Alle Artikel der Rubrik "M. Presserecht und Ethik"

Eine vorbildliche Recherche: Offshore-Leaks der SZ

Geschrieben am 5. April 2013 von Paul-Josef Raue.

„Offshore-Leaks“, die Serie der Süddeutschen, ist, abgesehen vom Serientitel, ein Vorbild für alle Reporter:

  1. Die Quellen sind genannt: Eine anonyme Festplatte, die per Post gekommen ist; darauf sind Dokumente, die auf den Servern zweier Firmen gesammelt wurden: Portcullis („Fallgitter“), ein Finanzdienstleister auf den Cook-Inseln, und CTL, Commonwealth Trust Limited, auf den Britischen Jungferninseln.
  2. Die Überprüfung der anonymen Quellen übernehmen seriöse Zeitungen – und in Deutschland auch der NDR – wie die Washington Post, der Guardian, Le Monde.
  3. Die meisten Personen werden zu Vorwürfen befragt, wie der Nachlassverwalter von Gunter Sachs, oder die Sprecher von Banken, wie der Deutschen Bank; die meist abwiegelnden Erklärungen werden veröffentlicht ebenso wie das Schweigen.So fällt auch das Fehlen der Quellen auf, meist bei Vorwürfen gegen internationale Prominenz wie die Tochter des philippinischen Diktators Marcos; da behilft sich die Redaktion mit einer unbeantworteten Frage („Stammt das Geld aus dem unrechtmäßigen Vermögen des Vaters?“) und dem Hinweis, die Behörden auf den Philippinen wollen prüfen.
  4. Die Geschichte ist verständlich, meist sehr gut geschrieben. Die Autoren verschanzen sich nicht hinter dem Argument „komplexe Materie“, sondern entwirren nach dem ehernen Journalisten-Grundsatz: Quälen muss sich der Redakteur, nicht der Leser.
  5. Grafiken helfen, Zusammenhänge zu verstehen. Aber das ist der einzige Nachteil der SZ-Serie: Die Grafiken sind meist wirr, nur schwer zu enträtseln – und haben keine Bildzeile, also keine Lesehilfe („Wie muss ich die Grafik lesen?“).

Zur Kommentierung wird dann der Poet der Redaktion geladen, der in einem großen moralischen Eintopf „Offshore“ mit der Armut in Deutschland verknüpft, mit Hartz IV und dem Grundgesetz. Wie überwältigt Heribert Prantl von der Fleißarbeit seiner Kollegen war, zeigen allein schon die Sprachbilder und Substantive im ersten Absatz seines Leitartikels: Schöpfungen Gottes, Palmen, weiße Strände, Idylle, Sehnsucht, Verklärung, Badetuch, Tresore, Paradies, Geldmagnet, Gier. Wie gesagt – so viel Phantasie in einem einzigen Absatz!

Wie bei fast allen Skandalen, die von Journalisten recherchiert werden, stellt sich die Frage nach der Moral: Dürfen wir Material nutzen, das illegal oder sogar mit krimineller Energie beschafft wurde, oder von moralisch zwielichtigen Typen kommt?

Ja, weil das Material nur den Anlass zur Recherche gibt. Nur was der Redakteur auch belegen kann durch eigene Recherche, das kommt an die Öffentlichkeit – die ein Recht darauf hat, in die Kulissen der Macht zu schauen.

Im „Handbuch des Journalismus“ ist im Kapitel 17 „Die eigene Recherche“ zu lesen:

Hartnäckigkeit und Fleiß bringen nicht immer den Lohn, manchmal spielen eher unmoralische Motive die Hauptrolle, damit der Moral zum Siege verholfen wird. Hätte nicht der Spiegel einem Informanten eine horrende Summe bezahlt, so wüssten wir immer noch nicht, auf welche Weise sich die Chefs der ,Neuen Heimat‘ bereichert haben.

Kein Reporter hatte sich geplagt, sondern ein gekränkter Angestellter der ,Neuen Heimat‘ sein Wissen zu Geld gemacht. Weniger Gekränktheit beim Angestellten oder weniger Geld beim Spiegel, und die Öffentlichkeit hätte die Wahrheit vermutlich nie erfahren.“

Annika Bengtzon: Journalismus und Wahrheit („In die Zeitung kommen ist nicht das Gleiche, wie in der Scheiße landen“)

Geschrieben am 2. April 2013 von Paul-Josef Raue.

Immer wieder geht es in den Krimis der schwedischen Autorin Liza Marklund um die Wahrheit und den Journalismus; ihre Hauptfigur ist die Boulevard-Reporterin Annika Bengtzon. „Mein einziger Auftraggeber ist die Wahrheit“, antwortet Annika einem alten Offizier, der in einem Wutanfall geschrien hatte: „Journalisten sind Lakaien, genau wie Soldaten. Nur dass ihr mit Lügen statt mit Waffen kämpft.“

Der Offizier versteht nicht, wie eine Zeitung, die man kaufen muss, frei sein kann: „Ihre Stimme ist gekauft, korrupt, verlogen.“ Doch dann erzählt er der Reporterin doch von der Mafia und ihren dunklen Geschäften – und Annika fragt ihn, ob die Mafia sie nach der Veröffentlichung verfolgen würde.

Der alte Offizier sieht sie müde an und fragt sie:

Sie haben Angst um Ihre Haut? Sind Sie etwa wichtiger als die Wahrheit? Kann Ihr Staat aus freien Bürgern sich nicht um Sie kümmern und Sie beschützen?

(Paradies 448ff., zitiert nach dem Taschenbuch, 2005)

Die TV-Filme über Ostern mit Annika Bengtzon sind ein Anlass, noch einmal in den Journalisten-Krimis von Liza Marklund zu schmökern. In den nächsten Tagen werde ich in meinem Blog ein paar Themen aus diesen drei Romanen aufgreifen: Paradies / Nobels Testament (der ergiebigste aus journalistischer Sicht) / Lebenslänglich.

In „Nobels Testament“ begegnet Annika einem hohen Beamten aus dem Justizministerium – einem der mitwirkt, die Privatsphäre der Bürger durch Kontrolle und Gesetz einzuschränken. Annika erzählt ihm, sie schreibe meistens über Gewalt und Politik.

„Na, so was“, sagte Larsson. „Sie könnten oben bei uns arbeiten.“

Annika stellte ihr Glas ab. „Wir verletzen beide die Privatsphäre von Menschen, wenn auch auf unterschiedliche Weise, ist es das, was Sie meinen?“

„Sie stellen sie in der Öffentlichkeit bloß, und wir sorgen dafür, dass sie in den Knast wandern?“, sagte Jimmy Halenius (Staatssekretär).

Zu ihrer eigenen Überraschung musste Annika lachen.

(Nobels Testament 305, zitiert nach dem Taschenbuch von 2008)

**

Unter den Ressortleitern entbrennt ein Streit, ob man von einer Frau mit zwielichtigen Geschäften Name und Bild veröffentlichen dürfe. „Warum sollten wir auf diese verdammte Sau Rücksicht nehmen?“, fragt einer. Anders Schyman, der Redaktionsleiter, antwortet:

Weil wir für die Wahrheit sind und nicht gegen den Verbrecher. Weil wir eine ethische und publizistische Verantwortung tragen, weil wir die Macht haben und das Vertrauen genießen, die Wirklichkeit für die Menschen in unserer Gesellschaft zu definieren. Wir werden unsere Macht nicht dazu benutzen, einzelne Personen zu vernichten, egal, ob es sich um Politiker oder Kriminelle oder Prominente handelt. In die Zeitung zu kommen ist nicht das Gleiche, wie in der Scheiße zu landen.

(Paradies 332f.)

Leser fragen zur Wulff-Affäre: Waren Journalisten übereifrig?

Geschrieben am 1. April 2013 von Paul-Josef Raue.

Lange hielt die Mehrheit der Deutschen Christian Wulff die Treue und kritisierte die Journalisten, sie organisierten eine Kampagne gegen den Präsidenten. Nachdem die Ermittlungen offenbar wenig ergiebig waren, schreibt ein Leser der Thüringer Allgemeine an den Chefredakteur:

Dabei habe ich noch nicht vergessen, mit welchem Eifer auch Ihre Leute hier bei der Sache waren.

Der Leser reagiert auf einen Bericht am 18. März: „Ermittlungen gegen Wulff sollen eingestellt werden“:

Wenn Herr Wulff tatsächlich wegen eines Freundschaftsdienstes in der Größenordnung von 800 Euro aus dem Höchsten Staatsamt gedrängt worden ist, so ist das eine tief beschämende Angelegenheit.

Den Leserbrief habe ich in meiner Samstags-Rubrik „Leser fragen“ beantwortet (30. März):

Sie haben Recht, wenn Sie den Ausgang der Ermittlungen gegen den früheren Bundespräsidenten Wulff eine „tief beschämende Angelegenheit“ nennen. Nur – für wen beschämend?

Zuerst für die Staatsanwaltschaft: Sie wusste, dass ein Ermittlungsverfahren gegen den Präsidenten seinen Rücktritt provozieren würde. Dabei hatte sie offenbar kaum Beweise und nur windschiefe Indizien.

Nun ist ein Oberstaatsanwalt, der die Ermittlungen anordnet, an Weisungen gebunden – im Gegensatz zu einem Richter, der völlig frei in seinen Entscheidungen ist. Der damals zuständige Justizminister Busemann in Hannover war ein Parteifreund von Christian Wulff, mit dem er in Niedersachsen sogar gemeinsam am Kabinettstisch gesessen hatte.

Die Staatsanwälte halten heute Christian Wulff immer noch verdächtig der „Bestechlichkeit bzw. Bestechung“, bieten aber gleichzeitig an, der Verdächtige könne sich schuldig erklären und freikaufen – wie in hunderttausend und mehr Fällen in jedem Jahr. Will Wulff seine Unschuld beweisen, lässt er es auf einen Prozess ankommen.

Sie suggerieren auch eine Mitschuld unserer Zeitung und offenbar der Journalisten insgesamt. In der Tat sind einige Medien übers Ziel hinausgeschossen, aber vergessen wir nicht Wulffs Halbwahrheiten vor dem Parlament in Hannover und zu seinen Krediten, die Erpressungs-Versuche gegen Journalisten und anderes mehr.

Dieser Präsident hat sich als Präsident moralisch ins Zwielicht gestellt. Es Aufgaben von Journalisten, dies fair zu berichten – ohne die Rolle des Richters einzunehmen; das ist eine andere Gewalt.

Der Anwalt des Staates täte jetzt gut daran, Wulff in Ruhe zu lassen und die Ermittlungen einfach zu beenden. Der Verlust des Amtes, der Ehefrau, des Seelenfriedens und eines Teils des Vermögens reichen als Strafe. Es ist genug.

Nach Thüringer Allgemeine vom 30. März 2013

Facebook-Kommentar von Super Illu-Chefreporter Gerald Praschl: „Treffend analysiert“

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