Die Sprache des Koalitionsvertrags: Politikers großer Lall (Friedhof der Wörter)
Der Vater brüllt den Sohn an: „Ich habe genug von Deinen unverschämten Reden!“ Der Sohn bleibt ruhig: „Ich wollte nur einen Dialog anstoßen!“ Der Vater wird noch zorniger: „Was soll der Blödsinn?“ Der Sohn bleibt weiter ruhig: „Das habe ich von unseren großen Vorbildern gelernt: So etwas steht im Koalitionsvertrag. Lies doch einfach mal!“
Wer einen Vorrat anlegen will an unverbindlichen Sätzen, der kann sich im Vertrag der Großen Koalition bedienen. Gleich vierzig Mal wird zum Dialog aufgefordert, an einer Stelle sogar zum „Qualitäts-Dialog“. Reden, am meisten ohne Qualität, statt Handeln! Man quatscht also ein bisschen über Dies-und-Das in den nächsten vier Jahren, tröstet sein Volk mit solchen Sätzen und wartet auf die nächste Wahl.
Das Lieblingswort der Politiker ist „sollen“: Rund 150 Mal taucht es im Vertrag auf. „Sollen“ ist nett, aber unverbindlich. So verrät die Sprache den Geist der Vereinbarung.
Aber auch das „Sollen“ kann man noch steigern: Etwas soll geprüft werden! Ein Beispiel:
Weiterhin werden wir darauf hinwirken, dass in allen künftigen EU-Gesetzgebungen geprüft wird, ob kleine und mittlere Unternehmen von bestimmten Regelungen ausgenommen werden können.
Das bedeutet: Wir tun nichts für die Unternehmen, wir prüfen auch nicht, wir regen an zu prüfen – und dann noch in Brüssel. Da wird nichts geschehen!
„Solcher Lall“ regt Heribert Prantl auf; er ist Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung:
Viele Allgemeinheiten, Plattheiten, Absichtserklärungen… Viel Styropor, viel Packmaterial“.
Entfernt man die Verpackung, kommt das Entscheidende zum Vorschein. Aber dafür braucht man keine 185 Seiten, dafür reichen nicht mal 10.
Thüringer Allgemeine, Kolumne „Friedhof der Wörter“, 2. Dezember 2013
Schiefe Sprachbilder: Marken knacken und Infrastruktur aufpäppeln
Woche für Woche füllt Benjamin von Stuckrad-Barre sein „Lexikon des Grauens“ und entdeckt bei Politikern und Journalisten Klischees und schiefe Bilder:
> Ausbauziele eindampfen
> Details durchstechen
> Die EZB verschießt ihr letztes Pulver
> die psychologisch wichtige Marke knacken
> Maschinerie von Erzählungen, die durch nichts belegt sind
> mit einem Vorstoß vorpreschen
> Trommelfeuer der Medien
> um eine gemeinsame Linie ringen
> verblockte Altersteilzeit
> Verkehrsinfrastruktur aufpäppeln
Quelle: Welt am Sonntag und im Netz:
www.welt.de/lexikon-des-grauens
Fußballer sind auf den Mund gefallen: Die besten Sprüche 2013 (Friedhof der Wörter)
Links ist ähnlich wie rechts, nur auf der anderen Seite.
Der 23-jährige Patrick Funk verteidigt beim VfB Stuttgart und muss schon aufpassen, ob er rechts richtig steht oder links. Die erste große Auszeichnung seiner Laufbahn gab’s bei einer Gala in der Nürnberger Tafelhalle: Der Fußballspruch des Jahres 2013 – verliehen von der Deutschen Akademie für Fussball-Kultur.
Das Sportmagazin Kicker hat sich die 150 besten Sprüche des Jahres von den Lesern schicken lassen, die elf besten von einer „sprachkundigen Jury“ aussuchen und schließlich den Sieger wählen lassen durch die Besucher der Gala. Im Halbfinale (!) siegte neben Patrick Funk der Freiburger Trainer Christian Streich, den die Zeit bezeichnete als „Trainer mit den dünnen Beinen“ und als ehemaligen „Spieler, der nicht rennen konnte“. Sein schönster Spruch:
Der Eine holt Kraft aus dem Gebet, der Andere aus der Badewanne.
Leverkusens Sportdirektor Rudi Völler unterlag im Halbfinale mit:
Es macht Spaß, unserer Mannschaft zuzuschauen, auch wenn es wehtut.
Und der Trainer Norbert Meier mit:
Man macht auch nicht in drei Tagen aus einer Würstchenbude eine Großraumdiskothek
Noch einige Kostproben von den Plätzen 5 bis 11:
> Man verändert sich immer, weil man ja Stoffwechsel hat. Man ist ja nicht tot. (Christian Streich)
> Wenn er Postbote wäre, würde er meinen Hund beißen, oder gleich aufessen. (Mehmet Scholl über Ex- Bayern-Trainer Luis van Gaal)
> Sieg oder Sarg! (Oliver Fink vor dem „Endspiel“ der Düsseldorfer Fortuna bei Hannover 96)
> Der Trainer hat gesagt, wir sollen weiter Tore schießen. (Timm Klose, Nürnberg, über die Pausenansprache von Trainer Michael Wiesinger, als die Mannschaft durch ein Eigentor 0:1 hinten lag)
> Manchmal ist weniger Demokratie bei der Planung einer WM besser. (Jérôme Valcke, Fifa-Generalsekretär; der Kicker kommentiert „gewissermaßen schon ‚in Vorfreude‘ auf die Weltmeisterschaft 2018 in Russland“)
Quelle: Kicker Extra vom 28. Oktober 2013
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