefredakteur Schyman angesichts des Terrorismus und des Sicherheitswahns als Reaktion der westlichen Welt. „Wo Terrorismus beginnt, stirbt die Freiheit des Individuums“

Wo aber die Freiheit beschnitten wird, gerät auch der Journalismus in Gefahr, wird „das Prinzip der Öffentlichkeit eine leere Hülle“. Er verfällt in Selbstmitleid:

Um die Interessen der neuen Zeit wahrzunehmen, bedarf es vermutlich eines neuen Schlags von Journalisten, und die brauchen wohl eine neue Art der Führung. (Nobels Testament, Seite 38f.)

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Als Schyman Chefredakteur wird und alle in den neuen Nachrichtenraum umziehen, gibt er sein protziges Büro auf; er bezieht am Rande des Nachrichtenraums ein „anspruchsloses Kämmerchen“, in dem er dem Aufsichtsratsvorsitzenden nicht einmal einen Besucherstuhl anbieten kann.

In einem bizarren Gespräch mit dem Aufsichtsrats-Vorsitzenden zeigt der Chefredakteur die neuen, engen und billigen Redaktionsräume, preist die Effizienz, während der Aufsichtsrat wissen will, warum kein Redakteur die Kompetenz habe, über den Justizombudsmann zu schreiben.

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Als der Chefredakteur angewiesen wird, sechzig Stellen zu sparen, überlegt er, den Hut zu nehmen – aber gibt sich nicht der Illusion hin, unersetzlich zu sein: „Jeder Hanswurst konnte eine Zeitung machen.“ (Lebenslänglich 116)

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Der Chefredakteur zweifelt nach all den Veränderungen, die er angeordnet hat, an sich selber:

Ich habe in der letzten Zeit ein hohes Tempo vorgelegt. Rein inhaltlich haben die Veränderungen die Zeitung mehr beeinträchtigt, als ich dachte. Manchmal werde ich das Gefühl nicht los, dass wir die Seele der Zeitung verloren haben. Dass wir eine Menge Kanäle aufbauen und vergessen, wofür. (Nobels Testament 216)

Dies Zitat beendete auch meine Dankesrede zur Verleihung des Deutschen Lokaljournalistenpreises 2009 an die Braunschweiger Zeitung.

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Am Ende des Romans „Nobels Testament“ verwandelt Liza Marklund den Chefredakteur in eine tragische Figur, der sich die Frage stellt, warum er nicht aufgebe – und der sich als Antwort an den Satz eines Kriegskorrespondenten erinnert:

Es ist niemals schwer, aufzustehen, wenn Krieg ist. Aber in Friedenszeiten möchte man sich einfach hinlegen und sterben.

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Als sich der Chefredakteur über „die beste Nummer in der Geschichte dieser Zeitung“ freut, barfuß auf den Newsdesk klettert, werfen sich die Angestellten peinlich berührte Blicke zu – denn „die meisten von ihnen hatten nichts mit diesem angestaubten Papierkram zu tun, sie arbeiteten für das Web, das Lokalfernsehen, das kommerzielle Radio oder für irgendeine Hochglanzbeilage. Kaum einer von ihnen las die Zeitung“.

Einer der Reporter, der die Szene mit verschränkten Armen verfolgt, fragt, ob der Chefredakteur die Gegenwart noch ganz im Griff habe.

„Ich glaube, er ahnt es“, sagte Annika. „Er muss den Journalismus wieder zum Mittelpunkt machen.“
„Du meinst, es ist wichtig, was wir sagen, nicht, auf welcher Frequenz wir es senden?“
„So ungefähr“, sagte Annika.

(Nobels Testament 379ff.)

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Die Entlassungen in der Redaktion bringen den fast sechzigjährigen Chefredakteur an den Rand seiner Nerven, wie er Annika gesteht. Dennoch:

Ich liebe diese Zeitung. Ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal sagen würde, aber es ist wirklich wahr. Ich weiß, dass wir Fehler machen und oft zu weit gehen, und manchmal stellen wir Leute auf eine Weise bloß, die wirklich zum Kotzen ist, aber wir erfüllen eine Funktion. Ohne uns wäre die Demokratie zerbrechlicher. Ohne uns wäre die Gesellschaft härter und brutaler.

Ich wünschte, Sie hätten recht, sagte Annika. Aber ich bin mir nicht sicher.

(Lebenslänglich 488)

31 Millionen Euro gegen die Vertwitterung des Journalismus

Geschrieben am 9. März 2013 von Paul-Josef Raue.

Schlechte Nachrichten für alle, die den Untergang der Zeitungen und die Vertwitterung des Journalismus in naher Zukunft erwarten. Am Donnerstag weihte die Braunschweiger Zeitung eine neue Zeitungsdruckerei ein, in die die Funke-Mediengruppe 31 Millionen Euro investiert hat.

Der Braunschweiger Geschäftsführer Harald Wahls stellte die modernste Zeitungsdruckerei denn auch mit leichter Ironie vor: „Wir schauen optimistischer in die Zukunft, als die allgemeine Nachrichtenlage über Zeitungen suggeriert.“ Zur Eröffnung waren denn auch alle gekommen, die wichtig sind in Braunschweig, Wolfsburg und Niedersachsen – ob Oberbürgermeister, Chef der VW-Autostadt, Verleger, Politiker und Unternehmer.

Stephan Weil, der neue Ministerpräsident, kam nach Braunschweig, wenige Tage nachdem er seinen Amtseid abgelegt hatte. Er sprach kurz, frei, und er lobte die Regionalzeitung als das am meisten vertrauenswürdige Medium. Von seiner Erziehung durch die Zeitung erzählte er: Das Lesen hat er im Sportteil der Zeitung gelernt, so wie auch seine Kinder das Lesen gelernt haben. „Ich wünsche mir, dass auch ein Enkelkind mit Hilfe des Sportteils einer Zeitung das Lesen lernen wird.“

Es waren gestandene Männer aus dem analogen Zeitalter, die das Lob der Zeitung sangen, also Menschen, die sich einen Morgen ohne das Knittern von Papier nicht vorstellen können – für die eine Zeitung mehr als die Aufnahme von Information zwecks Speicherung im Hippocampus unseres Gehirns. „Die gedruckte Zeitung ist etwas Emotionales im Vergleich zum Laptop, auf dem wir das E-Paper lesen“, sagte der Braunschweiger Oberbürgermeister Gert Hoffmann, der in der digitalen Welt auch den Verfall von Sprachkultur beklagt.

Für Christian Nienhaus, Geschäftsführer der Funke-Mediengruppe, ist Zeitung Entschleunigung. Angenommen, so sein Gedankenexperiment, statt Gutenbergs Erfindung wären wir vom Papyrus gleich zum Computer übergegangen: Wären Papier und Zeitung dann nicht eine moderne Innovation? Zudem seien nicht nur Banken systemrelevant, sondern auch Zeitungen – relevant für unser System Demokratie.

In einem Interview mit der Braunschweiger Zeitung hatte Nienhaus hingewiesen, dass die Herstellung der Zeitung in der neuen Druckerei ein vollständig digitaler Prozess sei, an dessen Ende ein anologes Produkt stehe.

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