Alle Artikel der Rubrik "G. Wie Journalisten informieren"

Schreibe wahr! Die sechs Regeln der journalistischen Ethik (Journalismus der Zukunft – 13)

Geschrieben am 9. Mai 2016 von Paul-Josef Raue.

 Was ist Wahrheit? Philosophen streiten seit Jahrhunderten – und Journalisten? Immer wieder flammt der Streit auf, was Wahrheit im Journalismus ist, warum der Pressekodex von Wahrhaftigkeit spricht (was ist das?) und warum wir oft die einfachen Regeln nicht beachten. Darum geht es in der 13. Folge der Kress-Serie „Der Journalismus der Zukunft“, in der auch die Wahrhaftigkeit erklärt wird.

Das sind die einfachen Regeln für einen Journalisten, der wahr informieren will:

1. Lüge nicht, also schreibe nicht das Gegenteil von dem, was Du als richtig erkannt hast.

2. Verschweige nichts, was Deine Mitbürger wissen müssen, um die Demokratie lebendig zu halten.

3. Misstraue allen, die die Wahrheit verkünden, und kontrolliere die, die wahr reden sollten.

4. Schreibe so klar, dass Du nicht missverstanden wirst.

5. Lasse Dich nie vor einen Karren spannen, ob Politik, Werbung, Wirtschaft oder Propaganda gleich welcher Art.

6. Folge dem Pressekodex, es sei denn, Du kannst eine andere Entscheidung begründen und vor Dir rechtfertigen.

Diese Regeln lassen sich in einem Satz zusammenfassen, den Hajo Friedrichs im letzten Interview vor seinem Tod gesprochen hat und der zur ersten Journalisten-Weisheit geworden ist: „Distanz halten, sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten, nicht in öffentliche Betroffenheit versinken.“

Mehr lesen:

http://kress.de/news/detail/beitrag/134768-kressde-serie-journalismus-der-zukunft-schreibe-die-wahrheit-der-2-pfeiler.html

„Hintergründe aufdecken gegen Gerüchte und gefühlte Wahrheiten“ (Krüger-Interview 2)

Geschrieben am 28. April 2016 von Paul-Josef Raue.
Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung. Foto: bpb/Ulf Dahl

Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung. Foto: bpb/Ulf Dahl

Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, spricht im zweiten Teil des Kress-Interviews über Strategien, wie Journalisten mit Politik-Verdrossenheit oder Verschwörungstheorien umgehen sollen.

Wie gewinnen Journalisten das Vertrauen zurück? Müssen sie mehr erklären, wie sie arbeiten?

Thomas Krüger: Dies ist ja bereits in vollem Gange. Redaktionen bekommen über die Sozialen Medien unmittelbare Rückmeldungen zu ihrer Berichterstattung. Journalisten die diesen Kommunikationsweg nicht als „Meckerecke“ abtun, sondern reagieren und sich auf die Diskussion einlassen. Der Dialog ist das A und O, um herauszufinden, was die Nutzerinnen und Nutzer eigentlich möchten. Für die wiederum ist es wichtig, dass sie ernst genommen werden und in den Journalisten seriöse Partner wissen.

Ist die Medienverdrossenheit ein Spiegel der Politikverdrossenheit?

Thomas Krüger: Für bestimmte Personenkreise ist das sicherlich der Fall. Es ist ja kein Zufall, dass der Schlachtruf „Lügenpresse“ genau dort salonfähig ist, wo es Leute gibt, die – aus welchen Gründen auch immer – meinen, keine politische Stimme mehr zu haben und sich leider im demokratischen Parteienspektrum nicht mehr angemessen vertreten fühlen.

Redaktionen werden von ihren Lesern mit Verschwörungs-Theorien konfrontiert. Sollen sie darauf eingehen, wenn sie geballt in Briefen, Anrufen oder auf Facebook eintreffen?

Thomas Krüger: Auch bei der Verbreitung von Verschwörungstheorien spielt das Internet eine große Rolle. Es hat dazu beigetragen, dass viele dieser Theorien überhaupt erst im Mainstream bekannt geworden sind, darunter auch solche, die einen rechtsextremen Hintergrund haben. Unser Anspruch als politische Bildner ist es ja, alle erreichen zu wollen und niemanden verloren zu geben. Natürlich ist es schwer, Personen argumentativ zu begegnen, deren Weltbild nicht mehr auf der Grundlage des Common Sense basiert. Versuchen muss man es trotzdem. Gerade dann, wenn solche Theorien auf öffentlichen Plattformen wie Facebook gestreut werden. Denn hier erreichen die Gegenargumente ja nicht nur den Absender selbst.

Sozialpsychologen haben herausgefunden: Die Verschwörung, detailliert nacherzählt, bleibt im Kopf hängen, die Widerlegung dagegen verblasst schnell. Was bedeutet das für Journalisten? Und für die politische Bildung?

Thomas Krüger: Das bedeutet, dass sowohl die Medien als auch wir in der politischen Bildung der „Kreativität“ der Verschwörungstheoretiker ebenso kreative Angebote entgegensetzen müssen.

Wie könnte solch eine Kreativität in einer Lokalredaktion aussehen?

Thomas Krüger: Sie sollte das machen, wofür Journalismus eigentlich schon immer steht: Hintergründe investigativ und faktenbasiert aufdecken und erklären. Ich halte dies für eine der wirkungsvollsten Methoden, um emotional geführten Debatten, die häufig von Gerüchten, Vorurteilen und „gefühlten Wahrheiten“ bestimmt werden, den Druck zu nehmen und in geregeltere Bahnen zu lenken.

Sind denn die Hassprediger noch zum Dialog bereit? Die Landeszentrale für politische Bildung in Sachsen hat es versucht – offenbar ohne Erfolg.

Thomas Krüger: Wenn wir zum Beispiel von den Anführern der Pegida-Bewegung sprechen, dann geht es um Personen, die seit Jahren in ihrem Weltbild gefestigt sind und sich mit Personen umgeben, die sie in diesem Weltbild bestätigen und bestärken. Es ist sehr schwer, solche Leute noch mit politischen Bildungsangeboten zu erreichen, da diese – ab einem gewissen Alter – ja immer auf freiwilliger Basis ablaufen. Politische Bildung kann keinesfalls das alleinige Mittel sein, ein gesamtgesellschaftlicher Prozess muss angestoßen werden. Und hier sehe ich politische Bildung wiederum in der Pflicht ihren Beitrag zu leisten.

Sind also die Sympathisanten noch zu erreichen? Die Menschen, die den Hasspredigern Beifall zollen?

Thomas Krüger: Am Auf- und Abschwung der Pegida-Veranstaltungen sieht man ja, dass dem so ist. Die zunehmende Radikalisierung der Forderungen hat nicht dazu geführt, dass die Demonstrationen mehr Zulauf bekommen – im Gegenteil. Ein für mich eindeutiges Zeichen, dass auch Personen noch erreichbar sind, die dem dort verbreiteten Gedankengut in Teilen zustimmen oder in der Bewegung zeitweise ein Ventil für ihre Sorgen gesehen haben.

Nirgends ist das Vertrauen der Leser so groß wie in ihren Lokalteil. Die Wut-Briefe, die in Redaktion eingehen, zeugen doch davon, dass die Menschen seit Jahrzehnten und immer noch die Zeitung lesen. Was würden Sie als Lokalchef tun?


Thomas Krüger: Das Fundament eines erfolgreichen Lokaljournalismus ist die Recherche. Aktueller Präzedenzfall ist natürlich die Suche nach Unterkünften für Geflüchtete. Verschiedene Lokalmedien haben hier großartige Arbeit geleistet, indem sie transparent aufgezeigt haben, wie viele Geflüchtete tatsächlich in die Region kommen, welcher Ort wie viele von ihnen aufnimmt, wie sie dort leben und woher sie kommen. In der „drehscheibe“, unserem Magazin für gute Ideen und Konzepte im Lokaljournalismus, stellen wir genau solche gelungenen Beispiele vor und hoffen, dass sich andere Zeitungen an ihnen orientieren.

Gerade für die Lokalzeitungen gilt, dass sie nah an den Leserinnen und Lesern sein müssen. Sie sollten ihnen das Gefühl vermitteln, in der Presse ein Sprachrohr und eine Plattform für die vor Ort geführten Diskurse haben, gerade auch für jene, die besonders kontrovers geführt werden. Nicht umsonst unterstützt die bpb seit vielen Jahren die lokale Politikberichterstattung mit den verschiedenen Angeboten des Lokaljournalistenprogramms.

Erleben wir die Dämmerung der Demokratie? Wächst langsam wieder die Sehnsucht nach einem, der alles besser macht?

Thomas Krüger: So schwarz sehe ich auf gar keinen Fall. Laut Kishon ist Demokratie ja das beste politische System, weil man es ungestraft beschimpfen kann. Ich bin überzeugt, dass sich dessen auch viele derer bewusst sind, die gerade ihre sogenannten Sorgen sehr lautstark äußern. Außerdem erlebe ich täglich zahllose engagierte Akteure, die daran mitarbeiten, die Demokratie lebendig zu halten. Dieser Einsatz, das Wissen und der Einfallsreichtum dieser Menschen sind die Voraussetzungen dafür, dass auch jene, die an unserer Gesellschaft zweifeln, wieder auf die richtige Seite gezogen werden können.

Deshalb müssen wir sie mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützen. Auch die Rolle der Institutionen darf man nicht unterschätzen. Natürlich geben sie als „Teil des Systems“ ein dankbares Ziel für Kritik ab. Trotzdem ist es wichtig, dass Ministerien, Behörden, alle Teile der öffentlichen Hand ein klares Signal senden, indem sie Vielfalt und Demokratie vorleben. Nur so bleibt beides zukunftsfähig.

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Mit Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, sprach Paul-Josef Raue. Das komplette Interview:

http://kress.de/news/detail/beitrag/134670-interview-mit-bpb-praesident-thomas-krueger-stimmt-unsere-politik-berichterstattung-nicht-mehr.html

„Journalisten schalteten sich zu spät in Netz-Debatten ein“ (Interview Thomas Krüger)

Geschrieben am 27. April 2016 von Paul-Josef Raue.
Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung. Foto: bpb/Ulf Dahl

Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung. Foto: bpb/Ulf Dahl

In einem Interview mit kress.de spricht Thomas Krüger (56),  Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, über „Dunkeldeutschland“,  Journalisten und das Misstrauen der Bürger gegenüber den Medien, Medien-Manipulation und den Fehlern, die Journalisten verschweigen oder zugeben.Thomas Krüger (56)  studierte Theologie in der DDR, war nach der Revolution Jugend-Senator in Berlin und ab 1994 einige Jahre Abgeordneter im Bundestag.

Gerade im Westen sagen viele: 25 Jahre Einheit müssten doch ausreichen, um die Diktatur aus den Köpfen zu vertreiben.


Thomas Krüger: Diktatur-Aufarbeitung dauert lange, das ist ein Generationen-Projekt. So etwas braucht seine Zeit. Nehmen Sie mal die Zeit des Nationalsozialismus. Sie dauerte 12 Jahre. Der zeitliche Abstand zur DDR ist heute 26 Jahre, also wären wir, was die NS-Aufarbeitung angeht, heute gerade mal im Jahr 1971 angelangt, also: vor der TV-Serie „Holocaust“, dem Gedenkstättenboom, dem kritischen Nachfragen einer neuen Generation. Die DDR dauerte 40 Jahre, also fast zwei Generationen. Warum sollte die „Aufarbeitung“ und Bewältigung schneller gehen als bei der des Nationalsozialismus?


Ist der Osten also wirklich noch Dunkeldeutschland?

Thomas Krüger: Nennen Sie es, wie Sie wollen. Ich sehe – wie der Bundespräsident – in ganz Deutschland und auch in Ostdeutschland eine engagierte und organisierte zivilgesellschaftliche Willkommenskultur, viele Ostdeutsche verurteilen die Fremdenfeindlichkeit und die Übergriffe aufs Schärfste. Aber gerade in den letzten Monaten, wo sich Menschen, die aus größter Not zu uns gekommen sind, gewalttätigen rechtsextremen Demonstranten aussetzen, gibt es eine Notwendigkeit, diese Schattenseiten klar und deutlich anzusprechen.

Haben Journalisten diese Schattenseiten nicht deutlich genug angesprochen. Kurzum: Haben die Medien, haben die Journalisten versagt?

Thomas Krüger: Nein, ich bin Anhänger der These, dass der Journalismus heute nicht schlechter, die Leser aber sehr viel kritischer sind. Als publizistisches Rückgrat der demokratischen Öffentlichkeit bleiben Journalisten unersetzlich und natürliche Verbündete der politischen Bildung. Beiden geht es darum, Sachverhalte zu erklären, Kontroversen aufzuzeigen und letztendlich das demokratische Bewusstsein und die aktive Mitarbeit zu stärken.

Offenbar haben auch Journalisten einiges falsch gemacht. Umfragen deuten an: Das Vertrauen ist bei vielen Bürgern erschüttert. Haben Journalisten vielleicht wie Oberlehrer aufs Volk hinabgeschaut – was die Bürger eben nicht mögen?

Thomas Krüger: Wenn Journalisten etwas falsch gemacht haben, dann höchstens zwei Dinge: Erstens, dass sie sich zu spät in die Debatten im Netz, in den sozialen Medien eingeschaltet haben. Hier haben viele Journalisten die Möglichkeiten unterschätzt, sich frühzeitig Gehör zu verschaffen. Und zweitens haben Sie ihr Licht unter den Scheffel gestellt. Guter Journalismus setzt sich schon durch, dachte man, dass dazu aber heute eine transparente Kommunikation gehört, haben viele noch nicht begriffen.

Journalisten wie der ehemalige FAZ-Redakteur Udo Ulfkotte schreiben: Medien manipulieren, lassen sich korrumpieren und von Amerika und der Nato einspannen. Stimmt unsere Politik-Berichterstattung nicht mehr?

Thomas Krüger: Natürlich kann man manches kritisieren. Wenn zum Beispiel der Eindruck entsteht, im politischen Berlin würde eine Art „Hofberichterstattung“ stattfindet, und zum Beispiel Pressekonferenzen nur dazu genutzt werden, um O-Töne einzuholen, statt Dinge kritisch zu hinterfragen – dann werden Journalisten ihrer Rolle als „vierte Gewalt“ nicht mehr gerecht. Aber es gibt sie ja noch, die investigativen und meinungsstarken Formate und Reporter und die genannten Vorwürfe von Herrn Ulfkotte sind doch sehr verschwörungstheoretisch. Da macht es auch keinen Unterschied, dass er mal für die FAZ geschrieben hat.

Wenn Redaktionen Fehler öffentlich zugeben, laufen sie Gefahr, dass andere wie beispielsweise der Ministerpräsident Seehofer sagen: Seht Ihr, jetzt geben sie schon selber zu, dass sie Fehler machen! Wäre es da nicht besser zu schweigen und die Fehler auszusitzen?

Thomas Krüger: Auf keinen Fall! Fehler müssen benannt und analysiert werden – auch öffentlich. Die Taktik, solche Dinge totzuschweigen, ist nicht mehr zeitgemäß und führt keinesfalls dazu, Vertrauen, das durch einen Fehler möglicherweise verloren gegangen ist, wieder zurückzugewinnen. Gerade in den lokalen und regionalen Tageszeitungen konnten wir aktuell feststellen, dass sich besonders die Lokalredaktionen herausgefordert sehen, sie aktiv auf ihre Leser zugehen – durch Bürgerdialog-Veranstaltungen und andere Events. Hinzu kommt eine neue Ombuds-Bewegung, die sich den Fragen und der Kritik der Leserschaft annimmt.

Teil 2 folgt.

Das komplette Interview, geführt von Paul-Josef Raue:

http://kress.de/news/detail/beitrag/134670-interview-mit-bpb-praesident-thomas-krueger-stimmt-unsere-politik-berichterstattung-nicht-mehr.html

Ist Böhmermann wirklich das wichtigste Thema?

Geschrieben am 13. April 2016 von Paul-Josef Raue.

Böhmermann, Böhmermann und noch mal Böhmermann. Gestern war der Satiriker sogar Aufmacher in der 20-Uhr-Tagesschau. Stimmt noch, wie wir die Nachrichten und Themen öffentlich gewichten? Es lohnt jedenfalls, mal eine andere Perspektive einzunehmen. Wie reagiert beispielsweise ein Syrer, der heute ein neues Parlament wählen soll oder auf der Flucht ist?

Jan Jessen (Foto: Facebook)

Jan Jessen (Foto: Facebook)

Jan Jessen, im Hauptberuf NRZ-Redakteur, ist oft im Nahen Osten unterwegs, vornehmlich in Erbil und Kurdistan. Er hat auf Facebook schon einiges zu Erdogan und Böhmermann gepostet, aber erzählt auch eine Geschichte aus Bagdad 2011:

Diese ganze Böhmermann-Debatte zeigt auch, was wir für ein glückliches Völkchen sind. Wenn wir tagelang über Grenzen von Meinungsfreiheit anhand eines pubertären und wenig witzigen Gedichts streiten und darüber zehntausende Zeilen schreiben können, haben wir offenbar keine anderen Probleme, was uns von weiten Teilen der Welt unterscheidet.

Erinnert mich an einen Besuch in Bagdad im Jahr 2011. Damals saß ich dort mit irakischen Parlamentariern zusammen, wir diskutierten über den Krieg, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Dann habe ich mir ne kurze Auszeit genommen und mir via Satellit das Heute-Journal angeschaut. Aufmacher war die Nachricht, dass zu Guttenberg eventuell bei seiner Doktorarbeit gepfuscht haben könnte. War etwas schwierig, den Irakern zu erklären, warum das für uns ein wirkliches Thema ist. Sie waren ziemlich neidisch.

Es ist sinnvoll, ab und zu die Perspektive zu wechseln.

Was ist Qualität? Auch im digitalen Zeitalter gelten die journalistischen Grundprinzipien

Geschrieben am 12. April 2016 von Paul-Josef Raue.
Wolf Schneiders Lieblingsspruch hängt in der Henri-Nannen-Journalistenschule, in Stein gemeißelt: Qualität kommt von Qual.

Wolf Schneiders Lieblingsspruch hängt in der Henri-Nannen-Journalistenschule, in Stein gemeißelt: Qualität kommt von Qual.

Über Qualität können sich Journalisten stundenlang erbittert streiten. Gibt es einen eigenen Qualitäts-Journalismus? Oder ist eine Qualitätszeitung nur ein Marketing-Gag? Geht vielleicht sogar ein Riss quer durch den Journalismus: Im Olymp die Edlen, in der Provinz der Rest?

In den abschließenden Kapiteln der Kress-Serie „Journalismus der Zukunft“ geht es um die Qualität, genauer: um die journalistischen Grundprinzipien oder die acht Pfeiler, auf denen der Journalismus ruht. Aber verändern sich die nicht im digitalen Zeitalter?

Nein, sagt auch Google-Chef Chinnappa :

Zwar stehen uns so viele Informationen wie noch nie zur Verfügung, aber dadurch wird es umso wichtiger, an den journalistischen Grundprinzipien festzuhalten.

Nachrichten bleiben Nachrichten, ob auf Twitter oder Facebook, in der Zeitung oder Online; nur die Präsentation ändert sich – ebenso wie die Technik, Nachrichten zu verbreiten.

Am Rande geht es auch um die beliebte Ausrede, man könne ja bessere Zeitungen oder Online-Auftritte schaffen, wenn man nur bessere Redakteure hätte. Nein, sagt Rainer Wagner, Psychologe und einer der Top-Berater für Verlage und Redaktionen:

Verändere die Umstände, nicht die Menschen. Management als ein Reparaturdienst des Verhaltens von Mitarbeitern und Führungskräften ist vergebliche Mühe.

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Quelle: http://kress.de/mail/news/detail/beitrag/134569-journalismus-der-zukunft-teil-10-was-ist-qualitaet.html

Der kategorische Imperativ der Mediengesellschaft: „Was ist, wenn es rauskommt?“

Geschrieben am 6. April 2016 von Paul-Josef Raue.

Ein guter Reporter recherchiert nicht, um einen Mächtigen zum Rücktritt zu zwingen oder ins Gefängnis zu bringen. Auch wenn eine Portion Jagdfieber dabei sein sollte: Ein guter Reporter kontrolliert die Macht und schaut genau hin, wo und wie sich die Mächtigen um jeden Preis – oder fast jeden Preis – die Macht sichern.

Ein Gerichtsverfahren oder gar einen Rücktritt können die Leitartikler fordern. Nicht von ungefähr ist im angelsächsischen Journalismus klar unterschieden: Recherche ist die Sache der Reporter, der Kommentar und die Linie des Blattes ist Sache der Editoren, die in den klimatisierten Etagen der Zentrale sitzen.

Der Rücktritt eines Regierungschefs ist Sache des Parlaments oder des Präsidenten oder – wie in Island in Folge der Panama-Papers – Sache des Volks, das auf die Straße geht. Ein solcher Rücktritt ist sozusagen der Kollateralschaden einer Recherche.

Bodo Hombach (Porträt von seiner Homepage)

Bodo Hombach (Porträt von seiner Homepage)

Ziel einer Recherche ist durchaus, die Mächtigen zu warnen und  gar in Furcht vor dem Herrn zu halten, dem Volk also und seinen recherchierenden Treuhändern, den Journalisten. Im Handbuch des Journalismus* loben wir den Willen zur Wahrhaftigkeit bei Journalisten wie Politikern und zitieren Bodo Hombach, der Politiker war, dann Verleger der WAZ und heute zweifacher Honorarprofessor: Er deutete Kants kategorischen Imperativ „Was ist, wenn es alle tun?“ um in den kategorischen Imperativ der Mediengesellschaft: „Was ist, wenn es rauskommt?“

An diesen kategorischen Imperativ haben die Panama-Papers die Mächtigen wieder erinnert – übrigens nicht nur die in westlichen Ländern, sondern auch die Diktatoren und Kriegsherren dieser Welt.

Zudem sind die Panama-Papers eine Antwort auf die „Lügenpresse“-Prediger und –Anhänger.

*Das neue Handbuch des Journalismus und des Online-Journalismus, Seite 293 (Rowohlt 2016)

Das neue Gold des Journalismus: Vier Erkenntnisse aus den Panama-Paper-Recherchen

Geschrieben am 5. April 2016 von Paul-Josef Raue.

Die Zeit des einsamen Reporters ist vorbei. Das ist eine der Erkenntnisse, die wir aus den Panama-Papers ziehen können. Teams werden den Einzelkämpfer ablösen, denn 2,6 Terabyte an Daten und über 11 Millionen Dokumente – wie bei den Panama-Papers – zwingen zur Zusammenarbeit, auch wenn dies den meisten Journalisten noch schwerfällt. Die Zusammenarbeit ist schon in einer Redaktion bisweilen schwer;  erst recht kompliziert wird sie, wenn sie mit mehreren Redaktionen erfolgt, die man lange als Konkurrenten gesehen und vielleicht sogar bekämpft hat.

Lange Zeit waren aufwändige Recherchen eine Domäne der Magazine – allen voran der Spiegel -, die allein über die Kapazität verfügten. Eine Tageszeitung, die Süddeutsche Zeitung,  ist dabei, bei den investigativen Recherchen den Spiegel zu überholen. Die entscheidenden Köpfe in der SZ hat der Spiegel ziehen lassen: Chefredakteur Kurt Kister (falsch – siehe Kommentar unten), Chef-Rechercheur Hans Leyendecker und Georg Mascolo, der den Rechercheverbund mit NDR und WDR leitet.

Wie wird der Spiegel reagieren, falls er seine internen Querelen mal erledigen kann? Oder Stefan Aust, auch Ex-Spiegel-Chefredakteur, bei Springers  Welt? Mit wem werden sie kooperieren? Wie werden sich die großen regionalen Zeitungen organisieren, wenn sie die große Recherche auch für sich entdecken und  Kooperation nicht nur als Synergie-Effekt sehen? Recherche kostet aber Geld.

„Daten sind das Gold des Journalismus“ schreiben Frederik Obermaier und Bastian Obermayer, die SZ-Reporter, euphorisch; doch einer ist überfordert, in den Daten das Gold zu entdecken:  11 Millionen Dokumente – dafür reichte nicht einmal ein Reporterleben! Also bleibt nur die Zusammenarbeit.

Nicht die Mönchszelle ist noch das Vorbild für Journalisten, das kleine Ein-Raum-Büro,  sondern der Newsroom, in dem Kommunikation mehr ist als ein Modewort. Das ist die zweite Erkenntnis aus den Panama-Papers. Dazu kommt ein virtueller Newsroom: Journalisten, Hunderte und Tausende von Kilometern entfernt, arbeiten in einer Wolke, in der alle Daten, Fragen und Antworten, Artikel und Entwürfe  stecken.

Die dritte Erkenntnis: Techniker müssen zum Team gehören. Dateien gibt es in unterschiedlichen Formaten, die lesbar gemacht werden müssen, vor allem wenn es Daten gibt, die ein halbes Jahrhundert alt sind. Techniker müssen zudem den Dialog der Reporter sicher machen: Robuste Computer-Verbindungen, sicher gegen Hacker und Abhör-Spezialisten.  Zwar gibt es in der SZ-Redaktion mittlerweile einen Tresor und mit Nummerncodes gesicherte Zimmer, aber sichere Leitungen sind noch wichtiger.

Die vierte Erkenntnis: Die Goldsucher brauchen die alte Moral in den neuen Daten-Minen. Wolfgang Krach, einer der beiden SZ-Chefredakteure,  hat sie am ersten Tag der Panama-Papers im Leitartikel formuliert:

Die Frage ist nicht ausschlaggebend, ob die Daten rechtmäßig in den Besitz der Enthüller gekommen sind und ob  Medien sie veröffentlichen dürfen. „Entscheidend sind zwei andere Kriterien: Kann man der Quelle trauen? Und: Gibt es ein berechtigtes allgemeines Interesse.“

Bei aller Euphorie über diese historische Stunde des Journalismus: Der Reporter mit seinem Spürsinn und seiner Hartnäckigkeit wird nicht verschwinden, erst recht nicht in kleinen Lokal- und Regionalredaktionen. Auch die Panama-Papers beginnen mit dem Spürsinn und der Hartnäckigkeit eines SZ-Reporters, der einen Anruf bekommt: „Hallo, ich bin John Doe. Interessiert an Daten? Ich teile gerne“.

Der Rest wird irgendwann ein Film werden, vielleicht sogar mit Oscar-Ambitionen.

**

Quellen:

SZ vom 4. April und NDR-Zapp „Die Geschichte der Panama Papers“

**

Zur Veröffentlichung dieses Blogs in Newsroom schrieb  ein Journalist diese Mail:

PJR irrt, wenn er sagt, der Spiegel habe die entscheidenden Leute ziehen lassen.
Leyendecker kam vom Spiegel, stimmt, Kilz hatte das eingefädelt, auch er zuvor beim Spiegel, musste dort gehen, beide dann im Gespann bei der SZ; Leyendeckers Geschichte aus Bad Kleinen ist bis heute unbewiesen, (s)ein eigenwilliges Solitär, sie war mit entscheidend für den Wechsel.
Georg Mascolo – desgleichen, in Hamburg geschasst.
CR Kister ist ein SZ-Eigengewächs, kommt aus der Lokalredaktion Dachau.
Und was haben Bastian Obermayer und Frederik Obermaier mit dem Spiegel gemein? Nichts. Aber sie sind die treibenden Kräfte bei den panamapapers.
Und ungeklärt ist und wird wohl bleiben: wer ist die dieser John Doe?

Meine Antwort:

Er hat in einem Recht. Die Namen klingen ähnlich, beide waren oder sind Chefredakteure der SZ, aber nur einer kam vom Spiegel:

Kurt Kister ist in der Tat ein SZ-Eigengewächs, der nie verleugnet hat, dass er in einer Lokalredaktion zu einem exzellenten Journalisten wurde. Kister folgte auf Hans-Werner Kilz als Chefredakteur der SZ. Kister dürfte einer der besten Journalisten in Deutschland sein; zudem hat er  den Wert der tiefen Recherche erkannt und Hans Leyendecker – trotz Bad Kleinen – vom Solitär zum Ressortleiter befördert. Es ist nicht nur geglückt, sondern zum Glücksfall für die SZ und unsere Demokratie geworden – nicht erst mit den Panama-Papers.

Hans-Werner Kilz war Chefredakteur des Spiegel. Als Chefredakteur des Spiegel entlassen zu werden, gilt nicht als ehrenrührig, mittlerweile gilt es nahezu als Gütesiegel. In der SZ hatte Kilz auf jeden Fall in schweren Jahren sehr heilsam gewirkt.

Dass Reporter oft eigenwillige Solitäre sind, das stimmt. Wer gute Journalisten haben will, muss das ertragen. Immerhin hat Leyendecker, eigenwillig oder nicht, ein Investigativ-Ressort bei der SZ geschaffen, das führend ist in Deutschland; eines von dieser Qualität würde dem Spiegel gut tun. Dass Bad Kleinen eine bittere Niederlage für Leyendecker war, dürfte er selber wissen; dass er offenbar daraus gelernt hat, ehrt ihn.

Die beiden Obermaiers, der eine mit i, der andere mit y, haben nicht beim Spiegel, sondern in Leyendeckers Ressort genau die Basis gefunden, die Reporter für eine tiefe und professionelle Recherche brauchen.

Wie sollen Journalisten mit Verschwörungs-Theorien umgehen? (Die Zukunft des Journalismus)

Geschrieben am 30. März 2016 von Paul-Josef Raue.

Sind Menschen, die von der „Lügenpresse“ sprechen, für Journalisten überhaupt noch zu erreichen? Ja, abgesehen von den Unbelehrbaren, den Hasspredigern und Aufwieglern und ihren treuesten Anhängern. Wir müssen mit ihnen sprechen, sie ernst nehmen – und auf ihre Verschwörungstheorien eingehen, die sie so faszinieren.

Aber Vorsicht! Wer Verschwörungen ausführlich Raum gibt, macht sie glaubhaft – auch wenn er sie gleich widerlegt; das fanden Sozialpsychologen heraus.Wie entkommt ein Journalist dieser Falle? Der Wissenschaftsredakteur Sebastian Herrmann gibt Tipps in einem Leitartikel der Süddeutschen Zeiung; er rät dazu: Statt Verschwörungen detailliert zu erzählen, so dass sie sich einprägen, ist es besser, die falsche Geschichte mit einer neuen Geschichte zu überschreiben und zu recherchieren:

  • Wer erzählt die Geschichte?
  • Warum erzählt er sie? Was sind seine Motive?
  • Wie ist die Geschichte entstanden? Welche giftigen Quellen gibt es?
  • Wer profitiert von der Verbreitung?

Um die Kunst der Unterscheidung, wer von dem „Lügenpresse“-Vorwurf angezogen wird, und von der Macht der Gerüchte und um Verschwörungen geht es in der achten Folge der Kress-Reihe „Journalismus der Zukunft“.

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Quelle: Süddeutsche Zeitung 29. Januar 2016, Seite 4

Schreiben, was ist: War Germanwings-Absturz ein Verbrechen, der Kopilot ein Massenmörder?

Geschrieben am 28. März 2016 von Paul-Josef Raue.

Nur wer so zureichend wie möglich beschreibt, was ist, macht seinen Job als Journalist.

Michael Hanfeld, stellvertretender Leiter des FA-Feuilletons, reagiert so auf Journalisten, die zum Jahrestag des German-Wings-Absturzes weder die Krankheit des Piloten noch den Namen veröffentlichen wollten; sie führten als Begründung die Stigmatisierung von Depressiven und  von Angehörigen an. Hanfeld zählt zu den radikalen Verfechtern einer möglichst uneingeschränkten Weitergabe von Informationen, die als wahr recherchiert wurden. Wenn sich die Presse Einschränkungen unterwirft, verfehlt sie laut Hanfeld ihren Daseinszweck.

So will Hanfeld nicht von einem „Unglück“ in den französischen Alpen sprechen, sondern von einem Verbrechen  und vom Kopiloten  Andreas Lubitz als Massenmörder.

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Quelle: FAZ, 26. März 2016, Medien-Seite 16

 

 

 

 

Bürger misstrauen Journalisten schon immer: Die Krise ist nicht neu (Serie „Journalismus der Zukunft“)

Geschrieben am 24. März 2016 von Paul-Josef Raue.
Paul-Josef Raue (Zeichnung: Anke Krakow / TBM)

Paul-Josef Raue (Zeichnung: Anke Krakow / TBM)

Haben die Deutschen ihr Vertrauen in die Medien verloren? Ja, aber dies ist schon seit Jahrzehnten so, und es ist typisch für den skeptischen Bürger in einer Demokratie. Um die von den Medien selbst hochgespielte Vertrauenskrise geht es im siebten Teil meiner Kress-Serie Journalismus der Zukunft“. Der Münchner Kommunikations-Professor Carsten Reinemann meint, Journalisten könnten nicht mit Zahlen umgehen, und stellt nach seinen Recherchen fest:

Zumindest bis Ende 2014 hat sich das Medienvertrauen großer Teile der Bevölkerung gar nicht dramatisch verändert. Auch die im Jahr 2015 erhobenen Daten lassen diesen Schluss nicht zu.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen Professor Kim Otto und Andreas Köhler von der Universität Würzburg, die Umfragen des Eurobarometers auswerten, die von der EU jährlich in Auftrag gegeben werden:

Von einer neuen generellen Vertrauenskrise in die Medien in Deutschland kann angesichts der Langzeitdaten nicht gesprochen werden. Insofern kann die gegenwärtige gesellschaftliche Diskussion über die Arbeit der Journalisten schon fast als hysterisch bezeichnet werden, und es wäre ratsam, Dampf aus der Debatte zu nehmen.

Wer sich in der politischen Mitte verortet, vertraut den Medien im Gegensatz zu denen, die sich politisch extrem einstufen, also weit rechts oder links. „Dass dieser Personenkreis von ,Lügenpresse‘ spricht, ist ein weit bekanntes Muster“, meinen die Wissenschaftlicher.

Umfragen zeigen, dass mehr als jeder fünfte befragte Pegida-Anhänger deutliche Kritik an der Arbeit von Journalisten übt. Dabei steht insbesondere der Vorwurf der Tendenzberichterstattung im Raume.

Auch wer seine wirtschaftliche Lage als schlecht einstuft, misstraut eher den Massenmedien. So fehlt der Mehrheit der Ostdeutschen das Vertrauen im Gegensatz zu den Westdeutschen: 58 Prozent misstrauen im Osten, nur 47 Prozent im Westen. Professor Otto:

Die Menschen in Ostdeutschland sind bekanntlich mit dem Funktionieren der Demokratie grundsätzlich unzufriedener als die Menschen in Westdeutschland. Auch das Institutionenvertrauen ist geringer.

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Die Links:

http://kress.de/news/detail/beitrag/134417-zahlen-und-fakten-zur-vertrauenskrise-der-medien-was-kommt-nach-der-luegenpresse.html

http://de.ejo-online.eu/qualitaet-ethik/medienvertrauen-auf-dem-tiefpunkt

 

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