Ramelow & Co: Leser beklagt eine „Angst- und Verunglimpfungs-Kampagne“
Ein Leser der Thüringer Allgemeine (TA) schreibt:
Ich bin kein Linker, ich bin ein SPD-Anhänger. Wie können Sie es zulassen, dass gegen Rot-Rot-Grün und Herrn Ramelow die Angst- und Verunglimpfungskampagne weitergeht?
Selten war eine Regierungsbildung so heftig diskutiert wird die Rot-Rot-Grüne in Thüringen, die seit Wochen Öffentlichkeit wie Zeitung umtreibt mit Debatten über den Unrechtsstaat DDR und die Last der Diktatur auf den Schultern der Gegenwart überhaupt. Aktueller Anlass für den Leser war ein Foto auf der Titelseite am Montag nach dem Mauerfall-Jubiläum: Es zeigt die Erfurter Domplatz-Demonstration, auf der sich viertausend Bürger mit Kerzen in den Händen gegen die rot-rot-grüne Koalition wandten. Der Leser wollte lieber über die Feiern zum Mauerfall-Jubiläum auf der Titelseite lesen und folgert: „Mit dieser eindeutig parteilastigen Berichterstattung machen Sie die TA zum Sprachblatt der CDU.“
In der Samstag-Kolumne „Leser fragen“ antwortet der Chefredakteur:
Der Vorwurf der „Angstmache- und Verunglimpfungskampagne“ geht an die Ehre eines Journalisten – denn unser Ehrenkodex bestimmt: „Die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse.“ Das bedeutet:
Wir schauen bei den Mächtigen genau hin, also auch bei denen, die zu den Mächtigen aufsteigen wollen – dabei interessiert uns keine Partei. Würden wir anders handeln, wären wir wirklich ein Parteiblatt. Wir geben allen eine faire demokratische Chance, wie Sie es fordern: Darum beobachten wir die Politiker, wenn möglich auf Schritt und Tritt. Das ist unsere Aufgabe.
Wir dürfen auch nicht wegschauen: Das Unterdrücken von Nachrichten missachtet das Recht der Leser, sich selber eine Meinung zu bilden. Ob eine Nachricht, eine Diskussion, eine Affäre oder ein Skandal einem Politiker oder einer Partei schadet oder nutzt, das entscheidet der Wähler. Wir liefern nur die Informationen und regen zur Meinungsbildung an.
Den Vorwurf, ein Parteiblatt von SPD oder Linken zu sein, bekamen wir in den vergangenen Jahren von der CDU und CDU-Wählern, als wir die Affären von Zimmermann bis Gnauck aufgedeckt und ausführlich berichtet hatten. Wir machen eben keine Affären, wir berichten über sie. Angst und Verleumdung ist nicht unser Geschäft.
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Thüringer Allgemeine 22. November 2014
Wenn ein Fehler, der hinten im Blatt steht, vorne korrigiert wird
Heute feiert Gerhard Schröder seinen 70. Geburtstag. „Am 7. April 1944 ist Gerhard Fritz Schröder geboren“, so stand es auch korrekt im SZ-Wochenend; allerdings stand wenige Zeilen zuvor: „An diesem Sonntag wird Gerhard Schröder 70“. Da hatte einer Sonntag und Montag verwechselt.
Also kommt die Korrektur in derselben Ausgabe der SZ auf der Leserbrief-Seite. Der Leser ist verwirrt: Warum korrigieren die Redakteure den Fehler nicht an Ort und Stelle?
Der Grund ist einfach: Das „Wochenend“ wird im Vordruck erstellt, liegt also den Redakteuren schon am Freitag gedruckt vor – und da hat einer den Fehler entdeckt. Ob der Leser das verstehen kann, wenn die Redakteure ihm das nicht erklären?
Wie viel Veränderung verträgt eine Zeitung?
Verändere bei erfolgreichen Sendungen nie mehr als zwanzig Prozent auf einmal!
Sandra Maischberger über das Fernsehen in einem SZ-Interview (21. Januar 2013). Dies dürfte auch für Tageszeitungen gelten; wahrscheinlich sind selbst 20 Prozent zu viel, da Zeitungsleser konservativ sind und schon kleine Veränderungen als nicht notwendigen Eingriff in ihre Gewohnheiten ansehen. Eine Reihe von Zeitungen hat bei einem großen Relaunch sowohl Abonnenten in überdurchschnittlich hoher Zahl als auch Vertrauen verloren.
Ich erinnere mich an die Frage eines Verlegers: „Herr Raue, waren machen wir einen teuren Relaunch, wenn wir viele treue Leser verlieren oder zumindest verärgern und kaum neue Abonnenten, erst recht keine jungen gewinnen?“
KOMMENTARE (Facebook) am 21. Januar 2014
TA-Leser Wolfgang Jörgens aus Sophienhof:
Mit den Veränderungen ist das so eine Sache. Was wünschen die Leser, die Kunden? Was macht das Lesen einer Tageszeitung so interessant, dass Abo-Kunden gewonnen und nicht abgängig sind? Denn Geld spielt ja auch hier keine untergeordnete betriebswirtschaftliche Rolle.
Der Leser kommt auf einer ganzen Seite zu Wort. Das ist gut, könnte aber noch besser werden. Die Tageszeitung müsste manchmal, auch als Veränderung, sehr kritische Fragen der Leser aufgreifen. Nicht nur auf der Leserseite, sondern auch im zentralen Teil. Wo möglicherweise auch mal ein Politiker zu Wort kommen sollte.
Paul-Josef Raue
Lieber Herr Jörgens, die meisten Leserbriefe stellen keine sehr kritischen Fragen, sondern sind Beispiele einer tief sitzenden Verdrossenheit gegenüber den Politiker oder gar gegenüber der Demokratie. Leider.
Ein Leser ist empört, weil sein Brief über das Versagen der Politik gekürzt wurde
„Es ist zum Kotzen!“ schreibt ein Leser über Politiker und ihre Politik – und beschwert sich darüber, dass die Redaktion diesen Ausspruch und andere Sätze mehr gekürzt hat in seinem rund 3500 Zeichen langen Leserbrief:
„Ich muss unterstellen, dass der Inhalt aus Gründen eben der Political Correctness absichtlich „entschärft“ wurde, so wird z. B. keiner der Namen aktiver Politiker, um die es in meiner Zuschrift ging, nach der Kürzung noch erwähnt. Das, was vom eigentlichen Anliegen übrigblieb, war nicht nur gleich Null.
Der veröffentlichte Rest erscheint, da aus dem Kontext gerissen, banal bis albern, so dass ich mich dafür schäme, dass mein Name darunter steht. Ein weiterer Grund, diese kastrierte Zuschrift zu veröffentlichen, mag evtl. Ihrerseits der Zwang sein, einen noch leeren Platz auf der Leserseite zu füllen.
Das war in der Thüringer Allgemeine die Antwort des Chefredakteurs:
Sehr geehrter Herr Richter,
ich bin nicht erbost, möchte mich aber bei Ihnen noch unbeliebter machen: Mir ist diese Art von Kritik an unseren Politikern zu billig.
Sie schreiben in den nicht abgedruckten Teilen Ihres Briefes zum Beispiel über die SPD-Generalsekretärin Nahles:
„Eine Frau, die noch nie etwas anderes getan hat, als auf Beratungen und Konferenzen rumzusitzen, weil gar nicht, was Verantwortung heißt, geschweige denn hat sie jemals welche tragen müssen.“
Woher wissen Sie das, Herr Richter? Haben Sie schon einmal einen Tag mit der Politikerin verbracht?
Über Carsten Schneider schreiben Sie in Ihrem Brief:
„Ihn qualifiziert eine Lehre als Schalterbeamter in einer Bank und einigen angelesenen Binsenweisheiten, die jeder Zeitungsleser auch in Talkshows vortragen könnte.“
Was haben Sie gegen einfache Bürger wie „Schalterbeamte“? Schadet es unserer Demokratie, wenn sie im Parlament sitzen? Wollen wir nur Professoren und hochbezahlte Manager im Parlament, um die Finanzkrise zu bewältigen?
Wie gesagt: Populistischen Ausbrüche sind mir zu billig, politische Korrektheit hin oder her. Ich frage dagegen: Machen wir nicht unsere Demokratie verächtlich, wenn wir alle Politiker verspotten?
Ich bin überzeugt: Wir stärken unsere Demokratie, wenn wir unsere Volksvertreter ernst nehmen und beim Wort; wenn wir sie kontrollieren und nichts durchgehen lassen; wenn wir sie bei kleinen und großen Verfehlungen, die wir aber klar aufdecken müssen, dem Urteil der Öffentlichkeit aussetzen – und notfalls auch den Ermittlungen von Staatsanwälten und den Fragen von Richtern.
Wir alle tragen in einer Demokratie Verantwortung, das Volk ebenso wie die Volksvertreter. Es hilft keinem, Politiker abzuwatschen – wie in Ihrem Brief: „Keinerlei Lebenserfahrung, keinerlei Ahnung davon, was es heißt, Verantwortung für irgendetwas zu tragen! Es ist zum Kotzen!“
Übrigens bekommen wir viele Briefe unserer Leser, so viele wie nie zuvor – so dass wir niemals „leeren Platz“ füllen müssen, sondern nur einen kleinen Teil drucken können, in der Regel kurz und treffend.
Thüringer Allgemeine, Kolumne „Leser fragen“, 14. Dezember 2013
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