Alle Artikel mit dem Schlagwort " Deutscher-Lokaljournalistenpreis"

Was ist guter Lokaljournalismus? Themen setzen, die die Menschen bewegen

Geschrieben am 8. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 8. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Lokaljournalismus.

Alle Redaktions-Projekte, ausgezeichnet mit dem Deutschen Lokaljournalistenpreis, haben nichts mit Terminkalender-Journalismus zu tun, sind nicht Ergebnis  irgendeiner Pressekonferenz.

Alle Redaktionen brillieren, weil sie Themen setzen.

So Jury-Sprecher Dieter Golombek in seinen Schlussgedanken beim Gespräch mit den Preisträgern im Bonner Post-Tower; dies Gespräch findet traditionell am Vorabend der Preisverleihung statt und wird von Preisträgern als der heimliche Höhepunkt gepriesen. Die Redakteure, die sich den Preis erarbeitet haben, erzählen von der Lust, aber auch von den Schwierigkeiten bei ihrem Projekt. Auf einer DVD fände man es unter: The Making Of.

In all den  Jahren fällt auf: Da die meisten Konzepte und Aktionen neu sind, als Idee noch unvollkommen, zudem so nirgends verwirklicht, kommen die meisten Widerstände aus den Redaktionen selbst. Wer die gewohnten Wege verlässt, muss in vielen Redaktionen offenbar mit Unverständnis rechnen. Davon ist bei der Preisverleihung aus guten Gründen selten etwas zu hören; da überwiegt, auch aus guten Gründen, die Freude über ein großes Projekt.

Was zeichnet konkret die Preisträger in diesem Jahr aus? Dieter Golombek:

Alle Preisträger waren viel unterwegs, die Freiburger Badische Zeitung über tausend Kilometer bei ihren Touren durch die Stadtteile, die Thüringer Allgemeine dreihundert Kilometer bei ihren Wanderungen die alte innerdeutsche Grenze entlang, die Augsburger Allgemeine bei ihren Ausflügen in über zweitausend Jahre Zeitgeschichte, der Bremer Weser Kurierbei seinem Versuch, ein Schwein ein Schweineleben lang zu begleiten. Und nicht zuletzt die Reporter aus Hameln (Deister-und-Weserzeitung) und der Stuttgarter Zeitung, die sich zu Reisen in die Zeit aufgemacht haben.

Sie tun es nicht, weil sie unbedingt Lust auf das Thema haben, sie tun es im Interesse ihrer Leser. Sie greifen die Themen auf, die die Menschen bewegen, den regionalen Verkehrskollaps ebenso wie die Energiepolitik der Stadtwerke, die Alltagsprobleme von Familien ebenso wie das E-Auto, das die Wirtschaftskraft einer Region bedroht.

Die Redakteure nehmen also nicht die Themen, die ihnen, ihren Bekannten und Freunden gefallen, sondern sie hören zu, worüber die meisten Menschen in ihrer Stadt und ihren Dörfern reden oder reden wollen. Sie bewältigen die größte Schwierigkeit der Lokalredakteure: Sie müssen sich außerhalb ihrer Gemeinschaft umhören, dort wo sich nicht die hoch gebildeten Eliten versammeln, den Meinungsträger, die Bestimmer.

Mehr zu den Konzepten der Preisträger auf www.drehscheibe.de

Die Preisträger, ausgesucht unter 588 Einsendungen (so viele wie nie zuvor):

1. Preis: Bonner General-Anzeiger für das Konzept einer Familienzeitung.
Die Zeitung macht Familien, deren Alltagsprobleme und Herausforderungen, deren Wünsche und Träume zur Richtschnur für ihre redaktionelle Arbeit. Die Redaktion liefert in einer gigantischen Serie, die über Jahre läuft, Familien Gesprächsstoff und Lebenshilfe und macht sie zu Mitgestaltern der Zeitung.

2. Preis, geteilt: Die Mittelbayerische Zeitung für das Konzept der Themenwochen

Die Westfälische Rundschau für ihr Konzept der Themenpräsentation.

Kategorien-Preisträger:

Augsburger Allgemeine für die Serie „Augsburgs starke Geschichte“ (Kategorie Geschichte),
Badische Zeitung für das Projekt „BZ-Stadtteilcheck“ (Kategorie Service),
Deister- und Weserzeitung für die Serie „Zeitgeschichten“ (Kategorie Alltag),
Rhein-Zeitung für die Reportage „Lobo, der Wolf vom Zentralplatz“ (Kategorie Reportage),
Süderländer Tageblatt für die Serie „Höchst elektrisierend – die neue Mobilität“ (Kategorie Wirtschaft),
Saarbrücker Zeitung für die Serie „Nix verstehen?!“ (Kategorie Integration),
Stuttgarter Zeitung für die Serie zur Zeit (Kategorie Alltag),
Thüringer Allgemeine für die Serie „Auf dem Kolonnenweg“ (Kategorie Zeitgeschichte),
Weser Kurier für das Projekt „Ein Schweineleben“ (Kategorie Verbraucher).

(zu: Handbuch-Kapitel 55 Der neue Lokaljournalismus + Service C Erste Adressen: Journalistenpreise, Seite 381)

Elender Lokaljournalismus? „Prügelei im Nachbardorf statt Bürgerkrieg in Syrien“

Geschrieben am 25. Juli 2012 von Paul-Josef Raue.

Jörg Biallas, Chefredakteur von „Das Parlament“, schaudert, wenn er Lokalteile von deutschen Regionalzeitungen liest:

Es gibt zahlreiche Beispiele, dass Tageszeitungen den richtigen Ansatz einer dosierten Regionalisierung mit platter Provinzialisierung verwechseln.

In einem Beitrag zum „Qualitätsjournalismus“ in „Aus Politik und Zeitgeschichte“ (29-31/2012 vom 16. Juli) entdeckt der Hauptstadt-Journalist im Lokalen wenig Qualität:

Oktoberfest-Prügelei im Nachbardorf statt Bürgerkrieg in Syrien, Verkehrsunfall an der Ecke statt Flugzeugabsturz in Asien, Gemeinderat statt Bundestag.

Für Biallas werden „Nichtigkeiten aufgeblasen mit der Begründung, entscheidend sei ausschließlich der lokale Bezug“. Der „Zwang zum Regionalen mit einem Hang zum Provinziellen“ gehe „auf Kosten einer nachrichtlichen Vollversorgung“.

Woher Biallas seine Erkenntnisse nimmt, wird nicht klar. Im Gegensatz zu den meisten Beiträgen in „Politik und Zeitgeschichte“, die wissenschaftlichen Anspruch stellen, verzichtet er auf Fußnoten, auf Quellen, kurz: auch aus journalistischer Sicht auf nachvollziehbare Recherche.

Er nimmt weder die Leserforschung wahr, die in den vergangenen Jahren wesentliche Erkenntnisse gebracht hat (siehe Haller in Leipzig und andere), noch beobachtet er eingehend die intensiven und kontroversen – in der Tat höchst kontroversen – Debatten innerhalb des Lokaljournalismus, noch hat er die beachtlichen Konzepte gelesen, die Jahr für Jahr beim Deutschen Lokaljournalistenpreis eingereicht werden, noch die Ansätze mit hyperlokalen Angeboten in der Online-Welt usw.

Es gibt bei 1500 Lokalteilen, die täglich erscheinen, ausreichend Beispiele, die das Elend belegen; es gibt aber eine stetig wachsende Zahlvon Redaktionen, die nicht nur das Gegenteil beweisen, sondern hohe Qualität zeigen.

Der Beitrag aus dem Elfenbeinturm des elitären Journalismus, der Qualität für sich allein beansprucht, wäre nicht bemerkenswert, wenn er nicht in einem Heft erscheint, das von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegeben wird. Gerade diese unorthodoxe Behörde hat den politischen Lokalteil entdeckt und gefördert; sie hat erkannt, dass Qualität im Lokalen unverzichtbar ist für eine Demokratie, die von den Bürgern verstanden und getragen wird.

Der moderne Lokaljournalismus provoziert die Debatten der Bürger, ermuntert sie zum Mitmachen; der moderne Lokaljournalismus ist die neue Qualität der Demokratie. Während Biallas die Zukunft des Lokalen nicht mehr als Massenprodukt sieht, sondern eher klein, aber fein „als festen Bestandteil einer bürgerlich-elitebewussten Lebensführung“, hat Thomas Krüger, der Präsident der Bundeszentrale, eine ganz andere Vision.

Vor kurzem sprach er in Siegen während der Tagung „Lokale Öffentlichkeit und politische Partizipation“ über die digitale Medienwelt und Lokaljournalismus:

Ob und in welchem Maße neue und alte Partizipationswege der Demokratie neues Leben einhauchen können, hängt wesentlich davon ab, inwieweit es dem Journalismus im Lokalen gelingt, als informierende, moderierende und kritische Instanz weiterhin wahr- und ernst genommen zu werden…

Jedem, der an lebendiger Demokratie gelegen ist, muss hoffen, dass dieser Sprung (in die digitale Welt) gelingt. Wir brauchen diese mediale Mitte der sich immer weiter zersplitternden Öffentlichkeiten. Wir brauchen eine Kraft, die den Fliehkräften des Individualismus und der Interessenvertretung durch Aufklärung über die Bedeutung der Gemeinschaft und des allgemeinen Wohls entgegenwirkt. Ich sehe keine andere Instanz (als den Lokaljournalismus), die – nicht punktuell, sondern auf breiter Front – diese Dienstleistung erbringen könnte.

(zu: Handbuch-Kapitel 55 „Der neue Lokaljournalismus“ + 47 „Newsdesk und Ressort“ + 7 „Die Online-Redaktion“)

Leseranwälte und Ombudsleute vereinigt Euch!

Geschrieben am 25. Mai 2012 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 25. Mai 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Presserecht & Ethik.

Noch ein Verein? Die Vereinigung der Medien-Ombudsleute? Nein, kein Verein, sondern der lose Zusammenschluss von knapp zehn Ombudsleuten bei deutschen Tageszeitungen, die Klagen von Lesern über die Redaktion aufgreifen.

Anton Sahlender, der  Leseranwalt der Mainpost (Würzburg), rief im Februar erstmals die Ombudsleute zusammen; am Montag (21. Mai 2012) hatte sie der Deutsche Presserat nach Berlin eingeladen.

Zu Recht wies Lutz Tillmanns, Geschäftsführer des Presserats, auf den ungeklärten Status der Ombudsleute hin: Welchen Status haben sie überhaupt in ihren Redaktionen? Welche Sanktionen können sie verhängen?

Anton Sahlender, auch stellvertretender Chefredakteur der Mainpost, nutzt eine Kolumne, die einmal in der Woche erscheint – also die Macht der Wörter als schärfste Waffe. Schon einige hundert Kolumnen sind erscheint, viele davon stehen im Netz.

Einige seiner Themen:

  • Zitate von Nazi-Größen sind in kritischer Auseinandersetzung mit der Geschichte gerechtfertigt
  • Ich empfehle, das Amt eines Bürgermeisters so zu würdigen, als wollten Sie es selbst übernehmen
  • Wenn Schreibfehler Zweifel an der Seriosität des Journalismus aufkommen lassen

In seiner Kolumne nach dem ersten Ombudsleute-Treffen schrieb Anton Sahlender unter anderem:

Die Medien-Selbstkontrolle ist zur Wahrung der Unabhängigkeit notwendig. Die ginge verloren, würden etwa staatliche Stellen Medien kontrollieren. Um ihrer Freiheit willen drängt es sich auf, dass die Kontrolle aus Verlagen und Medienhäusern selbst kommt. Eine bessere Alternative ist nicht sichtbar.

Folglich gibt es als Beschwerdestelle für Leser von Printmedien den Deutschen Presserat, getragen von den Bundesverbänden der Zeitungs- und Zeitschriftenverleger, dazu von den Journalistenverbänden.

Aber es existiert eine weitere, weltweit verbreitete Selbstkontrolle. Es sind fast 100 Presse-Ombudsleute einzelner Medien. Zu ihnen zähle auch ich in meiner Rolle als Leseranwalt. Viele Jahre war ich bundesweit der Einzige. Aber in den letzten Jahren habe ich Kolleginnen und Kollegen in anderen Medienhäusern bekommen – gegenwärtig noch acht.

Sie sind Anwälte der Leserschaft, damit auch der Pressefreiheit. Sie achten auf Einhaltung gesetzlicher und berufsethischer Standards. Sie fördern die Diskussion über Leistungen und Fehlleistungen in den Redaktionen und machen diese den Lesern transparent, ebenso wie Grundlagen journalistischer Arbeit.

Studien aus den USA zeigen, dass sich Ombudsleute positiv auf Glaubwürdigkeit und Qualität der Zeitung auswirken. Oder – so schrieb Brent Cunningham vom Columbia Journalism Review – „sie helfen, die Presse für Durchschnittsleser zu demystifizieren“.

Anton Sahlender bekam 2006 den 2. Preis beim Deutschen-Lokaljournalistenpreis mit der Begründung:

Der Leseranwalt erhebt nicht den Anspruch, die letzte Instanz zu sein. Er ist Anwalt und kein Richter. Er vertritt die Interessen der Leser gegen die Redaktion, er ist Anwalt seiner Kollegen, wenn sie zu Unrecht kritisiert werden. Er erklärt und gibt Einblicke in die Werkstätten journalistischen Arbeitens. Der Leseranwalt ist ein ehrlicher Makler zwischen Lesern und Redaktion.

Lutz Tillmanns sieht keine Konkurrenz zwischen Presserat und Ombudsleuten, eher  Gemeinsamkeiten: Achtung ethischer Regeln und Forderung nach journalistischer Qualität. Tillmanns weiter: „Sollte die Arbeit von Ombudsleuten zu weniger Beschwerden beim Presserat führen, würde das mittelfristig sogar zu einer kostenrelevanten Reduzierung des Aufwandes beim Presserat führen.“

(zu: Handbuch-Kapitel   48-50 „Presserecht und Ethik“ und Kapitel 41  „Das Foto“ (Ombudsmann der Sacramento Bee, Seite 248f.)

 

Deutsche Lokaljournalistenpreise: Glückwunsch nach Bonn, Dortmund und Regensburg!

Geschrieben am 18. Mai 2012 von Paul-Josef Raue.

Die Deutschen Lokaljournalistenpreise sind die Oscars der Zeitungsbranche. Sie werden für große Projekte, Konzepte und Serien vergeben – wie für das Konzept der Familienzeitung, mit dem Chefredakteur Andreas Tyrock den ersten Preis für den Bonner Generalanzeiger holt.

Nach Regensburg und zur Mittelbayrischen Zeitung, die erstmals auf das Treppchen steigt, geht der zweite Preis für das Konzept der Themenwochen.

Der zweite Preis wird geteilt und geht auch an die Westfälische Rundschau in Dortmund und somit vor allem an Frank Fligge, den stellvertretenden Chefredakteur und Vater der großflächigen Themenpräsentation im Lokalen.

In den einzelnen Kategorien gehen die Preise an:

  • Augsburger Allgemeine (Kategorie Geschichte)
  • Badische Zeitung (Service)
  • DeWeZet (Alltag)
  • Rhein-Zeitung (Reportage „Lobo, der Wolf vom Zentralplatz“)
  • Süderländer Tageblatt (Wirtschaft)
  • Saarbrücker Zeitung (Integration)
  • Stuttgarter Zeitung (Alltag)
  • Thüringer Allgemeine (Zeitgeschichte)
  • Weser Kurier (Verbraucher)

(zu: Handbuch-Kapitel 55 „Der neue Lokaljournalismus“)

Seiten:«123

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