Alle Artikel der Rubrik "F. Wie Journalisten informiert werden"

Erste Wahl! Was auf den neuen dpa-Chefredakteur zukommt

Geschrieben am 3. September 2013 von Paul-Josef Raue.

So prominent war der Chefredakteur der dpa noch nie besetzt: Sven Gösmann führt mit der Rheinischen Post eine der größten Regionalzeitungen Deutschlands, die – im Vergleich zu anderen – wenig Auflage verliert: Wir dürfen ihn einen sehr erfolgreichen Chefredakteur nennen.

Er weiß genau, wie wichtig ein Lokalteil ist; er weiß genau, wie man die Ausgaben zuschneiden muss, um die Bedürfnisse der Leser zu befriedigen; er weiß genau, wie man in einem großen Verbreitungsgebiet die Wünsche der Städter wie in Düsseldorf und der Kleinstädter und Dörfler wie am Niederrhein unter einen Mantel bringt. Gösmann hat ein Gespür für Themen, gerade auch für regionale Themen, wie kaum ein anderer in Deutschland. Man kann die Idee für einen Aufmacher mindestens ein, zwei Mal in der Woche von ihm borgen.

Man spürt seine Sozialisation bei Bild, wo er Diekmanns Stellvertreter in der Chefredaktion war (der immer noch voll des Lobes ist, wenn er von Gösmann spricht). Man spürt auch seine Lehr- und ersten Herrenjahre im Lokalen und Regionalen bei der Braunschweiger Zeitung.

Fast bin ich geneigt zu sagen: Der Mann ist zu schade für dpa, wo er sein Themengespür nicht mehr voll entfalten kann. Aber er weiß mit Wünschen von Lesern umzugehen: Gut eine Million in Düsseldorf, rund zehn Millionen bei Bild und bald ein paar tausend Redakteure, die täglich in die News bei dpa schauen.

Gösmann hat selber erlebt, was es bedeutet, bei einer großen Zeitung ohne dpa-Texte und Bilder auskommen zu müssen. Er weiß also, wie er seine Kunden bedienen muss. Sein Vorgänger hat die Agentur, die zum Beamtenhaften neigt, heftig durchgeschüttelt und neu organisiert, was ihm nicht nur Freunde eingebracht hat; die Kämpfe, die Büchner beim Spiegel erleidet, kennt er schon von dpa – allerdings ohne die öffentliche Begleitung und Häme der schreibenden Kollegen.

Büchner, nach dem Vorbild von Spiegel Online, schuf „dpa News“, eine grandiose Hilfe für jeden Desk. Er war der große Organisator, da muss Gösmann nicht mehr viel anpacken. Er wird Ideen entwickeln müssen auf einem Gebiet, auf dem Büchner wenig Erfahrung hatte: Das Lokale und Regionale.

Was kann eine Agentur diesen Zeitungen – auch fürs Online-Geschäft – anbieten? Die ersten Versuche mit der „Drehscheibe“ sind dürftig und weitgehend unbeachtet. Die Landesdienste könnte eine Neuausrichtung gebrauchen – nur wohin?

Ich freue mich jedenfalls auf den neuen Chefredakteur, der sicher auch die eine oder andere Geschäftsidee für die Agentur hat jenseits des Mediengeschäfts, das ja zunehmend schrumpft.

Zunächst einmal: Herzlichen Glückwunsch, Sven Gösmann. Der Aufsichtsrat hat die beste Entscheidung getroffen.

Schauen Sie nicht nur auf die Sonntagsfrage! Das große Schönenborn-Interview zu Wahl und Umfragen

Geschrieben am 6. August 2013 von Paul-Josef Raue.

Worauf sollen Redakteure achten, wenn sie eine Umfrage lesen?, fragte ich Jörg Schönenborn, den WDR-Chefredakteur und Umfragen-Papst der ARD. Seine Empfehlungen:

„Zum einen: Achten Sie auf das Datum der Befragung. Nicht selten sind Zahlen unterwegs, die aus der letzten Woche stammen und über die aktuelle Situation nicht mehr viel sagen. Und die andere: Gucken Sie bitte nicht nur auf die Sonntagsfrage.“

Diese Antwort ist Teil eines großen Interviews mit Jörg Schönenborn, das die Thüringer Allgemeine am 3. August veröffentlich hat – zum Auftakt der Wahlwette, bei der die Leser im Internet den Wahlausgang vorhersagen sollen; erfunden hat die Wahlwetter die Saarbrücker Zeitung, die auch das technische Wissen vermittelt und die Führerschaft der Aktion übernommen hat. Etwa ein Dutzend Zeitungen beteiligt sich an der Wahlwette.

Herr Schönenborn, wissen Sie schon, wie die Bundestagswahl ausgeht?

Nein, dann müsste ich ja Hellseher sein. Diese Woche zum Beispiel haben über 40 Prozent der von uns Befragten angegeben, dass sie sich entweder noch nicht entschieden haben oder dass sie es sich vielleicht noch einmal anders überlegen. Viele von denen werden nicht einmal wissen, wen sie wählen, wenn sie am Wahlsonntag aufstehen, sondern sich wirklich erst in letzter Minute entscheiden. Deshalb ist mir die Botschaft immer besonders wichtig: Umfragen sind keine Prognosen, keine Vorhersagen.

Sie präsentieren Monat für Monat die Sonntagsfrage, also: Wenn heute die Wahl wäre, wie würden die Deutschen entscheiden. Wen beeinflussen Sie damit mehr: Die Politiker oder die Wähler?

Zum Glück bin ich da nicht der Einzige, es gibt andere Institute, andere Zahlen. Sonst wäre die Verantwortung noch größer. Politiker haben im Zweifel ihre eigenen Umfragen, die von den Regierungen und Parteien bezahlt werden. Unsere Zielgruppe sind die Wähler und unser Publikum. Und ich will da nicht drum herum reden: Je schwächer die Parteibindung in Deutschland wird, desto mehr Menschen wählen taktisch. Und das heißt nichts anderes, als dass sie sich an Umfragen orientieren und diese in ihre Überlegungen mit einbeziehen.

Deutschland hat rund 62 Millionen Wahlberechtigte. Warum kommen Sie eigentlich immer mit tausend Bürgern aus oder ein paar hundert mehr? Ist eine Umfrage stimmig mit dieser nicht sehr hohen Zahl von Befragten?

Natürlich gilt bei jeder Umfrage: Je mehr Menschen man befragt, desto genauer sind statistisch gesehen die Ergebnisse. Allerdings gilt aus mathematischen Gründen, dass jenseits von 1.000 oder 1.500 Befragten ein paar hundert mehr den Kohl auch nicht fett machen. Im Übrigen darf man nicht vergessen: Der statistische Messfehler ist das eine, die Unentschlossenheit vieler Befragter das andere. Deshalb ist die Sonntagsfrage eben nur ein Trend und nicht mehr.

Bei den vergangenen Wahlen lagen Sie manchmal reichlich daneben. Nehmen wir die Niedersachsen-Wahl: Die CDU hatte vier Prozent zu viel, die FDP vier Prozent zu wenig. Woran lag es?

Umfragen sind eben wie gesagt keine Vorhersagen, auch wenn das manchmal so verstanden wird. Zehn Tage vor der Wahl hatten mehrere Institute unabhängig voneinander die FDP bei fünf Prozent gemessen, am Ende hat sie fast das Doppelte erreicht. Ich glaube, dass die Umfragen die Stimmung zum Zeitpunkt ihrer Erhebung richtig gemessen haben, aber dann haben selbst CDU-Politiker unmissverständlich dazu aufgerufen, FDP zu wählen, damit sie auf jeden Fall in den Landtag kommt.
Diese Aufrufe haben Wirkung gezeigt, stärker, als es der CDU im Nachhinein lieb war. Übrigens war das in Niedersachsen ein Paradebeispiel dafür, wie die Wähler Umfragen in ihr Kalkül einbeziehen. Das ist übrigens für uns durchaus ein Dilemma.

Wir wissen, dass die Wähler immer öfter wechseln, dass die Stammwähler, die stets ein- und dieselbe Partei wählen, immer weniger werden. Wir wissen auch, dass immer mehr Menschen spontan nicht zur Wahl gehen. Ist dann eine Umfrage nicht eher ein Blick in die Glaskugel als eine wissenschaftlich exakte Forschung?

Nein, Umfragen sind eine ziemlich genaue Messung – aber eben nur zum Zeitpunkt, zu dem sie durchgeführt werden. Dabei darf man nicht vergessen, dass die Sonntagsfrage eine von 12 oder 14 ist, die wir stellen. Wir fragen auch danach, wie das Betreuungsgeld ankommt, ob Thomas de Maizière zurücktreten soll oder wie Kanzlerkandidat Steinbrück eingeschätzt wird. Nur in der Zusammenschau ergibt sich daraus ein Bild, und die Sonntagsfrage ist ein Mosaikstein. Ich wünsche mir auf jeden Fall Zuschauer, die das ganze Bild wahrnehmen.

Beim vergangenen US-Wahlkampf kam ein Journalist, der Twitter-Meldungen auswertete, zu genaueren Vorhersagen als die Wahlforscher. Sind die Menschen in den sozialen Netzwerken ehrlicher als bei Ihnen am Telefon?

Das ist ein guter Vergleich, der die wesentlichen Unterschiede deutlich macht. In den USA ging es um Romney oder Obama. Das ist verglichen mit dem deutschen Zweistimmen-Wahlrecht eine ziemlich einfache Entscheidung. Die Unsicherheiten bei uns entstehen ja vor allem dadurch, dass viele Menschen einfach nicht mehr wissen, was sie mit ihrer Stimme machen sollen oder ob sie sie überhaupt nutzen. Bei der Frage Merkel gegen Steinbrück tun sich die Menschen übrigens auch bei uns leichter. Aber weder die Wahlforschung noch Twitter kann etwas widerspiegeln, was Menschen für sich selbst noch nicht entschieden haben.

Gerade in den Wochen vor der Wahl gewinnt man den Eindruck, als ob jeden Tag eine Umfrage veröffentlicht wird. Wer gibt die eigentlich alle in Auftrag?

Ja, es gibt eine wahre Umfrageflut. Ein Teil kommt von Instituten, die nach wissenschaftlichen Standards wöchentlich oder monatlich im Feld sind, andere tauchen nur in Vorwahlzeiten auf oder erheben ihre Daten sogar über das Internet. In dieser Phase werden die meisten Umfragen von Medien in Auftrag gegeben. Insgesamt aber gibt es viele unveröffentlichte Umfragen, die Staatskanzleien oder Parteizentralen bezahlen. Und darin liegt für mich der eigentliche Grund für unsere Arbeit: ARD und ZDF sorgen mit ihrer Wahlforschung für Transparenz. Alles, was wir machen, ist öffentlich. Bei uns erfahren die Wähler auch das, was ein Wahlkampfteam lieber unter der Decke hält.

Wie erkennt man, ob eine Umfrage eine seriöse ist?

Im Grunde ist das wie beim Autokauf. Jeder kennt Marken, die seit Jahren auf der Strasse herumfahren oder weiß von Freunden, wo es besonders viele Pannen gibt. Ich kenne nicht alle Institute, aber ich kann Ihnen versichern, dass die Arbeit von Infratest dimap und der Forschungsgruppe Wahlen für ARD und ZDF seriös und in keiner Weise interessengeleitet ist.

Was muss eine Partei für eine Umfrage bezahlen?

Das hängt von der Länge des Fragebogens ab. Eine kurze aktuelle Erhebung kann man sicher für 5.000 Euro bekommen, eine intensivere Studie mit genaueren Fragen kostet aber schnell das Doppelte und Dreifache.

Worauf müssen ein Journalist und ein Bürger achten, wenn sie eine Umfrage lesen?

Ich hätte zwei Empfehlungen. Zum einen: Achten Sie auf das Datum der Befragung. Nicht selten sind Zahlen unterwegs, die aus der letzten Woche stammen und über die aktuelle Situation nicht mehr viel sagen. Und die andere: Gucken Sie bitte nicht nur auf die Sonntagsfrage.


Auch unsere Zeitung – wie andere auch oder Magazine wie der „Spiegel“ – fragen ihre Leser: Wie geht Ihrer Meinung nach die Wahl aus? Wie genau sind diese Umfragen im Internet, an denen Zigtausende von Bürgern teilnehmen?

Ein schwieriges Feld. Um es ganz ehrlich zu sagen: Sie sind in keiner Weise repräsentativ. Denn es nehmen nur Internetnutzer teil, und von denen nur solche, die auch eine bestimmte Seite ansteuern und zudem aus irgendeinem Grund die Mühe auf sich nehmen zu klicken. Ich finde das durchaus interessant, aber man darf es bitte nicht mit repräsentativen Umfragen verwechseln. Übrigens auch dann nicht, wenn Zigtausende mitmachen.

In Frankreich dürfen Umfragen in der Woche vor der Wahl nicht mehr veröffentlicht werden. Würden Sie das auch für Deutschland als sinnvoll erachten?

Die ARD hat sich genau diese Abstinenz selbst auferlegt. Seit wir Wahlforschung machen, gibt es in der letzten Woche vor der Wahl einfach keine Umfragen mehr. Denn das ist die Phase, in der sich die Unentschlossenen wirklich entscheiden. Leider stehen wir damit ziemlich allein. Verbote kann man übrigens ziemlich leicht umgehen, Einsicht wäre mir lieber.

Thüringer Allgemeine 3. August 2013

Was ist das „Sommerloch“?

Geschrieben am 30. Juli 2013 von Paul-Josef Raue.

Das Sommerloch ist ein gemeinnütziges, von den Presseorganen getragenes Unternehmen. Verwaltung und Organisation liegen bei den Nachrichtenagenturen, die laut Stiftungsvertrag verpflichtet sind, das Loch Jahr für Jahr mit adäquatem Material zu füllen… Die dpa zum Beispiel ist unlängst der Frage nachgegangen, ob man am Flug der Schwalben das Wetter vorhersagen könne.

Streiflicht der Süddeutschen Zeitung, 30. Juli 2013

Recherchen werden gesponsert – auch im Sport-Ressort

Geschrieben am 20. Juli 2013 von Paul-Josef Raue.

Die Recherchen zu diesem Text wurden teilweise unterstützt von Schweiz Tourismus.

Der Satz steht nicht unter einer Reportage im Reiseteil der FAZ, sondern im Sport-Teil unter der spannenden Reportage „Steile Welt“ zum Jubiläum der Erstbesteigung der Eiger-Nordwand (20. Juli 2013). Ist es das erste Mal, dass der Sponsor-Hinweis auf einer der klassischen Ressort-Seiten der FAZ erscheint?

Bei der Debatte zur Rettung der journalistischen Qualität streiten wir uns zu Recht über Stiftungs-Modelle, wenn sie vom Staat finanziert werden – wie in NRW vorgeschlagen; aber wir nehmen nur am Rande wahr, wie stark selbst große Zeitungs-Redaktionen gesponsert werden:

+ von Auto-Herstellern, die kostenlos Testwagen zur Verfügung stellen und zu Präsentationen an noblen Stätten einladen;

+ von Reiseveranstaltern;

+ von Verlagen, die Bücher, CD und DVD verschicken;

+ von Bundesliga-Vereinen und Konzertagenturen, die kostenlos Eintritt anbieten usw.

Dies sei keine Kritik an der Praxis des journalistischen Sponsorings, das durchaus nützliche Effekte haben kann – vorausgesetzt der Leser wird informiert (wie vorbildlich unter der FAZ-Reportage). Dies ist ein Hinweis zur Debatte um die Förderung von Recherchen und zur Sicherung der journalistischen Qualität: Was ist notwendig? nützlich? strittig? verwerflich?

Ist das Gewissen für Journalisten ein charakterliches Handicap? (Zitat der Woche)

Geschrieben am 28. Juni 2013 von Paul-Josef Raue.

Als Journalist hatte Henning Ritter mit einem charakterlichen Handicap zu kämpfen: Er war nur bereit zu schreiben, was er vor dem strengsten ihm bekannten Gerichtshof, seinem Gewissen, verantworten konnte, und so zögerte er oft, zu der in seinem Gewerbe als notwendig empfundenen Konklusion zu gelangen.

Martin Mosebach über Henning Ritter, der am 23. Juni in Berlin gestorben ist. Der FAZ-Redakteur redigierte die Seite „Geisteswissenschaften“, schrieb Sachbücher über Grausamkeit, Mitleid und sein großes Vorbild Rousseau. Er notierte sich unentwegt seine Gedanken und gab sie 2010 als Buch heraus: „Notizhefte“

Im FAZ-Essay berichtet Mosebach von seinen Begegnungen am Freitagnachmittag im Kaffeehaus, wo Ritter „unter einer Glasglocke der Konzentration“ seine Notizen schrieb. Sollte man vielleicht den Nachrichtenraum in einem Cafe einrichten?

Bei einem der letzten Gespräche mit Mosebach erzählte Ritter, wie er die Nachricht seines Arztes vom nahen Tod aufgenommen habe: „Ich fühlte eine ungeheure Erleichterung – du musst nie wieder schreiben.“

Quelle: FAZ vom 27. Juni „Unbedingter Glaube an die Kraft des Gedankens“

Der Blog oder das Blog? Und viele Liveticker – sogar von der Kreisliga

Geschrieben am 15. Juni 2013 von Paul-Josef Raue.

Woran erkennt man einen richtiger Blogger? Er sagt: Das Blog. Macht einer den Blog zu einem männlichen Substantiv, wird er belächelt und als digitaler Staatenloser an den Katzentisch gesetzt.

Philipp Ostrop, Lokalchef der Ruhr-Nachrichten in Dortmund, dürfte der agilste Onliner in deutschen Lokalzeitungen sein. Bei der Jahreskonferenz des Netzwerk Recherche tapste er in die Falle:

Der Blog, nee, das Blog, glaube ich… Sonst krieg ich wieder Ärger auf Twitter

David Schraven von der konkurrierenden WAZ stellte einige Coups des Dortmunders vor, der in seiner Redaktion Zeitung und Online zusammen organisiert an einem fünfköpfigen Desk, dem 15 Reporter zuliefern:

+ Der Live-Ticker zu einer Giraffe im Zoo, die umgefallen war (nebst Shitstorm: Seid Ihr bekloppt – so was als Liveticker);

+ Live-Ticker von einem plötzlichen Unwetter am Abend, der vor allem hundert Tweets von Lesern nutzte und auch unbestätigte mitnahm, weil die Redaktion sie als wichtig ansah: „Offenbar Wasser in der U-Bahn-Haltestelle Stadtgarten. Wir können es nicht verifizieren. Hier der Tweet von Kevin. Danke!“;

+ Liveticker von der Räumung wegen einer Fliegerbombe;

+ „Lokalredaktion London“ während des Champion-League-Finales; nach diesem Vorbild soll es in einem schwierigen Dortmunder Gebiet ab 1. Juli die „Lokalredaktion Nordstadt“ geben;

+ „Wir livetickern sogar Kreisliga“ (Ostrop).

Off the record! Wenn Politiker die Bürger täuschen und Journalisten mitspielen

Geschrieben am 8. Juni 2013 von Paul-Josef Raue.

„Nur ein Hintergrund-Gespräch!“ „Off the record!“ „Sie dürfen mich nicht zitieren!“ So schützen sich Politiker und andere Mächtige, indem sie ihre Informationen und Botschaften öffentlich machen – und sich gleichzeitig verstecken. Im AP-Blog wird daran erinnert, dass in den meisten Demokratien explizit das Recht auf freie Veröffentlichung garantiert wird. Wenn ein Politiker nicht als Quelle einer Nachricht bekannt werden will, täuscht er die Bürger. Daraus folgert AP:

Vertraulichkeit ist nur sinnvoll, wenn der Informant um seinen Arbeitsplatz bangen muss oder gar um sein Leben. Das ist aber nur selten der Fall.

So sind AP-Mitarbeiter verpflichtet zu fragen, das Treffen als nicht-vertraulich einzustufen. Gelingt das nicht, müssen sie entscheiden, ob sie gegen die Regel verstoßen – wenn die Information wichtig und glaubwürdig ist.

So viel Freiheit gewährt der deutsche Pressekodex nicht. Er bestimmt in Ziffer 5 (Berufsgeheimnis): „Die vereinbarte Vertraulichkeit ist grundsätzlich zu wahren“ und lässt in einer Richtlinie nur als Ausnahmen zu:

Vertraulichkeit kann nur dann nicht bindend sein, wenn die Information ein Verbrechen betrifft und die Pflicht zur Anzeige besteht. Vertraulichkeit muss nicht gewahrt werden, wenn bei sorgfältiger Güter- und Interessenabwägung gewichtige staatspolitische Gründe überwiegen, insbesondere wenn die verfassungsmäßige Ordnung berührt oder gefährdet ist.

Im AP-Blog geht es zudem um die Praxis von Präsident Obama, im Weißen Haus nur seine eigenen Fotografen arbeiten zu lassen – damit nur die Fotos in die Welt rausgehen, die dem Präsidenten gefallen. AP verbreitet diese Fotos nicht.

Zudem erinnert Michael Oreskes in dem Blog an die Abhör-Affäre: Das Justizministerium ließ AP-Reporter heimlich überwachen:

The importance we place on being allowed to gather the news without interference was given a great deal of attention after it was revealed last month that the Justice Department had thrown an investigative drift net over the phone records of some of our reporters and editors to identify their sources. We protested, vehemently. As AP CEO Gary Pruitt said, this was an unprecedented intrusion and chilled our ability to gather news. The case was unusual, but our position flowed from the work we do each day to assure access to the workings of governments all around the world.

Mischfarben mit Hölderlin oder Loscht in Fäschen (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 20. Mai 2013 von Paul-Josef Raue.

Kennen Sie die Luchs-Wochen? Modeschöpfer und Kosmetik-Vertreter mögen sie.

Sind Sie „loscht in Fäschen“? Mitten im Winter strömten schöne Männer und noch schönere Frauen ins eisige Berlin, um das Iwent zu erleben.

Es gibt immer noch Werbetexter, die in englische Wörter fliehen, um modern zu wirken. Die Luchs-Wochen präsentieren keine Modeschauen für Pelzmäntel, sondern sollen den Blick der Männer auf schöne Frauen lenken:

„Die Looks Wochen“ sind eine Mischmasch-Wendung aus dem englischen „look“ (für den Blick) und zwei deutschen Allerweltswörtern. Eine Drogerie-Kette wirbt so für Schönheits-Creme und Haarfärbemittel, die „Mixing Colors“ heißen, also Mischfarben. Doch deutsch informiert die Verpackung, wenn frau wissen will: Dunkelbraun oder schwarz, schoko oder blond. Das Risiko, englisch in die Irre zu färben, geht kein Hersteller ein, auch nicht in den Looks-Wochen.

Wer versteht „Lost in fashion“ (sprich: Loscht in Fäschen)? Der Werbespruch prangt an einem Buswarte-Häuschen nahe dem Erfurter Flughafen, spielt auf die Modemesse in Berlin ebenso an wie auf den Bill Muray-Film „Lost in translation“ – und bedeutet so viel wie „Verloren oder versunken in Mode“. Ob man nur Anglistik-Studentinnen ins Einkaufszentrum locken will?

Wer Texter engagiert, die modern und englisch werben, der bestraft sich selbst: Die meisten Kunden verstehen es nicht oder verstehen es falsch – und bleiben zu Haus. Aber kann man deutsch für die Schönheit werben? Ja, man kann:

Glühend an der Purpurwange
Sanft berührt vom Lockenhaar,
Von der Lippe, süß und bange…
Fand die trunkne Seele sie.

Was für ein Event (sprich: Iwent)! So schließt Hölderlin, ganz deutsch, vor zweihundert Jahren seine Hymne an die Schönheit.

Wie die Ziehung der Lottozahlen: Pressekarten zum NSU-Prozeß

Geschrieben am 29. April 2013 von Paul-Josef Raue.

Wir wischen uns die Augen und denken: Das kann doch nur Satire sein – Heute-Show, Scheibenwischer oder Neues aus der Anstalt. Die Anstalt ist ein diesmal Gericht, und die Satire läuft so:

An einem Frühlingsmorgen in München treffen sich ein Richter und eine Aufsichtsperson, gespielt vom Ex-SPD-Chef Hans-Jochen Vogel, zur Ziehung der Lottozahlen, Pardon: zur Ziehung der Pressekarten für den Neonazi-Prozess.

Eine Direktübertragung der Ziehung fand nicht statt, so dass die Frage bleibt: Sind alle Kugeln auch in die Trommel gefallen? Das ist keine abwegige Frage: Vor wenigen Wochen blieben zwei Lotto-Kugeln stecken, trotz notarieller Aufsicht. Die falschen Zahlen wurden verkündet. Ein Gewinner mit sechs Richtigen ging leer aus, weil nochmals gelost werden musste. Zum Trost kam der Gewinner groß in die Bildzeitung.

Wie beim Lotto fand auch im Münchner Gericht die Verkündigung vor laufenden Kameras statt. Man nennt so etwas ein Medien-Ereignis, wohl gemerkt: Nicht der Prozess-Auftakt, sondern die Presse-Lotterie.

So etwas kann die beste Satire nicht leisten. Das unwürdige Schauspiel fand wirklich statt – im Münchner Oberlandesgericht. Aus Ärger über ein Urteil des Verfassungsgerichts verschob das Gericht den Prozess und verordnete eine Lotterie. Dabei wäre das Verfassungsgericht schon zufrieden gewesen, hätte man drei Stühle für türkische Journalisten in den Saal 101 gestellt.

Große Medien mit internationaler Bedeutung wie die FAZ oder die „Welt“ sind durchgefallen, politisch unauffällige wie „Brigitte“ oder „Radio Lotte“ aus Weimar sind dabei. Das Gericht in München hat eine der großen Prinzipien unseres Rechtsstaats lächerlich gemacht: Die Öffentlichkeit von Gerichtsverfahren. So viel Häme hat unsere Demokratie nicht verdient.

Leitartikel der Thüringer Allgemeine für den 30. April 2013 (unredigiert)

Pressekonferenz mit Reh-Steak und bunten Wildspießen

Geschrieben am 13. April 2013 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 13. April 2013 von Paul-Josef Raue in 21 Die Pressekonferenz, Aktuelles.

Pressekonferenzen sind bisweilen nicht nur Pressekonferenzen, sondern auch Lustspiele. Die schönsten Einladungen sind eine Sammlung wert. Beginnen wir mit dieser:

Im Anschluss an den informativen Teil der Pressekonferenz können Sie sich gemäß dem Motto „Wild(es) Grillen“ auf Köstlichkeiten aus Wildbret wie Reh-Steak, gegrillte Wildschweinrippchen und bunte Wildspieße freuen… Wir freuen uns, wenn Sie diese Einladung annehmen und bitten um eine Rückmeldung per E-Mail.

Seiten:«123456

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