Die Astronautenperspektive ist die beste für einen Journalisten
Wichtig war mir, nicht zu werten. Ich versuche beim Schreiben, die Astronautenperspektive einzunehmen: So weit wie möglich weg, erst dann sieht man, dass die Erde eine Kugel ist. Danach nähere ich mich wieder an, doch weiterhin mit dieser Erfahrung des Abstands. Dann kann man differenzieren.
Frank Schätzing, dessen neues Buch „Breaking News“ zum Palästina-Konflikt eine Startauflage von einer halben Millionen hat (Quelle: FAZ, 1.3.2014).
Diese Astronautenperspektive ist auch Journalisten zu empfehlen. In den ersten Auflagen des Handbuch des Journalismus zählten wir zu einer der vier Spielarten des bedenklichen Journalismus den „missionarischen Journalismus“, also Journalisten, die ihren Blick auf die Welt als den einzig gültigen halten: Die Erde ist eine Scheibe. Wir zitierten Johannes Gross, einst Capital-Chefredakteur und Gruner+Jahr-Vorstand:
Der Journalist hat nicht Überzeugungen feilzuhalten oder für Glaubensbekenntnisse zu wüten, sondern Nachrichten zu formulieren und Analysen auszuarbeiten. Die Ethik des Journalismus ist eine Service-Moral.
Damit wir nicht missverstanden werden: Dass ein Journalist seine Meinung formuliert und deutlich als Meinung markiert, gehört selbstverständlich dazu.
Revolte in der Ukraine – und das deutsche Fernsehen verschläft wieder Geschichte
Die Klage ist nicht neu: Immer wenn die Welt aus den Fugen gerät, wie zur Zeit in der Ukraine, bleibt das deutsche Fernsehen außen vor, sendet weiter „Donna Leon“ und „Wetten daß“, „Wallander“ oder Olympia. Außer einem „Brennpunkt“ und einer kurzen Sonderausgabe der Tagesthemen fällt dem Staatsfernsehen mit seinem aufwändigen Korrespondenten-Netz nichts ein, auch nicht in den Info-Programmen.
Der Rundfunk-Journalist Knut Kuckel beschreibt das TV-Desaster in seinem Blog:
das Informationsfernsehen Phoenix.de entführte auf eine Entdeckungsreise durch die Wunderwelten der “Wiese”. Während Julija Tymoschenko, sichtbar geschwächt, aus dem Rollstuhl über auf dem Maidan in Kiew zu den hoffentlich erfolgreichen Revolutionen sprach, blieb den Interessierten am Geschehen nur Twitter, France 24, CNN oder BBC World…
Fairerweise sei angemerkt, das die deutschsprachigen Nachrichten-Fernsehformate n-tv und N24 auch ihre geplanten Schubladen-Dokumentationen mit den üblichen Werbeunterbrechungen sendeten. Das German Television verschlief weitgehend Geschichte.
In der 20-Uhr-Tagesschau versprach die Redaktion: Wer statt Donna Leon lieber den Maidan sehen will, der bekommt im Netz einen Livestream aus Kiew. Knut Kuckel hat ihn sich angeschaut: Unkommentiert, Redner auf Ukrainisch, schlechte Standbilder.
Kritik kam sogar von ARD-Korrespondenten per Twitter:
Annette Dittert, London (@annettedittert):
Am #Maidan geht die Post ab. Und im deutschen Fernsehen herrscht Funkstille. Also @FRANCE24 @CNN.
Die designierte WDR-Chefredakteurin Sonia Mikich (@SoniaMikich):
Wer hat Geduld für Donna Leon?
Und noch einmal Sonia Mikich an die beiden ARD-Korrespondenten in Lemberg und Kiew:
ich beneide euch, dass ihr zur geschichtsschreibung beitragen dürft. das sind sternstunden eines korrespondenten.
„Die Tageszeitung ist die Formel 1 des Journalismus“
Nicht zu Tode sparen, die Position der Zeitung als Leitmedium stärken, Erhalt der Titel-Vielfalt – das ist das Programm von Christoph Bauer, 43, dem neuen Chef des Kölner Verlags M. DuMont Schauberg, in dem neben anderen der Kölner Stadtanzeiger die Mitteldeutsche Zeitung und Berliner Zeitung erscheinen. Was fehlt im Bauerschen Programm? Das Lokale, das Regionale, die Bedürfnisse der Leser.
Das sind die eindrucksvollsten Zitate aus einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung (21.2.2014):
Die besten Zeiten für die Entwicklung neuer journalistischer Produkte sind nicht vorbei.
*
Am Journalismus kann man nicht endlos sparen. Ein gutes journalistisches Produkt kann nicht mit immer weniger Geld betrieben werden, dann sollte man besser prüfen, ein völlig anderes Produkt zu machen… Nur mit Sparen werden wir nicht in die Zukunft gehen können. Wir haben nicht das Problem, dass wir schlechten Journalismus machen. Aber wir müssen eine Strategie entwickeln, damit wir die Titelvielfalt, die wir haben, erhalten können.
*
Die Tageszeitung ist die Formel 1 des Journalismus. Man muss sich fragen, was heute eine Tageszeitung besser kann als all die anderen Medien, die in den vergangenen fünfzig Jahren hinzugekommen sind. Nachrichten gehen heute sicher schneller über mobile Geräte oder über das Radio. Unterhaltung macht das Fernsehen, und für Vertiefung ist vielleicht das Internet das beste Medium. Die Tageszeitung kann Orientierung geben und diese mit einer Haltung versehen. Die Auswahl der Themen, die Bewertung von Sachverhalten, die Meinung – das sind die wesentlichen
Leistungen der Zeitung, egal ob sie gedruckt wird oder digital erscheint.*
Die Tageszeitungen werden journalistisches Leitmedium bleiben, und zwar über den Horizont hinaus, den wir heute überblicken können.
Jugendliche informieren sich im Internet am liebsten beim „Spiegel“ und den Tageszeitungen
Die Jugend von heute informiert sich nicht mehr in seriösen Quellen? Sie interessiert sich überhaupt nicht mehr für Politik?
Das ist ein Vorurteil, wie es seit Jahrhunderten von Älteren über die Nachgeborenen gepflegt wird. Zwar schauen Jugendliche immer seltener in die gedruckte Zeitung, aber im Internet schlagen sie die Seiten der bekannten Magazine und Zeitungen auf – mit weitem Abstand vor der Tagesschau und anderen TV-Sendern. Das ist das Ergebnis einer Umfrage unter knapp 600 Schülern zwischen 12 und 22 aller Schulformen, die Josephine B. Schmitt von der Universität Hohenheim in den Media Perspektiven (1/2014) vorstellt.
Die Zahlen sind beeindruckend und überraschend: 29 Prozent der Schüler nennen die Online-Angebote von Printmedien, wenn sie gefragt werden „Welche Internetseite nutzt Du aktuell am häufigsten, um dich über das tagesaktuelle politische Geschehen zu informieren?“ Die sozialen Netzwerke folgen mit 15 Prozent, Google-News und ähnliche mit 10 Prozent; die Öffentlich-Rechtlichen erreichen 8 Prozent, knapp hinter den Privaten wie N24 oder ntv.
Josephine B. Schmitt meint: „Offensichtlich wirkt sich die Strahlkraft der auch aus der Offlinewelt bekannten Medienmarken im Internet positiv aus und gibt den jungen Nutzern das Gefühl, dass sie auf den entsprechenden Portalen verlässliche Inhalte finden.“
„Gut lesbar und einfach zu verstehen “ muss das ideale Online-Nachrichtenmedium an erster Stelle sein. Das sind zudem die entscheidenden Kriterien für eine Nachrichtenseite, die Jugendliche gerne nutzen wollen:
2. Aktuell („Es informiert sofort, wenn es etwas Neues in der Welt gibt“)
3. Unterhaltsam und abwechslungsreich
4. Bildergalerien
5. neutral
6. viele Hintergrund-Informationen
Keine große Rolle spielt die Partizipation, allenfalls mögen Jugendliche Umfragen und die Möglichkeit, Artikel zu bewerten.
Allzu sicher können sich die Journalisten von Zeitungen und Magazinen aber nicht sein, dass Jugendliche den hohen Wert von seriösen Angeboten erkennen. „Die Vertrauenswürdigkeit von Nachrichtenquellen sind von geringerer Bedeutung“, stellt Josephine B. Schmitt fest. Daraus folgert sie – für Lehrer und Journalisten: Jugendliche müssen noch intensiver hinsichtlich der Herkunft und Vertrauenswürdigkeit von Informationen sensibilisiert werden.
Schafft im Internet viele lokale Systeme! Und der Bürger wird sich freuen
Sollen wir zufrieden sein, dass wir theoretisch Kontakt zu jeder Person in Uganda aufnehmen können – eine Möglichkeit, welche die meisten von uns nicht nützen -, auch wenn wir dafür jegliche Kontrolle über die staatliche Technologiepolitik aufgeben?
So fragt der Harvard-Wissenschaftler Evgeny Morozov und plädiert gegen Facebook und Google für die Schaffung vieler lokaler Systeme, „die entkoppelt wären von den Geschäftsinteressen der großen Technologie-Unternehmen“. Es werde Zeit, aus dem geistigen Winterschlaf aufzuwachen!
Der Blick auf Standardisierung und Vereinheitlichung, die durchaus vorteilhaft sind, hat uns laut Evgeny Morozov davon abgehalten, mit lokaler Kommunikation im Netz zu experimentieren. „Wir sind angetreten, ein globales Dorf zu bauen – doch gelandet sind wir in einem globalen Panoptikum.“
Quelle: SZ, 20. Januar 2014
Warum so viel Schumacher? Oder: Wann ist eine Nachricht wichtig?
Tagesschau-Chefredakteur Kai Gniffke reagiert auf die Beschwerden und das Unverständnis, warum die seriöse Nachrichtensendung Michael Schumacher tagelang als Top-Thema gebracht hat und tagelang als Aufmacher. Er nennt im Tageschau-Blog die Nachrichten-Faktoren, die für die Redaktion entscheidend waren – und seinen „journalistischen Kompass“:
1. Popularität:
Es war mehr als einer von vielen hundert Skiunfällen: „Wenn zwei Menschen das gleiche tun, ist es nicht das gleiche – dieser Satz gilt auch bei Nachrichten. Millionen von Menschen nehmen Anteil an seinem Schicksal und möchten wissen, wie es ihm geht… Er gehört in eine Kategorie populärer Persönlichkeiten, die eine umfangreiche Berichterstattung rechtfertigt, ohne dass wir damit Tagesschau-Grundsätze aufgeben“
2. Nachrichtenarme Zeit:
„In diesen eher nachrichtenschwachen Tagen würden wir unsere Sendungen krampfhaft mit sogenannten B-Themen füllen.“
3. Keine Mutmaßungen, keine Gerüchte:
„Zu einer gewissenhaften und verantwortungsbewussten Berichterstattung gehört auch die Präsenz vor Ort… Dabei haben wir peinlich genau darauf geachtet, dass wir uns aus Mutmaßungen, Spekulationen, vor allem aber aus Gerüchten und Dramatisierungen heraushalten.“
4. Nur Neuigkeiten, keine Themen-Kampagne
„Wenn wenn die Tagesschau keine Meldung macht, ahnen die Leute wohl, dass es nichts Neues gibt. Wir greifen das Thema also wieder auf, wenn es eine neue Information gibt.“
KOMMENTARE auf Facebook (5. Januar 2014)
Martin K. Burghartz
Wann ist eine Nachricht wichtig? Wenn es genug PR-Agenturen mit Millionenetats gelungen ist, die wenigen Nachrichtenagenturen derart gleichmäßig mit Informationen zu impfen, dass (deutsche) Journalisten das für die Wahrheit halten und darüber berichten und das Geschehen kommentieren. Beispiele sind die Berichterstattung über USA, Syrien, Iran, Israel,… Staatsräson? Dummheit? Zeitnot? Diese Diskussion vermisse ich im „Handbuch“, die Berichterstattung der Tagesschau über Schumacher ist da eher eine Randnotiz…
Paul-Josef Raue
Das ist mir zu viel Weltverschwörung. Welche PR-Agentur hat Snowden engagiert? Warum sterben Reporter in Syrien und Afghanistan? Warum kann jeder Journalist ungehindert nach Israel reisen und auch ins Westjordanland, nach Ramallah?
In der Tat sind PR-Agenturen ein großes Problem, davon handelt im „Handbuch“ auch das Kapitel 20 „Waschzettel und Verlautbarungen“, das in der nächsten Auflage noch schärfer formuliert werden muss – weil gerade im Netz, in den Blogs und Internet-Zeitungen die Trennung von PR und Redaktion noch weniger beachtet wird, ja die Nichtachtung bisweilen die geschäftliche Grundlage ist.
Zudem gibt es im „Handbuch“ ein eigenes PR-Kapitel mit einem Zitat von Klaus Kocks: „Wir sind der Parasit einer freien Presse, wir haben kein Interesse daran, dass das Wirtstier derart schwächelt.“
Und wie beginnt das „Handbuch“? Mit Kapiteln über den guten Journalisten, der Rückgrat haben soll, um den „vielfältigen Versuchungen und Pressionen zu widerstehen, die auf ihn eindringen“ usw.
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Der neue Paparazzi-Trick an Schumachers Krankenbett: Die letzte Ölung
Die Jagd nach Fotos und Informationen aus verbotenen Zonen ist ebenso wenig neu wie der Abscheu, der stets geäußert wird, wenn es herauskommt. Der neueste Fall: Die letzte Ölung als Paparazzi-Trick. Ein Journalist hat sich als Priester verkleidet, um den todkranken Michael Schumacher zu sehen – allerdings ohne Erfolg.
Sabine Kehm, Schumachers Managerin, sagte: „In meinen Augen ist das abscheulich.“
Was der falsche Priester da nur wollte? Sprechen kann Schumacher nicht; auf der Intensivstation sehen alle Patienten gleich aus, so dass ein Foto wenig bringt. Allerdings gäbe es einige auf dem Boulevard, die nach dem Ski-Unfall trotzdem viel Geld für ein Schumacher-Foto zahlten.
Beim Boulevard erzählt man gerne mit Bewunderung die Erfolge eines Reporters, der zwar nicht schreiben konnte, aber an jede Information aus den Krankenhäusern herankam: Er schmeichelte den Krankenschwestern und gab bisweilen alles. Auf die Idee mit dem Priester war er nicht gekommen.
„Trutzburg des wahren Journalismus“: Blick ins Innere der „Spiegel“-Redaktion
Spiegel-Redakteure sind Plaudertauschen, die nichts für sich behalten können – vor allem wenn es um Konferenzen mit dem Chefredakteur geht. Das hat einen Vorteil: Der neue Chef kann sich die Stelle des Pressesprechers sparen, braucht weder Pressekonferenzen noch Pressemitteilungen. Er wäre immer zweiter Sieger, es sei denn, er sammelte vor den Konferenzen alle I-Phones ein.
Wochenlang jagten die Redakteure den neuen Chefredakteur, noch vor seinem Amtsantritt, durch befreundete oder weniger befreundete Zeitungen, weil sie mit einer Personalentscheidung haderten. Anfang Dezember erzählten die nationalen Zeitungen aus einer Montags-Konferenz, dass der Spiegel ab Neujahr 2015 zwei Tage früher, also samstags, erscheinen werde. Die unbekannten Whistleblower aus der Spiegel-Redaktion werden ausführlich in der Süddeutschen zitiert, der Chefredakteur wird offenbar nicht gefragt – dafür aber der Chefredakteur des Focus.
Bei der Süddeutschen haben gleich zwei Reporterinnen recherchiert, bei der FAZ nur ein Reporter – aber der hat immerhin beim Spiegel selber gefragt und sogar mehr erfahren. So viel zu investigativen Recherchen im Medien-Milieu.
Kommen wir zur Fiktion: Spiegel-Reporter investigieren nicht nur, sie schreiben auch Bücher, in denen ein Magazin vorkommt, das dem Spiegel verdammt ähnlich ist. „Trutzburg des wahren Journalismus“ nennt Spiegel-Reporter Dieter Bednarz das Verlagshaus – in seinem gerade erschienenen Roman „Mann darf sich doch mal irren – Unser Leben nach der Wickelfront“. Klar: Das Buch ist Fiktion; aber die ist recht nah an der Wirklichkeit gebaut.
Mimosen sind die Reporter, feilschen um jedes Wort, das sie geschrieben haben – meint die Ehefrau des Reporters, im Roman selbstverständlich:
„Dieter“ – so heißt der Autor, der im wahren Leben Spiegel-Reporter ist, und der Reporter im Buch.
Dieter neigt zur Melodramatik. Wenn sie ihm in der Redaktion in seinen Geschichten „rumfummeln“, wie er das nennt, legt er in Gedanken gleich das ganze Blatt in Schutt und Asche, will kündigen oder sich umbringen. Mal reagiert er aggressiv, mal depressiv, je nach Stimmung. Aber dann macht er doch nichts von alledem. Er beruhigt sich vergleichsweise schnell und sieht sich ganz sachlich an, was an seinen Texten verändert wurde. Manches, räumt er dann ein, sei wirklich besser geworden. Und an vielen Stellen… hat tatsächlich einer seiner Chefs nur wieder mal zeigen wollen, wer der Herr der Texte ist.
Das Redigieren der Texte dürfte eines der großen Themen sein in der schönen neuen Spiegel-Kantine direkt am Wasser – wenn nicht gerade der Chefredakteur in einer Konferenz gesprochen hatte. Der größte Schrecken für einen Reporter, so man dem Roman glaubt, dürfte eine redigierende Frau sein – wie Saskia, die Dieter Lindemann als Ressortleiterin vorgezogen wird:
Saskia ist so typisch für unsere Redaktion und wie das Blatt tickt. Die Dame ist erst seit drei Jahren bei uns, aber in den Konferenzen ergreift sie das Wort, als sei sie die Enkelin unserer Verlegerin. Sie hat die Chuzpe, die größten Belanglosigkeiten mit gewaltiger Gewichtigkeit und Schärfe zu vertreten.
Saskia, eine „Quotenfrau“, fühlt sich als die Zukunft des Journalismus: Weniger verkrampft schreiben, flüssigere Texte, persönlicher, in einer eigenen Sprache – „Story telling, Lindemann.“
Sie schaut mir in die Augen, nickt und seufzt, als müsse sie einem Kind die Welt erklären. „Unsere Geschichten müssen ein Lagerfeuer sein, Lindemann, an dem die Leser gerne sitzen möchten.“
Volontärs-Väter sollten ihren Volontären nie mehr vom Lagerfeuern erzählen!
Bleibenden Schaden hat bei den Spiegel-Redakteuren offenbar die Streichung des Kaffee-Service hinterlassen. Diesem einmaligen Service am Nachmittag widmet der Roman-Dieter auch einige Zeilen:
Früher hatten wir nette Studentinnen, die uns Essen oder Trinken in unsere Büros brachten. Unser Verleger, damals einer der ganz großen und legendären, meinte es noch gut mit uns. Immer volle Kühlschränke, alles frei und Snacks am Schreibtisch serviert…
Heute regieren seine Erben. Jetzt steht auf jeder Etage so ein Monstrum für Coke oder Kaffee. Moderne Zeiten. Wer kein Kleingeld hat, kann auf dem Klo den Kopf unter den Wasserhahn hängen. Auch wir müssen sparen.
Um nicht Mythen entstehen zu lassen: Auch beim Spiegel kommt aus dem Wasserhahn kein Kaffee.
Dieter Bednarz: Mann darf sich doch mal irren – Unser Leben nach der Wickelfront. Verlag Langen-Müller, 286 Seiten, 19.99 Euro
Bednarz‘ Roman erzählt erst von einem Seitensprung, dann von der Scheidung, die buchstäblich auf den letzten Buch-Seiten vereitelt wird. In Hamburgs Journalisten-Bars geht der Spruch um: „Die dritte Ehe klappt.“ Bednarz rettet die erste.
Wenn der Mensch Gott spielt – Der Weihnachts-Leitartikel über Maria, Mark Zuckerberg und den Himmel
Heute brauchen wir keinen Engel mehr, der mit einem Gruß von Gott kommt und Maria vorhersagt: „Du wirst schwanger werden!“ Heute schickte Mark Zuckerberg eine Mail:
Hallo Maria, Glückwunsch von unseren Computern! Sie haben herausgefunden: Du bist schwanger und bekommst einen gesunden Jungen. Wir empfehlen Dir für die nächsten Monate das vielfach erprobte ,Engel-Vitamin‘ mit all den Komponenten, die Dich und Dein Kind glücklich machen. Die Probepackung gibt es zum Sonderpreis…
Wer ist dieser moderne Engel, dieser Mark Zuckerberg? Er hat Facebook gegründet, in dem gut eine Milliarde Menschen unentwegt von sich erzählen – von der neuen Frisur, vom netten Seitensprung oder der Krankheit des Großvaters. All das weiß auch Mark Zuckerberg.
Die besten seiner fünftausend Mitarbeiter sind gerade dabei, ein modernes Orakel zu programmieren – etwa zur Vorhersage einer Schwangerschaft. Wenn sich eine Frau plötzlich Zink-Tabletten kauft und Cremes ohne Parfüm, dann ist sie wahrscheinlich schwanger – auch wenn sie es selber noch nicht weiß.
Woher weiß es Mark Zuckerberg? Wir schreiben es ihm. All die harmlosen Nachrichten auf Facebook ergeben am Ende ein genaues Bild: Wie wir leben, wie wir denken, wie wir planen. Schließt sich Mark Zuckerberg zusammen mit den anderen, die unsere Daten sammeln, dann kennt er die Seelen der Welt: Was kaufen wir ein? Was suchen wir in den Internet-Lexika? Was steht auf unserer Gesundheits-Karte? In unserer Steuererklärung?
Es ist Weihnachten, der Tag, an dem wir uns erinnern: Gott macht sich zum Menschen. Sprechen wir also von Gott.
Er ist tot, sagte Nietzsche. Wir brauchen ihn nicht, sagte Stalin. Ich bin Gott, könnte Mark Zuckerberg sagen. Denn alles, was je über Gott gesagt wurde, trifft auf ihn und seine Großrechner zu: Allwissend, unendlich – also die Welt umfassend -, ewig, da sein Wissen gespeichert wird bis ans Ende der Tage und darüber hinaus.
Der Mensch spielt Gott. Ist das eine frohe Botschaft? Singen die Drohnen, mit denen Zuckerberg über unseren Seelen schwebt, vom Frieden auf Erden? Entdecken seine Algorithmen die Erlösung? Stillen seine Orakel die Sehnsucht nach Glück?
Zu Weihnachten öffnet sich der Himmel – nicht nur für die Gläubigen, die kein Monopol auf den Himmel haben, sondern vor allem für die Zweifler, die Wahrheits-Sucher, Nörgler und Ewig-Unzufriedenen. Da die Kirche ihr Monopol auf die Deutung der Welt abgeben musste und kein Nachfolger in Sicht ist, schaut jeder in einen anderen Himmel und fragt sich – so er noch fragt: Wo sind meine Grenzen? Wo sind unsere Grenzen? Was ist jenseits davon?
Wer nicht mehr nach oben schaut und nur noch auf seinen Computer-Schirm, der sieht dort die virtuellen Sterne, die ihn einladen, „Gefällt mir“ zu klicken – in einer falschen Welt.
* Ungekürzte Fassung des Weihnachtseditorials der Thüringer Allgemeine, 24. Dezember 2013
Die Weihnachts-Wanderung auf den Brocken – oder: Wo müssen sich Chefredakteure und Lokalchefs sehen lassen?
„Unsere Zeitung ist wieder nicht gekommen!“, wettert der Brockenwirt auf dem höchsten Berg im Norden. „Die kommen nur noch, wenn es Skandale gibt und irgendwas Aufregendes.“ Für eine Minute ist die festliche Stimmung verflogen. Die meisten reiben sich die Ohren: So erregt hat noch keiner den Brockenwirt erlebt.
Der Freitag vor Weihnachten gehört im Harz traditionell der großen Wanderung auf den Brocken mit Ministern, Sparkassendirektoren, Bürgermeistern, Abgeordneten, Journalisten – eben mit allen, die wichtig sind oder wichtig sein wollen in der Provinz. Etwa 200 kommen, wandern zwei Stunden durch den Schnee (wenn er liegt: dieses Jahr nur fleckenweise), singen unterwegs „Oh Tannenbaum“, essen eine Bratwurst, trinken einen „Schierker Feuerstein“ oder zwei und setzen sich am Ende im Goethesaal auf dem Brocken zu Bier und Erbsensuppe zusammen. Es ist ein Netzwerk- und Wiedersehen-Tag, mit Stiefeln, Mütze und dicken Pullovern statt Krawatte und steifen Hemden.
Da ärgert sich der Brockenwirt, wenn „seine Zeitung“ nicht dabei ist und den Plastik-Eiskratzer als Weihnachtsgabe mitnimmt: Weder Chefredakteur noch der lokale Chef noch irgendeiner.
Chefredakteure und Lokalchefs kennen die Not: Wieviel Repräsentation ist nötig? Wieviel ist möglich?
Was ist nötig? Wenn viele Leute, die wichtig sind oder wichtig klingen, zusammenkommen, erst recht in geselliger Runde, sollte man sie nicht alleine Bier trinken und reden lassen: Wer mit wem? Und wer duzt sich schon? Und wer ist nicht dabei – und warum? So nebenbei lässt sich beim Aufstieg durch die vereiste Bob-Bahn ein Vier-Augen-Gespräch mit dem Kulturminister führen, der sonst nur zögert und zaudert.
Doch solch Aufstieg und Konversation mag nicht jeder Chefredakteur und Lokalchef. Im 46. Kapitel des Handbuchs haben wir sechs Typen von Chefredakteuren beschrieben. Da steht vorne der Blattmacher, der gleichzeitig Innenminister ist: Er verlässt nur selten die geschützten Räume der Redaktion, ist Herr des Newsrooms – auf den der Großraum zugeschnitten ist und in dem er thront wie ein feudaler Herrscher. Auch der selten gewordene Leitartikler mag keine Aufstiege in Winterjacke und Pelzstiefeln.
Glücklich ist die Redaktion zu schätzen, die einen Außenminister hat ohne Karriere-Ambitionen: Wenn sich der neue Chef und sein Vorgänger, der die Rente genießt, gut verstehen, dann geht der alte Chef auf all die Termine, die der neue nicht mag. Der Alte ist bekannt, meist beliebt; er hört zu, wie das Gras wächst, und spielt in die Redaktion das zurück, was Anlass gibt für Recherchen; und auf die allfälligen Beschwerden, die bei solchen Anlässen zu hören sind, kann er gelassen reagieren.
Und wenn der Chefredakteur gerne die Redaktion verlässt wie ein Nest-Flüchter, aber die Provinz und die Provinz-Herrscher nicht mag? Dann kann schon die Frage erlaubt sein, ob dieser Chef für die Leser und für die Redaktion der rechte ist. Ein von mir geschätzter Verleger stellt gern die entscheidende Frage, am besten schon im Bewerbungsgespräch
Wohin gehen Sie am Abend, wenn Sie sich zwischen zwei Terminen entscheiden müssen: Ein Hintergrund-Gespräch mit der Kanzlerin in Berlin, zu dem dreißig Kollegen kommen – oder die Laudatio auf das Ehrenamt des Jahres in der Stadthalle, wo die Großmutter geehrt wird, die krebskranken Kinder vorliest?
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