Alle Artikel der Rubrik "Aktuelles"

„Nachvollziehen“ auf dem Friedhof der Wörter

Geschrieben am 5. März 2012 von Paul-Josef Raue.

Wie muss man sich die „nachvollziehbare Möglichkeit eines Beischlafs“ vorstellen? So stand es in einem Zeitungsbericht über eine Gerichtsverhandlung; der TA-Leser Heinz-Ulrich Görwitz aus Berka hat es ihn entdeckt.Er schreibt: „Kommt man da nicht auf den Gedanken, dass die Herren Rechtsgelehrten diesen besagten Beischlaf genüsslich virtuell nachvollzogen haben?“

„Nachvollziehen“ ist für den 89-jährigen Leser ein Unwort, zu begraben auf dem „Friedhof der Wörter“. Dort gehört es hin, in der Tat. Doch wir kommen an dem Wort in seiner eigentlichen Bedeutung nicht vorbei.

Gerade Richter müssten es wissen: Sie kennen den Vollzug als Kurzform für den Strafvollzug; der Vollzugsbeamte erscheint regelmäßig in den Gerichtssälen; sie erwarten eine Vollzugsmeldung, um zu erfahren, dass etwas, was sie angeordnet haben, auch wirklich „vollzogen“ wurde.

„Vollziehen“ bedeutet schlicht: machen. Der große sechsbändige Duden übersetzt es: „etwas verwirklichen, in die Tat umsetzen, ausführen“. So führt beispielsweise der Gerichtsvollzieher aus, was ein Richter angeordnet hat.

Nachvollziehen ist eine unsinnige Erweiterung von „vollziehen“ und kann nichts anderes bedeuten als: nachmachen, etwas kopieren. Das Modewort „nachvollziehen“ hat die Bedeutung ins Undeutliche verschoben und meint: nachempfinden, nachfühlen, einsehen, verstehen, kapieren, sich klar machen.“

„Ich kann das Attentat nicht nachvollziehen“, sagt ein Politiker. Wir hätten es ihm auch nicht zugetraut.

(Diese Kolumne erscheint, leicht verändert, in der Thüringer Allgemeinen vom 5. März 2012)

(Zu: Handbuch-Kapitel 16  „Lexikon unbrauchbarer Wörter“.)

 

Wie bekommen Abgeordnete Stoff für ihre PR-Meldungen?

Geschrieben am 5. März 2012 von Paul-Josef Raue.

Bundesarbeits-Ministerin von der Leyen (CDU) informiert Abgeordnete der Regierungs-Fraktionen exklusiv mit Meldungen über Projekt in ihrem Wahlkreis. Thomas Öchsner berichtet darüber in der Samstagausgabe der Süddeutschen Zeitung (Wirtschaft, Seite 23).

Lokalredaktionen kennen die Mails oder Faxe: Der Abgeordnete teilt mit, dass er sich besonders eingesetzt habe für die Förderung einer Arbeitslosen-Initiative; wie er vertraulich erfahren habe, werde sein Einsatz belohnt und der Bescheid in den nächsten Wochen versandt. Die Redaktionen drucken es ab, meist ohne weiter zu recherchieren – oder geraten in den Zorn des Abgeordneten, wenn sie die Pressemitteilung nicht bringen.

Wie die Informationen in Berlin laufen, ahnen die Redakteure; die SZ zitiert ein internes Schreiben, das zeigt, wie es wirklich läuft:

  • Steht eine Förderung kurz vor der Bewilligung, sucht die Fachabteilung heraus, ob das Projekt im Wahlkreis eines CDU-, CSU- oder FDP-Abgeordneten liegt.
  • Für die Informationen gibt es zwei Muster-Schreiben.
  • Die Fachabteilung informiert den zuständigen parlamentarischen Staatssekretär unmittelbar per Mail, „d.h. nicht auf dem Dienstweg“.
  • Der Staatssekretär informiert den Abgeordneten möglichst schnell, damit der Abgeordnete vor der Projekt-Bewilligung Bescheid weiß.

 

(zu: Handbuch-Kapitel 55 „Der neue Lokaljournalismus“ + 57 „Wie können Zeitungen überleben“)

Der Fehler-Eisberg

Geschrieben am 29. Februar 2012 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 29. Februar 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Presserecht & Ethik, Recherche.

Wie viele Fehler korrigiert die „New York Times“ in einem Jahr? 3500 in der Zeitung und weitere 3500 in der Online-Ausgabe – doch das sei höchstwahrscheinlich nur ein Bruchteil der Fehler, die tatsächlich vorkommen,  schreibt Arthur S. Brisbane in „The Error Iceberg“ (in der Sonntagsausgabe der New York Times“ vom 25. Februar 2012).

Die „New York Times“ bezahlt laut Brisbane einen eigenen Redakteur, der sich nur um Fehler und Korrekturen kümmert: Der erfahrene Blattmacher Greg Brock. Er schätzt, dass die Times im Jahr rund 14.000 Hinweise auf Fehler erhält. So ist die Korrektur in der Zeitung organisiert:

• Beschwerden über Fehler werden an 34 ausgesuchte Blattmacher (Editors), Korrektur-Redakteure in den Ressorts, weitergeleitet.
• Offensichtliche Fehler werden sofort korrigiert.
• Widersprechen Reporter, Blattmacher und Korrektur-Redakteur, muss Brock entscheiden.
• Sieht es so aus, als habe die Redaktion einen Fehler gemacht, aber nicht herausbekommt, was richtig ist, gibt es keine Korrektur.
• Manchmal, wenn ein großes Durcheinander herrscht, leitet er eine Entscheidung an einen stellvertretenden Chefredakteur weiter.
• Brock bedient eine Datenbank, um zu erkennen, welche Ressorts und welche Journalisten auffällig oft Fehler machen.

Arthur S. Brisbane endet seinen Essay: „Es ist schwer zu sehen, wie viel vom Fehler-Eisberg wirklich sichtbar ist. Aber sicher ist: Je mehr Korrekturen man in der „New York Times“ sieht, desto besser.“

(Den Hinweis auf diesen Artikel gab Andreas Kemper, Leitender Redakteur der „Main Post“, auf seiner Facebook-Seite)

Über Fehlermanagement in Zeitungen berichtet auch Henning Noske im zweiten Teil des Interviews zu seinem Journalismusbuch, den wir am 15. Februar hier veröffentlichten.

*

In der aktuellen Ausgabe unseres „neuen Handbuchs des Journalismus und des Online-Journalismus“ haben wir einen langen Passus über Fehler in den Zeitungen aufgenommen (Seite 96):

„Die Hälfte aller Artikel sind fehlerhaft, fand Professor Philip Meyer heraus, der an der Universität von North Carolina forscht. Über zwei Jahre ließ er 7600 Artikel von 22 US-Zeitungen überprüfen und stellte fest:

• 48 Prozent der Artikel irrten sich in mindestens einem Fakt; durchschnittlich fielen drei Fehler auf.
• Die häufigsten Fehler: Zitat falsch wiedergegeben (21 %), ungenaue Überschrift (15 %), falsche Zahlen (13 %), Rechtschreibfehler (10 %).
• Die Redakteure gaben als Grund für ihre Fehler an: Ich habe die Sache nicht verstanden (26 %); ich habe nicht genügend oder falsche Fragen gestellt (25 %); der Redaktionsschluss drohte (19 %); meine Recherche war lückenhaft (19 %), oder einfach: Ich war zu faul (10 %).

Eine ähnliche Studie in Lugano zeichnet ein noch düstereres Bild: 60 Prozent der Artikel in Schweizer Zeitungen, darunter Tages-Anzeiger und Basler Zeitung, sowie 52 Prozent in italienischen, darunter Il Secolo, weisen Fehler auf. In beiden Ländern ist jede vierte Überschrift falsch, ein fast doppelt so hoher Wert wie in amerikanischen Zeitungen.

Fehler sind an der Tagesordnung, stellten auch Studenten in Hamburg und im holländischen Tilsit fest, als sie größere Artikel systematisch untersuchten. Als Grund machten sie neben Zeitdruck und fehlenden Ressourcen auch die trügerische Leichtigkeit der Internet-Recherche aus.“

(zu: Handbuch-Kapitel 17 „Die eigene Recherche“)

„Schweinejournalismus“

Geschrieben am 28. Februar 2012 von Paul-Josef Raue.

So nannte Jürgen Trittin den Vorwurf der „taz“ über Joachim Gauck, er habe den Holocaust verharmlost – zu sehen in Maybrit Illners Talkshow am 23. Februar. Das Wort prägte wohl Oskar Lafontaine. 1995 schrieb Hans-Werner Kilz, einst Chefredakteur von  „§piegel“ und „Süddeutscher Zeitung, im immer noch empfehlenswerten „Spiegel Spezial“ über Journalisten:

„Lafontaine und andere Mitglieder der saarländischen Landesregierung gerieten in Verdacht, sich zu eng mit Saarbrücker Kiez-Größen eingelassen zu haben. Diesem Umstand verdankt die Öffentlichkeit eine Lafontaine-Wortschöpfung, die das Berufsfeld der Medienschaffenden um eine neue Gattung bereichert – den „Schweinejournalismus“. Falsches stand nicht in den Blättern, nur Unangenehmes.

Doch seitdem denkt der Sozialdemokrat darüber nach, was er als Politiker gegen verwilderte Sitten im Journalismus tun kann, jedenfalls dort, wo er bestimmen kann. Und natürlich ist ihm etwas eingefallen: Das Saarland hat seit einigen Monaten ein neues, schärferes Pressegesetz, von dem der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Ernst Benda, sagt, daß damit „an der Freiheit der Presse genagt“ werden soll.

Nun muß nicht alles, was dazu gedacht ist, böse Journalisten zu zügeln, gleich als Attentat auf die Pressefreiheit empfunden werden. Auch Journalisten sündigen. Doch wenn Oskar Lafontaine überlegt, „wie der investigative Journalismus in seine ethischen Schranken zurückverwiesen werden kann“, ist Vorsicht geboten. Da fühlen sich Rechercheure und Autoren bei anderen besser aufgehoben.

Geht es nach dem Saarländer, werden Zeitungen künftig nach politischen Enthüllungen maßlos lange Gegendarstellungen drucken müssen, die sowieso schon ohne Rücksicht auf den Wahrheitsgehalt abgefaßt werden können. Ein erläuternder Zusatz der Redaktion ist an gleicher Stelle nicht erlaubt.“

Dies  saarländische Pressegesetz wurde vom Bundesverfassungsgericht kassiert.

Wie lange brauchen wir noch Journalisten?

Geschrieben am 24. Februar 2012 von Paul-Josef Raue.
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„Sind Sportredakteure wirklich notwendig?“, fragte Businessweek vor zwei Jahren und druckte drei Meldungen über ein Baseball-Spiel ab: Zwei waren von Redakteuren geschrieben, eine von einem Computer der Software-Firma „Narrative Science“, die 2010 in Chicago gegründet wurde. Die drei Meldungen unterschieden sich kaum.
Mittlerweile schreibt der Computer, ohne Hilfe von Journalisten, nicht nur Sportberichte, sondern auch Wirtschaftsnachrichten, Zusammenfassungen von Artikeln, Überschriften oder Tweets.

Für Meldungen und lange Texte braucht der Computer Daten, also statistisches Material. Journalistik-Professoren der Northwestern-Universität in Chicago haben zusammen mit Programmierern die Software erstellt: Wie macht man aus Zahlen einen Text, wie ihn ein Journalist schreiben würde?

Wired stellte den Computer in der Neujahrs-Ausgabe vor als eine von 25 großen Ideen für 2012. Zitiert wird Stuart Frankel, der Vorstand von „Narrative Science“: „Wir können zwanzig Prozent des Inhalts einer Zeitung automatisch produzieren.“

Die Wirtschafts-Magazin Fast Company hatte im November einen Artikel gedruckt mit der Überschrift: „This article was not written by a computer“. Zu lesen war: Ein 500-Wörter-Beitrag, produziert von der Software, kostet gerade mal zwei Cent pro Wort.

Stuart Frankel sieht in seiner Maschine nicht nur Vorteile für die Verlage, sondern auch für die Journalisten: Sie bekommen mehr Zeit für Recherchen.

In dieser Woche berichten über „Narrative Science“ Fridtjof Küchemann in der FAZ (22. Februar) sowie kress.de und turi2.de.

(zu: Handbuch Kapitel 5 „Die Internet-Revolution“ und Kapitel 4 „Was Journalisten können sollten“)

Die „Braunschweiger Zeitung“ will lokalen Rundfunk machen

Geschrieben am 23. Februar 2012 von Paul-Josef Raue.
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Über die Wandlung eines klassischen Zeitungsverlags zum Medienhaus erzählt Harald Wahls, Geschäftsführer der Braunschweiger Zeitung, in einem Interview mit David Mache, erschienen in der Beilage „65 Jahre Innovation“, in dem die BZ ihren neuen Internetauftritt vorstellt.

In diesem Jahr will sich die Braunschweiger Zeitung laut Wahls um eine lokale Rundfunklizenz bewerben für die Region zwischen Wolfsburg und Goslar; er denkt auch an ein lokales Fernsehprogramm.

Den neuen Internet-Auftritt hat Lukas Kircher gestaltet.

 

(zu: Handbuch-Kapitel 57 „Wie können Zeitungen überleben“)

Polemik gegen Gauck im Netz: Tausendfaches Rülpsen

Geschrieben am 23. Februar 2012 von Paul-Josef Raue.
5 Kommentare / Geschrieben am 23. Februar 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Online-Journalismus, Presserecht & Ethik.

Er hat mich betrogen, brach es aus Marianne heraus, der Ex-Ehefrau eines US-Präsidentschafts-Kandidaten. Im Fernsehen erzählt sie, ihr Ex-Ehemann habe seine Geliebte in ihr gemeinsames Washingtoner Schlafzimmer gelockt, als sie verreist war.

So garstig laufen in den USA die Wahlkämpfe vor einem ebenso neugierigen wie entrüsteten Publikum. Die Wähler sind anders gestimmt als im ruhigen Deutschland: Wer sich im Schlafzimmer daneben benimmt, der kann das Land nicht regieren. Das Privatleben ist der Test für das politische Wirken.

So tief sind wir in Deutschland nicht gesunken, selbst wenn nach den Wulff-Affären viele den Eindruck haben: Das Privatleben der Politiker ist für die großen Medien kein Tabu mehr.

Das frühere Leben der Wulff-Gattin war kein Zeitungs-Thema; zum Thema machte es der Ex-Präsident selber im TV-Interview. Im Internet gab es Zigtausende von Einträgen, in den Tagebüchern der Boshaftigkeit.

Selbst tausendfaches Rülpsen im Internet vergiftet nicht die öffentliche Debatte – wenn es nicht die seriösen Blätter oder TV-Sender aufgreifen. Das Internet ist für sich allein keine öffentliche Macht.

Joachim Gauck war der Liebling im Internet – bis zur Minute seiner Nominierung. Plötzlich wird er in den Online-Tagebüchern zerrupft mit verkürzten Zitaten und tölpelhaften Anwürfen. In 140-Twitter-Zeichen kann man pöbeln, aber eben nicht argumentieren.
(Leitartikel der Thüringer Allgemeine, 23. Februar 2012)

(zu: Handbuch-Kapitel 5 „Die Internet-Revolution“)

„Die Journalisten bekommen ihr Gehalt eigentlich vom Leser“

Geschrieben am 23. Februar 2012 von Paul-Josef Raue.

„Ein Problem in der Summe der im Internet kursierenden Informationen ist ja, das vieles nicht stimmt. Es gibt moderne Märchen, die sich imInternet schnell verbreiten“, sagt WAZ-Geschäftsführer Christian Nienhaus (52) im Interview mit BZ-Chefredakteur Armin Maus. „Der Nutzer muss sich genau ansehen, aus welcher Quelle die Informationen stammen, und er braucht die Sicherheit, dass Informationen aus unseren Medien verlässlich sind.

Zu lesen ist das auführliche Interview in der Beilage „65 Jahre Innovation“, in dem die Braunschweiger Zeitung ihren neuen Internetauftritt vorstellt.

Nienhaus plädiert, besonders auf die Glaubwürdigkeit im Journalismus zu achten:

„Was als journalistischer Beitrag gekennzeichnet ist, darf niemals parteiisch und gefärbt oder den wirtschaftlichen Interessen anderer untergeordnet sein… Die Pflicht zur guten Recherche, zu ordentlicher, sauberer Arbeit und vor allen Dingen zur Bekämpfung der eigenen Vorurteile gehören zum freien Journalismus.
Aber der Verlag muss eine Brandmauer errichten, um die Interessen der von uns ebenfalls geschätzten Anzeigenkunden deutlich abzutrennen.“

Die Kernleistung der Zeitungen ist für Nienhaus das Lokale und Regionale:

„Man kann Synergien auf allem möglichen Feldern schaffen, aber muss vor Ort aktiv mit eigenen Journalisten tätig sein. Wir brauchen in den Städten der Region Journalisten, die unabhängig sind, die unabhängig von Interessengruppen schreiben, ob die Haushaltsrede des Bürgermeisters im Stadtrat ordentlich war oder nicht, und ob der Sportverein gut gespielt hat, und ob die Sanierung der Fußgängerzone vernünftig von statten geht, oder wo zu viele Baustellen sind.
Das alles sind Dinge, die man nicht über Blogs im Internet, mit staatlichen Pressestellen und interessengesteuerten Einträgen organisieren kann. Da braucht man eine Instanz, von der man weiß, dass sie unabhängig ist. Die Journalisten bekommen ihr Gehalt eigentlich vom Leser, sind deswegen nur dem Leser verpflichtet. Guten kritischen Journalismus – den wird es auch in 35 Jahren geben.“

(zu: Handbuch-Kapitel 55 „Der neue Lokaljournalismus“ und Kapitel 49 „Wie Journalisten entscheiden sollten“ und Kapitel 3 „“Warum die Gesellschaft bessere Journalisten braucht“)

Rücktritt nach Redaktionsschluss: Wie es der „Spiegel“ machte

Geschrieben am 21. Februar 2012 von Paul-Josef Raue.

Ein Meisterstück präsentierte der „Spiegel“, der wegen des Rosenmontags schon am Samstag erschien: Als Wulff seinen Rücktritt erklärte, wurde die aktuelle Ausgabe schon gedruckt mit dem Titel „Der unvermeidliche Rücktritt“. Gleichwohl negert die Redaktion nicht, tut nicht so, als habe sie seinen Rücktritt erlebt (was ja gewaltig ins Auge gehen kann). Wer den glänzend geschriebenen Aufmacher liest, liest ihn mit dem Wissen des tatsächlichen Rücktritts; aber an keiner Stelle arbeitet die Redaktion unsauber, sie spricht nur von der Möglichkeit und Unvermeidlichkeit des Rücktritts. Eine Lehrstunde des Konjunktivs!

„Focus“ brachte auf dem Titel zwar auch etwas über Trennung und Abschied, aber nichts über Wulff: „Die 25 härtesten Scheidungstricks“.

Die Bundestags-Wochenzeitung „Das Parlament“ wurde vom Rücktritt offenbar kurz vor Redaktionsschluss überrascht. Sie brachte zwei Titelseiten: Die eigentliche zum Rücktritt „Bellevue sucht Nachmietert“; die dritte Seite zeigte die ursprünglich produzierte Titelseite zur EU: „Schluss mit den Zweifeln!“

 

 

Wulffs Staatsanwalt: Ich will meinen Namen nicht in der Zeitung lesen

Geschrieben am 21. Februar 2012 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 21. Februar 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Presserecht & Ethik.

Den Namen des Staatsanwalts in Hannover, der die Aufhebung der Immunität Wulffs beantragte, nennt der „Spiegel“ nicht in der aktuellen, schon am Samstag erschienenen Ausgabe – mit dem Hinweis: „Dieser Mann ist seit nicht einmal einem Vierteljahr auf seinem Posten. Er ist Oberstaatsanwalt, seinen Namen will er nicht in der Zeitung lesen.“

Am Samstag, als der „Spiegel“ erscheint, schreibt die Süddeutsche ein Porträt über Clemens Eimterbäumer – mit Foto.

Die FAZ bringt das Eimterbäumer-Porträt erst am Montag, eingeleitet mit dem Satz: „Noch zur Wochenmitte hatte Clemens Eimterbäumer großen Wert darauf gelegt, dass zum Schutz seiner Famili sein Name nicht genannt werde – Ende der Woche aber gab die hannoversche Staatsanwaltschaft dem Drängen der Medien nach.“

 

(zu: Handbuch-Kapitel 50 „Presserecht“)

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