Alle Artikel mit dem Schlagwort " Die-Zeit"

Ohne seriösen Journalismus gerät unsere Demokratie ins Wanken (dapd-Interview 2)

Geschrieben am 4. August 2012 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 4. August 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Lokaljournalismus.

Wie beurteilen Sie die Lage und vor allem die Zukunft der Zeitungsbranche? Ist der Untergang nahe?
fragt Ulrich Meyer, Redakteur der Nachrichtenagentur dapd. Raue antwortet:

Wir fahren nicht auf der Titanic! Wir kennen unser Schiff, das stabil gebaut ist und schon einige Orkane überstanden hat. Wir kennen die Eisberge, auch ihre gefährliche Schönheit unterhalb der Oberfläche. Aber wir sind Opfer unserer Lust auf Untergang, Tragödie und Katastrophe. Wir lieben das Wort „noch“: Noch gibt es die Zeitung! Noch greifen die meisten zur gedruckten Zeitung! Noch schätzen viele Menschen anspruchsvollen Journalismus! Noch gibt es uns Journalisten und noch nicht nur Blogger! Noch, noch, noch.

Wir haben aber allen Grund, selbstbewusst zu sein: Ohne seriösen Journalismus, ohne Hunderte von Lokalzeitungen, „Zeit“ und „Spiegel“, gerät unsere Demokratie ins Wanken.

Was uns Sorgen macht, ist das Geschäftsmodell. Der Zeitungsmarkt wird ein reiner Lesermarkt, das heißt: Die Leser müssen immer mehr für unabhängigen Journalismus bezahlen. Nur – begeistern wir die Leser mit unserer Untergangs-Sehnsucht? Rauben wir uns nicht viel Kraft, wenn wir jammern statt handeln?

(zu: Handbuch-Kapitel 5 „Die Internet-Revolution“, darin Seite 26: Das Internet wirbelt die Märkte durcheinander)

Der lokale Teaser macht die Leser neugierig

Geschrieben am 31. Juli 2012 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 31. Juli 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Lokaljournalismus.

Der Teaser, so steht’s im Lexikon des Handbuchs, ist ein „Anschmecker“ oder eine „reißerische Vorankündigung“. Der neue Teaser-Trend ist: Ein Foto im Querformat mit einer integrierten Schlagzeile am Kopf der Titelseite – noch über dem Aufmacher. Die Zeit hat’s vorgemacht, die Stuttgarter Zeitung folgte und wurde dafür mit dem „European Newspaper Award“ ausgezeichnet, einige Regionalzeitungen machen es, darunter die Thüringer Allgemeine.

Für Regionalzeitungen ist es die Chance, opulent lokale „Anschmecker“ auf die Titelseite zu holen. Die Thüringer Allgemeine zeigt heute, also mitten im Sommerloch,  in 11 der 14 Ausgaben einen lokalen Teaser, etwa: Worbis wird 850 Jahre alt / Satellit fliegt mit Technik aus Ilmenau / Erster Kuss in Erfurt (zwei Giraffen im Zoo) / Eisenacher Stolpersteine.

Wir erfahren in Leserkonferenzen: Gut ein Drittel unserer Leser blättert die Zeitung von hinten durch. Diese Von-Hinter-Leser bestätigen: Wir bleiben stets auf der Titelseite hängen, was früher selten geschehen ist – zuerst bei den lokalen Promos, dann beim großen Bild, dem Teaser – vor allem wenn er ein lokaler ist.

Das Erfolgsrezept der lokalen Teaser: Gezeigt wird ein Bauwerk oder eine Landschaft, die ein Wahrzeichen der Stadt oder Region ist; zumindest muss in der Überschrift erkennbar sein: Das spielt sich in unserer Region ab (Name der Stadt oder Landschaft); und es sollten in der Regel Menschen zu sehen sein (oder, was offenbar immer attraktiv ist: Tiere).

Was die Leser verärgert: Ein reines Schmuckbild. Die Leser wollen einen größeren Beitrag im Lokalteil oder anderswo im Blatt zu dem Teaser lesen. Der Teaser muss relevant sein.

(zu: Handbuch-Kapitel Service-H „Lexikon journalistischer Fachausdrücke + 40 „Das Layout“ + 41 „Das Foto“ + 54 „Die neue Seite 1“ + 55 „Der neue Lokaljournalismus“

Neun Finger im Feuer

Geschrieben am 29. Juli 2012 von Paul-Josef Raue.
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Neue Bilder braucht der Redakteur. Aber auch Funktionäre haben Phantasie. Auf die Klischee-Frage, ob er für die Sauberkeit der deutschen Olympioniken die Hand ins Feuer lege, antwortete Ex-NOK -Chef Walther Tröger:

Ich lege neun Finger ins Feuer.

Ursula März über eine Frau, die in einer Internet-Börse einen Mann kennengelernt hatte:

Seine reale Erscheinung hatte mit seiner Selbstbeschreibung im Internet so viel zu tun wie der begrünte Mittelstreifen einer Autobahn mit den Gartenanlagen von Schloss Sanssouci.

(Quellen: Welt 28. Juli 2012 / Die Zeit 31/2012)

„Herr Schirrmacher, worüber regen Sie sich auf?“

Geschrieben am 29. Mai 2012 von Paul-Josef Raue.
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Es gehört zum Plan eines Interviews, dass der Interviewer fragt und der Gast antwortet. Ein FAZ-Herausgeber wechselt die Seiten, wird gefragt, worüber er sich aufrege – und antwortet mit einer Frage: „Das ist die erste Frage? Überraschend.“

Überraschend ist: Eine Frage als Antwort. Der Journalist, der sonst die Fragen stellt, kommt aus seiner Rolle nicht heraus. Er akzeptiert den Seitenwechsel nicht: Katrin Göring-Eckhardt, Grüne und Bundestags-Vizepräsidentin, stellt im Zeit-Interview die Fragen, zwei Journalisten antworten (neben Schirrmacher der Zeit-Chefredakteur di Lorenzo).

Zudem: Die Antwort bleibt auch in der autorisierten Fassung stehen. Es ist kaum anzunehmen, dass die Politikerin die vorläufige Druckfassung des Interviews geschrieben hat; da wird ein Redakteur geschrieben und der Chefredakteur die Regie geführt haben.

Und: Was meint Katrin Göring-Eckardt, wenn sie auf Schirrmachers Frage hin feststellt: „Das war der Plan.“ War so die Absprache? Und selbst wenn es so ist: Warum steht es so in der autorisierten Fassung? Und warum wird das Spiel dem Leser nicht näher erklärt?

Aber: Trotz (oder gerade wegen) des überraschenden Einstiegs lohnt die Lektüre des drei Seiten langen Interviews „Am Medienpranger“ (Die aktuelle Zeit 15 vom 24. Mai 2012, Dossier).

(zu: Handbuch-Kapitel 26 „Das Interview“)

Volo-Werkstatt mit Wolf Schneider: Besser schreiben!

Geschrieben am 15. Mai 2012 von Paul-Josef Raue.
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In der aktuellen Zeit (33/2012) findet jeder Volontärsausbilder eine exzellente Grundlage für eine Sprach-Werkstatt: Eine Deutsch-Stilkunde in 20 Lektionen von Wolf Schneider: „Zählen wir die Silben“ oder „Geizen wir mit Adjektiven“ oder „Mit Satzzeichen Musik machen“.

So  könnte die Werkstatt über ein halbes Jahr arbeiten: In jeder Woche gilt es, eine Regel besonders zu beachten, gute und schlechte Beispiele aus der eigenen Zeitung, den eigenen Texten und anderen Blättern zu notieren.  Nach dem halben Jahr wird sich die sprachliche Qualität der Texte deutlich verbessert haben.

Wer noch intensiver arbeiten will, dem sei Wolf Schneiders Taschenbuch „Deutsch fürs Leben“ empfohlen – mit 50 Regeln, die für eine Jahres-Werkstatt reichen.

Bitte: Mailen Sie mir bitte gelungene und missratene Sätze aus Zeitungen und Magazinen, die Sie in ihren Werkstätten entdecken – an:

PJ@raue.it

 
(zu Handbuch-Kapitel 11-16  „Schreiben und Redigieren“)

Wir brauchen eine neue Journalisten-Ausbildung!

Geschrieben am 27. März 2012 von Paul-Josef Raue.

„Die gängige Rekrutierungs-Praxis ist Geldvernichtung!“, sagte Jens Schröter, Leiter der Burda-Journalistenschule, als sich im vergangenen Jahr Journalisten-Ausbilder mit Wissenschaftlern in der Leipziger „School of Media“ trafen. Was hat sich in den Regionalzeitungs-Verlagen getan?  Am Freitag (30. März 2012) diskutieren beim „Forum Lokaljournalisten“ in Bremerhaven vier Journalisten über neue Formen der Ausbildung, moderiert von Sylvia Egli von Matt, der Direktorin der Schweizer Journalistenschule – zu verfolgen ab 9 Uhr morgens als Livestream bei www.drehscheibe.org

Warum bringt die gängige Rekrutierung unserer Volontäre wenig für die Zukunft der Redaktionen?
Die Volontäre werden meist durch die Ausbildung unterfordert. Sie waren freie Mitarbeiter, kennen den Alltag der Redaktionen; so bringt es wenig, sie im Volontariat dieselben Routinen noch einmal durchlaufen zu lassen.

Was sollte im Volontariat der Zukunft geschehen?
1. Die Volontäre sollen systematisch und fundiert die journalistischen Grundlagen so lernen, dass sie diese am Ende der Ausbildung im Schlaf beherrschen.

2. Die Ausbilder erkennen, entwickeln und fördern schon in der Ausbildung die individuellen Stärken (wie Führung, Lust am Management, Organisations-Talent, Online-Stärken, Recherche-Hartnäckigkeit, Leser-Marketing usw.) – um so auch die Führungskräfte für die Redaktion der Zukunft zu erkennen.

3. Der Nachwuchs arbeitet überwiegend in Projekten, aber immer wieder auch in den Lokalredaktionen, um den Respekt vor den Lesern nicht zu verlieren und keinen Dünkel zu entwickeln. Solche Projekte könnten sein: Entwicklungs-Redaktion für eine Zweit- oder Kompakt- oder Online-Zeitung oder ein Magazin; eine große Serie; Muster-Berichterstattung etwa für Haushaltsplan, Wahlen usw.; eine tiefe Recherche; eine Marketing-Kampagne; Online-Entwicklungen jeder Art; Datenjournalismus u.ä.

4. Volontäre werden eingeführt in unternehmerisches Denken und vertraut mit der Vermarktung von journalistischen Produkten; sie lernen, dabei unbedingt den Marken-Kern der Zeitung – Qualität und Glaubwürdigkeit – zu bewahren. Beim „Forum Lokaljournalismus“ 2011 formulierte Bart Brouwers, Online-Chef der niederländischen Zeitung „Telegraaf“ die These:

„Wir Journalisten müssen auch geschäftlich denken. Es gibt nicht mehr das eine große Geschäftsmodell wie bei der Tageszeitung. Ein Mix aus vielen Geschäftsmodellen muss den Umsatz bringen.“ (Handbuch: Seite 39)

Beim Symposium in Leipzig sagte es Wolfgang Blau, Online-Chef der „Zeit“, ähnlich: Wir brauchen Journalisten mit unternehmerischer Ader! Dünkelhaft ist die alte Denkart: Wir haben nichts mit Umsätzen zu tun!

Wie ist die neue Ausbildung geordnet?
Am Beginn jeder Phase steht ein drei- bis fünftägiges Camp, zum Beispiel ein „Boot-Camp“, von dem Jens Schröter in Leipzig berichtete – auch auf die Frage eingehend, wie Personalentwicklung messbar sein könnte. In einer Woche dringen die Volontäre tief in die Online-Welt tief ein (Facebook, Twitter, Blog, Online-Technik, Community-Management u.ä.). Nach einem Jahr gibt’s eine Inventur: Welche Erfolge können sie verzeichnen? Wie viele Follower? Vielleicht ein eigener Blog? Ihre Fortschritte, Erkenntnisse und Fragen tragen die Volontäre in ein Wiki ein, das für jeden Burda-Mitarbeiter einzusehen ist.

Ich könnte mir noch folgende Camps vorstellen: Recherche-Camp; Datenjournalismus; Sprach-Camp, Management-Camp; Leser- und Markenforschung usw.

Wir sollten uns bei der neuen Volontärs-Ausbildung von Online-Entwicklern leiten lassen, die nicht lange Konzepte schreiben: Einfach beginnen, einfach experimentieren – dem Grundsatz folgend: Wir erlauben uns Fehler; aber wir verbieten, daraus nicht zu lernen.

(zu: Handbuch-Kapitel 58 „Die Ausbildung zum Redakteur“)

Aktualisiert: Die Diskussion moderierte Barbara Stöckli (MAZ) für die erkrankte Egli von Matt

Presserabatte und Schnäppchenjäger

Geschrieben am 24. Januar 2012 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 24. Januar 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, PR & Pressestellen, Presserecht & Ethik.

„Eine der wichtigsten Aufgaben von Journalisten ist es, Sachverhalte auch moralisch zu bewerten. Aber wer bewertet eigentlich die Moral der Journalisten?

Man kann verstehen, wenn das Publikum in diesen Tagen gleich doppelt genervt ist: vom Staatsoberhaupt, das sich ans Amt klammert. Und von Journalisten, die nun »enthüllen«, dass die Präsidentengattin zu bestimmten Anlässen kostenlose Abendgarderobe trug – als ob die Medien nicht selbst ein Problem mit Presserabatten und Schnäppchenjägern hätten. Journalisten werfen Politikern ja gern so etwas wie Volksverdummung vor. Aber leider tragen die Medien manchmal genau dazu bei.“

(Marc Brost in „Die Zeit“ vom 12.  Januar „Die Machtprobe“)

 

zu: Handbuch-Kapitel 49 „Wie Journalisten entscheiden sollten“

Seiten:«1234

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